Schamanin mit Trommel - ewigeweisheit.de

Die Heilklänge der Schamanentrommel

Wenn sich einer heute zum Schamanentum berufen fühlt, teilt er diesen Weg seiner Bestimmung mit nicht wenig anderen. Doch weniger ist es nur der Wunsch solch Lebensweg anzutreten, als sich vielmehr von einer Kraft angezogen zu fühlen, die im Animismus von besonderen Wesen ausgeht – dem, wovon der Schamane als den Ahnengeistern spricht.

Wer diesen Ruf in sich vernimmt, tritt seinen Weg sicher auch an – einen Weg auf den ihn diese Geister führen. Doch es kommt oft vor, dass ein älterer Schamane bevor er stirbt, sein Wissen und seine Magie auf einen Jüngeren überträgt, wobei er ihn auf eine besondere Art und Weise, man könnte durchaus sagen »verzaubert«, und damit einweiht in die schamanische Tradition.

Sich auf so einen Weg begeben zu wollen rührt von einer inneren Gabe her, die aber nur wenige mit ins Leben bringen. Die dafür nötigen Fähigkeiten nämlich kann nicht jeder einfach mal lernen. Eher ähnelt es einer künstlerischen Begabung, die dann oft aber einhergeht mit schwerwiegenden Erlebnissen, die einer in seinem Leben machte und das vielleicht schon in jungen Lebensjahren. Für jemanden aber der den Weg des Schamanen antreten will, ist vielleicht auch die familiäre Herkunft von Belang. Doch es gibt eben auch Schamanen, die keine solche Vorfahren haben.

Inspiriert zu diesen Text hier, hat mich eine Legende die man sich wohl auch heute noch im Altai (Hochgebirge in Zentralasien) erzählt. Darin erfährt man die Geschichte eines Jungen, der einst schwer krank war. Man rief ihm zur Hilfe einen bekannten Schamanen. In einer archaischen Zeremonie trat der Mann in Kontakt mit den Ahnengeistern. Was er dabei vernahm, das erklärte er also dem Jungen und seiner Familie, die er wissen ließ, dass einer der Vorfahren den Jungen wünschte, dass er seinem Beispiel als Schamane folgen solle. So also kam es zu der Erwählung des Jungen zu diesem spirituellen Amt. Es scheint, als gäbe es durchaus solcherart Berufung, doch ob ein Schamane dann allein durch die Geister der Ahnen ernannt wird, sei dahingestellt. Sicherlich gibt es auch Fälle von starken Menschen, die sich absichtlich in gesundheitliche oder andere Schwierigkeiten brachten, um auf dem Weg daraus eben doch zu einem echten Schamanismus zu finden – etwas dass sich weder in Büchern finden lässt, noch durch bloßes Zuhören.

Die Unerbittlichkeit der Ahnengeister

Wen auf seinem Weg zum Schamanentum große Schwierigkeiten konfrontieren oder wen eine ernste Krankheit herausfordert, der, so die schamanische Tradition, muss sein Amt als Schamane dennoch antreten. Denn wem dies nicht gelingt, der sieht sich bald noch weit derberen Konsequenzen gegenübergestellt. Wer vor diesem Hintergrund seinen Weg als Schamane antreten will, gerät infolgedessen in einen sonderbaren Zustand der Spaltung seines Bewusstseins: Denn einerseits führte ihn ja ein bezaubernder Wunsch auf diesen Weg zum Schamanensein, womit er ins Handeln kam. Doch ist dieser Wunsch gleichzeitig etwas, gegen dass er sich mit aller Kraft wehrt. Ein scheinbarer Widerspruch. Die Schamanen des Altai (Gebirge im Südwesten Sibiriens) aber wissen, dass einer, den seine inneren Blockaden von dem für ihn bestimmten Weg abbringen, bestenfalls seinen Verstand verlieren lassen. Doch es kann auch passieren, dass er sich wegen dieser Haltung in so große Schwierigkeiten bringt, so dass er den Rest seines Lebens mit bleibenden, körperlichen Folgen zu kämpfen hat.

Bei den Giljaken, Indigenen aus dem Osten Sibiriens (nahe Japan), heißt es sogar, dass einer aus seiner Initiations-Erfahrung entweder den angetretenen Weg zum Schamanentum fortsetzt oder, entscheidet er sich anders, eben sterben wird (etwas, dass Ähnlichkeit hat mit Überlieferungen der westlichen Einweihungstradition). Es ist eben genau diese so gemachte Erfahrung, die ein Schamane erleben muss, auch wenn sie ihn dabei nahe an den Rand vollkommener Paranoia drängt, was mitunter durchaus in gefährliche, gar neurotische Bewusstseinsgefilde hinabmünden kann. Diesen extremen Zustand lernt der zum Schamanen Berufene jedoch zu überwinden, indem er durch die einfachen Rhythmen einer Rahmentrommel in die Realität seiner neuen Lebensaufgabe hinübergeleitet wird.

Schamanin des Altai – ewigeweisheit.de

Eine Schamanin des Altai-Gebirges. Vor ihren Augen hängen besondere Fäden herab, so dass keiner ihre, während einer Zeremonie verdrehten Augen sehen kann. Denn, so sagt man sich dort, wenn ein Mensch in die Augen eines Schamanen während dessen Trance sehe, er hernach vom Wahnsinn getrieben würde (Fotografie von Sergej Borisov aus dem Jahr 1911).

Lebendige Werkzeuge

Sobald ein Schamane sein Amt angetreten hat, benötigt er besondere Instrumente, um seine Reisen ins Jenseits zu unternehmen. Wenn hier aber die Rede vom »Jenseits« ist, wird damit auf die sogenannte »Untere Welt« und die »Obere Welt« hingewiesen, die ein Schamane in einer Art Trancezustand bereist, um dort den Geistern der Ahnen zu begegnen.

Die Untere Welt ist für den Schamanen am einfachsten zu erreichen. Über die Erdachse steigt sein Geist dabei tief in die Erde hinab, wohin er sich gewöhnlich durch einen langen Tunnel bewegt, dessen Eingang sowohl ein kleiner Schlitz in einem Baum sein kann, die Öffnung zum unterirdischen Bau eines Tieres, ein Loch in der Gesteinswand eines Berges oder einfach die Treppe eines Hauses, die in einen Keller führt. Was der Schamane braucht, ist also eine Öffnung in die Erde, um die Reise in die Untere Welt antreten zu können. Hoch über der irdischen Welt befindet sich die Obere Welt, die der Schamane in seiner Trance erreichen kann, indem er versucht, immer höher zu reisen, gar bis über für uns sichtbare Sternenebene hinaus. Dabei wird der Schamane von einem Krafttier begleitet oder von ihm getragen. Im »Flug des Geistes« gelangt er dann zu seinen geistigen Helfern in der Oberen Welt.

Zum einen bedient sich der Schamane dabei eines besonders geschnitzten Holzstabs und später dann der Rahmentrommel – seinem wichtigsten magischen Instrument.

Der Stab des Schamanen endet am Griff meist im Symbol eines gebeugten Pferdehalses mit Kopf, als Symbol seiner Bewegung durch die oben genannten Welten des Jenseits. In seiner ersten Einweihung erhält der Schamane solch einen Zeremonien-Stab, den oft auch verschiedene Totems zieren (etwa in Form von Tierköpfen oder Gesichtern von Menschen). Manche unter den Schamanen aber besitzen statt hölzerner auch eiserne Stäbe, als Instrumente für ihre Kommunikation mit der Welt der Geister.

In der einstigen Fürstendynastie der Seldschucken (10. Jahrhundert), galt ihren Schamanen solch Stab als Symbol des Weltenbaumes. Man könnte darin durchaus einen Hinweis auf das erkennen, was sich vielleicht als Struktur der Welt des Göttlichen bezeichnen ließe (etwa vergleichbar mit dem Lebensbaum der Kabbala). Jeder echte Schamane weiß darum von einem Bewusstsein, mit dem er über seinem Stab in Kommunikation treten kann mit den Geistern der Ahnen und er entsprechend auf diese Weise vom Diesseits in die »Obere Welt« aufzusteigen vermag.

Bei Schamanen der Keten, einem anderen indigenen Volk Sibiriens, gibt es den Brauch, den Zeremonienstab in die Erde zu stecken, nahe des Eingangs zu dem Zelt in dem ein magisches oder heilerisches Ritual abgehalten werden soll. Für sie versinnbildlicht der beschriebene Stab des Schamanen anscheinend die spirituellen Strukturkräfte des Himmlischen, durch die sich in der Erde die unzählige Formen des Weltenbaumes vitalisieren lassen. Erst nachdem der ketische Schamane diese Handlung mit seinem Stab vollzog, beginnt das eigentliche Ritual in dem er zu tanzen beginnt, wobei durch seine Schritte auf der Erde dabei ein besonderer Rhythmus zu hören ist. Was dabei ertönt, das soll erinnern an das Geräusch der Hufe eines berittenen Pferdes. Die Schritte seines Tanzes versinnbildlichen die Füße des Reiters mit denen er sein Pferd antreibt. Darin lässt sich ein wichtiges magisches Symbol erkennen, dass auch in anderen schamanischen Traditionen eine Rolle spielt.

Mit der zweiten Initiation wird dann die Trommel des Schamanen hergestellt. Schon bei der Beschaffung des Materials beginnt eine besondere Zeremonie, wobei das Schneiden des Holzes für den Rahmen, sowie das Schneiden des Leders für die Membran, zu einem gemeinschaftlichen Ereignis wird. Aus dem Holz wird der Rahmen der Trommel zugeschnitten und langsam gebogen, wo, nachdem beide Enden miteinander verbunden wurden, darüber dann das zugeschnittene Leder gespannt wird. Dann werden an der Trommel Griffe und Bügel befestigt. Oft zieren das Innere des Rahmens, direkt unter der Membran auch kleine Schellen oder Klöckchen.

Im zweiten, zeremoniellen Schritt dann wird die neu hergestellte Trommel gesegnet. Wobei die Schamanen dabei weniger von einer »Weihe«, als vielmehr von einer »Belebung« der Trommel sprechen. Was dabei nämlich vor sich geht, macht aus der Trommel weit mehr als nur ein Musikinstrument, dass irgendjemand spielen wird. Es gleicht die gefertigte Trommel des Schamanen vielmehr einem lebendigen Wesen, worin er die bildgewordene Allegorie auf die Erscheinung eines himmlischen Pferdes erkennt. Weil die so bezeichnete Belebung der Trommel doch recht eigenartig anmutet, wollen wir uns diesen spirituellen Vorgang im Folgenden einmal genauer anschauen.

Utensilien der Initiation

Bei den Schamanen der sibirischen Tofalaren gleicht die Herstellung der Trommel einem echt archaischen Ritual. Sobald das Instrument gefertigt wurde, wird ein Rentier geschlachtet und sein Fleisch und seine Innereien gekocht. Gegenüber dem Eingang eines für die Zeremonie vorgesehenen Zeltes, befindet sich an der Wand, gut sichtbar aufgehängt, die neu geschaffene Trommel, worunter man ein Rentierfell ausbreitet. Darauf werden die entsprechend zubereiteten Fleischstücke abgelegt. Neben dieser Opfergabe stehen dort dann auch sechs Becher, wovon drei mit Schwarzem Tee und drei mit Schnaps gefüllt sind.

Zu dieser schamanischen Zeremonie sind nur drei, fünf, sieben oder neun Mitglieder des Klans zugelassen. Jeder Teilnehmer trägt dann, einer nach dem anderen, die Kopfbedeckung und den Mantel des Schamanen und schlägt dann, für eine gewisse Zeit, die neu geschaffene Trommel an, bevor er dann Kopfbedeckung, Mantel und Trommel dem Nächsten überreicht. Nachdem der Letzte der Gäste dieses Einweihungszeremoniells die Trommel in der beschriebenen Weise seiner persönlichen Prüfung unterzogen hat, beginnt ein besonderes Fest, dass bis spät in die Abendstunden hinein andauert.

Erst nachts, nach diesem Fest, nimmt dann der Schamane selbst seine Trommel in die Hand, um nun, mit den von ihm darauf angeschlagenen Klängen, seine Reise ins Jenseits anzutreten. Dabei verwandelt sich für ihn seine Trommel zum symbolischen Reittier, das durch die hörbaren Klangeffekte, in ihm magische, innere Bilder freisetzt. Hierbei obliegt ihm die für einen Nicht-Schamanen nur schwer nachvollziehbare Aufgabe an den Ort zu reisen, an dem das Rentier zur Welt kam, mit dessen Haut man die Trommel überbezog. Dann muss er alle Orte aufsuchen, die der Rentierhirsch einst aufgesucht hatte, muss alle Flüsse entlanggehen, alle Orte bereisen an denen er graste und trank. Überall hin folgt der Schamane diesem Tier auf seiner Jenseitsreise, bis zu dem Ort, an dem es der Jäger erlegte.

Daraufhin wendet sich der Schamane dem Holz zu, aus dem der Rahmen seiner Trommel verfertigt wurde, wird sich des Alters des Holzes bewusst, aus dem der Rahmen besteht. Er findet mit Hilfe der Geister den Ort wo der Baum wuchs, erkennt wie dort sein langes Leben verlief und empfindet all die Witterungen nach, denen der Baum all die Jahre über ausgesetzt war. Dann erfährt er den Moment in dem der Baum gefällt wurde und sogar das, was die Waldarbeiter in diesem Augenblick zueinander sagten. Ein zeremonielles Meisterwerk entstand in diesem ganz fremden, aber doch auch sagenhaften Ritual. Erst damit war die Phase der Herstellung und Weihung der schamanischen Trommel abgeschlossen.

Es sieht also ganz danach aus, als sei die schamanische Einweihung nichts anderes als eine Initiation in die Welt der Ahnengeister. Das bereitet den Schamanen vor auf seine zukünftige Rolle in der Gemeinschaft seines Klans. In der Praxis wird der Schamane dafür einer besonderen Prüfung unterzogen, wo er nicht nur seine persönlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen, sondern auch die günstigen Fügungen seines Schicksals erkannt haben muss. Denn für seine neue Rolle bedarf er des behütenden Wohlwollens der Ahnengeister. Die Schamanen eines Volksstammes der Tungusen des Tarbagatai-Gebirges, dass sich über die Grenze zwischen Kasachstan und Nordchina erhebt, leben im »Land der Murmeltiere«, wie sie es nennen. Ihre Prüfung nun besteht darin, zunächst eine dafür vorgesehene Leiter hinaufzusteigen, während um sie dabei andere Schamanen mit ihren Trommeln einen rollenden Klang zur Weihung des neu gewordenen Schamanen anschlagen. Am Morgen darauf dann opfern sie eine Ziege, mit deren Blut sie ihn salben. Darauf erfolgt wiederum die Reinigung seines Hauptes mit geweihtem Wasser. Jetzt ist der Schamane vorbereitet auf seine »Reise in die Oberwelt«, wo er den Geistern seine Wünsche mitteilen soll – als vollwertiger Eingeweihter im Kreise seines Klans.

Dass die hier geschilderten Schritte der Einweihung im Schamanen ganz enorme Empfindungen auslösen dürften, sollte naheliegen. Nicht aber nur der Schamane erfährt damit ganz elementare Erlebnisse. Auch in allen, bereits auf diesen schamanischen Weg Eingeweihten, dürfte beim Schlagen ihrer Trommeln, die einst ihrerseits gemachten Erfahrungen wieder wachgerufen werden – diesmal jedoch auf einer höheren Ebene menschlichen Erfahrens.

Schamanische Rahmentrommel – ewigeweisheit.de

Bei den Schamanen der Samen, einem indigenen Volk im Norden Finnlands, gibt es die meist ovale Sami-Trommel, deren Fell (beziehungsweise Membran) besondere Bildsymbole zieren, durch die eine Verbindung hergestellt werden soll zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos. Die hier abgebildete Zeichnung zeigt im Zentrum eine kleine Raute, ein Symbol für die Sonne. Aber auch die anderen, für uns abstrakten Bildformen besitzen ihre eigene Bedeutung – und das dann wohl auch in der Anwendung der Trommel in einer Heilungssitzung. Wenn auch »nur« auf feinstofflicher Ebene, befördert jede, durch einen Trommelschlag ausgelöste Schallwelle, eben diese Bildformen mit durch die Luft, die dann auf einen Hilfesuchenden in der Heilungssitzung treffen und ihre entsprechenden Wirkungen übertragen.

Rhythmus und Heilkraft

Die Rahmentrommel erfüllt bei den Schamanen eine universale Funktion – und das schon seit sehr alter Zeit. Kaum verwunderlich, wenn sie heute als ältestes Musik-Instrument der Erde gilt.

In Zeremonien, in denen einem Menschen dabei geholfen werden soll seine Gedanken zu vermindern, schlägt der Schamane entsprechend langsam seine Trommel (etwa im Rhythmus des Ruhepulses eines Menschen), um damit auf die eigentliche Heilungssitzung vorzubereiten. Schon hierbei kann der Schamane zum Beispiel einen Hilfesuchenden aus nervösen Angstzuständen in eine ruhige Empfindsamkeit überführen. Es ist die Monotonie des Rhythmus seiner Trommel, mit der der Schamane da eine besondere Form der Beruhigung einleitet, woraus in einem Menschen heilsame Geistesstrukturen hervorgebracht werden. Auch der Schamane gerät in solch Heilungszeremonie in eine leicht ekstatische Verfassung, um sich dabei vorzubereiten auf seinen Weg in spirituellere Gefilde.

Sinnbildlich gesprochen verwandelt sich der Schamane bei seinem Trommelschlagen zu einem Wunderreiter, der in diesem Rhythmus auf seinem magischen Pferd die Untere und die Obere Welt ins jenseitige Reich der Geister bereist. Je schneller er die Trommel mit seinem »Zauberstab« anschlägt, desto schneller beginnt sein Geisterpferd zu galoppieren, auf dem er in seinem spirituellen Erfahren Visionen vernimmt, die dabei auch im Hilfesuchenden gewisse halluzinative Eindrücke auslösen. So vermittelt der Schamane Hilfe aus der Welt der Ahnengeister, die dem Hilfesuchenden bei seinem Heilungsprozess beschieden sei.

Bei den Schamanen Jakutiens, im äußersten Osten Sibiriens, gibt es den Brauch, Heilkräfte auf einen kleinen Kreis von hilfesuchenden Menschen gleichzeitig zu übertragen. Der Schamane setzt sich dafür in die Jurte der Heilungszeremonie, um dort dann bis Sonnenuntergang zu warten. Nachts nämlich bricht die Zeit für sein Jenseitsreisen an. Hierfür werden in aller Eile Vorbereitungen getroffen für die bevorstehende schamanische Zeremonie: Man fegt den Boden der Jurte, schafft gehacktes Brennholz herbei und tischt größere Mengen köstlichen Essens auf. Nun treffen die Hilfesuchenden ein, wobei sich in der Jurte die Männer zur Rechten und die Frauen zur Linken des Schamanen setzen. Alles was von nun an dort besprochen wird, geschieht auf eine ganz vorsichtige, zurückhaltende Art, mit entsprechenden Redepausen. Alle Gesten und Bewegungen der Anwesenden sind langsam, bedacht und sanft.

Nun beginnt der Schamane seine Trommel anzuschlagen. Zunächst ganz sanft, dann aber steigert er sein Trommeln langsam, bis es bald ganz rau klingt und schließlich so unerbittlich wird, das man glaubt ein Donnerwetter zöge auf. Oft geraten die Teilnehmenden alsbald in einen ekstatischen Zustand, in dem sie glauben die Rufe von Krähen in den Trommelschlägen zu vernehmen oder die Schreie von Adlern und Falken zu hören. Die an der Trommel befestigten Glöckchen klirren und läuten immer kräftiger, bis sich alles zu einem langgezogenen stürmischen Schallen verdichtet hat. Doch mit einem Mal bricht alles ab. Die zuvor vom Schamanen hochgehaltene Trommel fällt auf seine Knie. Und für einen Moment lang herrscht vollkommene Stille. Der Kopf des Schamanen bleibt gebeugt. Mit zerzaustem Haar liegt er nun mit halb geöffneten Augen im Kreise der Anwesenden, während sein Gesicht ganz verschwitz ist und ihm ein Schaum von den Lippen tropft.

Nun richtet er sich langsam auf, um das eigentliche Heilungszeremoniell zu beginnen. Die Geister der Ahnen beschwörend vertreibt er bei den Anwesenden die Ursache ihrer Krankheit. Hierfür versetzt er sie in kurzen Schrecken oder küsst sie auf die entsprechend schmerzhafte Stelle ihres Körpers, um hernach die dort befindlichen Schmerzen herauszusaugen. Nachdem er so den Anwesenden zu helfen wusste, kehrt er zurück in die Mitte der Jurte, von wo aus er die bösen Geister durch Spucken und Pusten vertreibt. Zwar lassen sich die Diener der Geister auf diese Weise aus dem Hilfesuchenden zunächst vertreiben, doch erwarten die »mächtigen Geister« dafür ein entsprechendes Opfer, dass vom Hilfesuchenden erbracht werden soll.

Nach dieser Phase der Heilungszeremonie erkundet der Schamane ganz aufmerksam jeden Winkel der Jurte, während er dabei seine Augen mit den Händen vom Licht abschirmt. Findet er da etwas verdächtiges, schlägt er wieder die Trommel, beginnt zu tanzen, macht schreckliche Gesten und fleht die Welt der Ahnengeister an, sich aus der Jurte zurückzuziehen. Dann, wenn von ihm endlich alles »gereinigt« werden konnte, wurden damit die Ursachen aller anwesenden Übel vertrieben. Jetzt ist die Heilungszeremonie beendet.

Danach steht der Schamane den Anwesenden Rede und Antwort. Manchen unter ihnen sagt er verschiedene Ereignisse voraus oder beantwortet neugierige Fragen zu dem, was er auf seiner Jenseitsreise erlebt oder gesehen hatte.

Das oben erwähnte Opfer, das den »Geistern« dargebracht werden soll, variiert je nach der Bedeutung des Anlasses, das den Hilfesuchenden zu diesem schamanischen Ritual führte. Manchmal wird vom Schamanen dann die Thematik (wie etwa das Wesen einer Krankheit) auf ein Tier übertragen. Erkrankt es, wird es hernach geopfert, wobei der darin wirkende Geist in den Himmel aufsteigt (man denke in diesem Zusammenhang etwa an den abrahamitischen Brauch des »Sündenbocks«). Die dabei, gemeinsam mit den Ahnengeistern vollzogene Himmelsreise des Tieres, wird dann, durch einen entsprechenden Tanz der Schamanen, sinnbildlich wiedergegeben. Es soll sogar, so erfährt man aus manchen Legenden der Schamanen, tatsächlich Meister unter ihnen gelebt haben, die dabei selbst mit in den Himmel hinaufstiegen, während die Hilfesuchenden als Zuschauer sahen, wie dem auf den Wolken schwebenden, geopferten Tiergeist der Schamane in seinem Trommelfieber folgte, damit aber die Heilkräfte der Ahnengeister auf sie hernieder sandte.


Inspiriert zu diesem Text (Recherche und Verfassen) haben mich diese Bücher: Shamanism in Siberia, von M. A. Czaplicka, und Samanizmus, von Diószegi Vilmos.

 

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