Marabout - ewigeweisheit.de

Wenn eines Menschen innerer, äußeren Frieden erwirkt

Im Übergang zum 20. Jahrhundert lebte und wirkte im afrikanischen Senegal ein besonderer Mann: Sheikh Ahmadou Bamba. Seine Jünger nannten ihn den »Diener des Propheten« und verehrten ihn als lebenden Heiligen. Allein durch seine Friedfertigkeit erreichte er Großes für sein Land und die Menschen die darin leben. Heute zählt er zu den wichtigsten Persönlichkeiten im Islam, der weit über die Grenzen des Senegal bekannt wurde.

Im Westen des Senegal gründete der große Mame Maram Muhammad Al-Khayri († 1802) die Stadt Mbacké-Baol. Das Landrecht zur Städtegründung erhielt er vom Fürsten des Königreichs von Baol: Amari Ngoné Ndella Fall. Aus dieser Stadt sollte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Zentrum islamischer Gelehrsamkeit werden, dessen Einfluss für ganz West-Afrika bis heute von Bedeutung ist. Doch die Stadt wurde 1865 von Maba Diakhou und seinen fanatischen Dschihadisten zerstört. Die Nachfahren des Städtegründers Al-Khayri zwang man darauf in Maba Diakhous Heer zu dienen. Einer unter ihnen musste ebenfalls diese schlechte Erfahrung machen: Ahmadou Bamba. Ihm aber gelang es durch seine wundersame Art sich dieser Zwänge zu entledigen.

Im Alter von 31 Jahren kehrte Bamba schließlich für einige Zeit in die Stadt Mbacké zurück. Dort empfand er zum spirituellen Lehrer berufen zu sein. Eine Rolle die er nicht nur für einen kleinen Kreis erfüllen sollte. Er gewann tausende Anhänger, so dass man ihn gut und gerne als das spirituelle Oberhaupt des gesamten Senegal bezeichnen darf.

Auf dem Weg zum Marabout

Ahmadou Bamba wurde 1853 in Mbacké-Baol (Senegal) geboren. Er war ein Urenkel des Städtegründers Al-Khayris und Sohn des angesehenen Imam Mohammed Ibn Habiballah – dem wichtigsten Berater des Fürsten von Kayor – einem alten, nördlich von Baol gelegenen Königreich, das heute zur Republik Senegal gehört. Es war aber vor allem Ahmadou Bambas Mutter Diaratoullah, die ihm eine höhere islamisch-spirituelle Erziehung zukommen ließ. Als aber der junge Ahmadou gerade erst neun Jahre alt war, verstarb seine Mutter plötzlich. Durch diesen großen Verlust und die Frage nach dem Warum, zog sich der junge Ahmadou Bamba zurück aus dem Kreise seiner Nächsten und lebte von da an ein asketisches und frommes Leben. In dieser Zeit vertiefte er sich in das Studium des islamischen Schrifttums, studierte den Koran, beschäftigte sich intensiv mit der Scharia, der islamischen Gesetzgebung, und den Hadithen, den Überlieferungen über die Aussprüche und das Leben des Propheten Mohammed (as). Zu seinen wichtigsten Lehrern zählten seine Onkel mütterlicherseits, sie alle nämlich waren geachtete Koran-Gelehrte.

So wurde aus Ahmadou Bamba schon in jungen Jahren ein Islamischer Gelehrter, der bekannt war für sein außerordentliches Wissen und sein bemerkenswertes Erinnerungsvermögen. Durch seine religiöse Poesie, begannen sich einige Gelehrte bald für den jungen Mann zu interessieren.

Gründung der Mouridiyya

Als Bamba gerade 27 Jahre alt war, verstarb auch sein Vater. Sein früher Tod bildete einen zweiten, tiefgreifenden Wendepunkt im Leben Bambas. Damals arbeitete er an einer Schule, doch ließ seine Rolle als dortiger Lehrer schließlich hinter sich. Von nun an war er ein spiritueller Führer all jenen, die auf Antworten warteten.

Noch im Todesjahr seines Vaters, gründete er 1883 die Bruderschaft der Mouridiyya: Die Beschreiter des mystischen Weges in der Nachahmung des Propheten Mohammed (as). Schon bald scharten sich um ihn viele Jünger. Ihnen lehrte er unter anderem:

Mein Herr gebot mir zu führen das Volk zu Gott, dem Allerhöchsten.
Jene die diesen Pfad begehen wollen, sie sollen mir nachfolgen.
Alle Übrigen, die nur Unterweisungen wünschen, richtet euch an die Buchgelehrten von denen es in diesem Land so viele gibt.

– Aus »Les bienfaits de l’eternel«, der Biografie Sheikh Ahmadou Bambas

Schnell wuchs Bambas Einfluss im senegalesischen Kayor. Eines Tages berief ihn der Prinz dieses Reiches an seinem Hof, einen Posten als Scharia-Richters anzutreten. Doch Bamba lehnte bescheiden ab.

Es ist mir nicht möglich diesen Ort und meine Schüler zu verlassen, die kamen um die Gepflogenheiten ihrer Religion zu erlernen; Ganz und gar nicht entspräche das meinen Vorstellungen.

– Aus »Les bienfaits de l’eternel«, der Biografie Sheikh Ahmadou Bambas

Ahmadou Bamba - ewigeweisheit.de

Sheikh Ahmadou Bamba (1853-1927): Gründer der Sufi-Bruderschaft der Mouridiyya.

Hingabe der Sufis an den Höchsten

Wer als neuer Schüler in den Orden der Mouridiyya aufgenommen wurde, durfte sich »Mourid« (auch Murid) nennen; diese arabische Bezeichnung, die sich aus der arabischen Wortwurzel »iradah« bildet, steht für das willentliche Verlangen nach einer vollkommenen Hingabe an Gott, durch die gleichzeitige Loslösung aus allen weltlichen Bindungen. Ein Mourid ist damit, im wörtlichen Sinne auch ein Sucher. Doch diese Bezeichnung an sich, war schon viele Jahrhunderte in Gebrauch. Mouriden waren auch solche Sufi-Größen wie Abdul Qadir Jilani, Imam Al-Ghazali oder Hazrat Inayat Khan.

Als Sheikh Ahmadou Bamba bereits eine sehr hohe spirituelle Reife entwickelt hatte, begann er die verschiedenen Glaubensschulen und -Orden unter dem gemeinsamen Banner des Islam zu einen. Dies geschah aber nicht nach eigenem Wunsch, sondern erfolgte durch das initiale Moment das Bamba erfuhr, als ihm sein Vater das Sufi-Geheimnis des Ordens der Qadiriyya übergab. Die Sufis sprechen da vom »Wird« einer Tariqa (Sufi-Orden).

Einweihung im Sufitum

Das arabische Wort Wird steht für eine besondere, charakteristische Gebetsformel, die die Essenz einer Tariqa bezeichnet. Erst wenn ein Mouride die notwendige spirituelle Reife entwickelt hat und auch die nötige Stärke, um Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, vor allem hinsichtlich anderer, insbesondere aber als Lehrer und Geistiges Oberhaupt, erst dann wird ihm das geheime Wird von einem Meister übergeben, dem Sheikh (Ordensoberhaupt und spiritueller Lehrer eines Sufi-Orden). Damit nimmt er dann die Stellung eines neuen Gliedes in der Silsila ein, der »Goldenen Kette« von Sheikhs, die ihn über frühere Generationen auf den Propheten Mohammed (as) zurückverbindet. Im Sufitum existieren zwei Linien: eine Silsila beginnt mit dem Kalifen Hazret Ali, die andere mit Abu Bakr.

Ahmadou Bamba wurde durch die Einweihung durch seinen Vater also zum Sheikh der Qadiriyya-Bruderschaft. Und wer die Silsila hält, den nennt man einen »Marabout« – einer der, so wörtlich, »aufgenommen« wurde, beherbergt in der Gemeinschaft der Diener Allahs. In ganz West-Afrika tragen hohe Eingeweihte diesen Titel, der sie als spiritueller und religiöser Lehrer und Anführer auszeichnet. In diesem Titel klingt auch an, was man etwa im persischen Sufismus den »Murschid« nennt. Ein Marabout ist aber weit mehr, als das man ihn mit nur wenigen Sätzen beschreiben könnte. Unter ihnen leben sowohl wandernde Heilige die nur von Almosen leben, doch auch einfache Koranlehrer an islamischen Schulen oder eben so einflussreiche Sheikhs wie Ahmadou Bamba.

Das Bamba seinen eigenen Orden, die »Mouridiyya« gründete, lag wohl daran, dass ihm die Überlieferungen des Qadiriyya-Ordens nicht ausreichten. Sein Durst nach wahrhaftiger Verbindung mit dem Allerbarmer war stärker. Für seine Schüler war Sheikh Ahmadou Bamba der Inbegriff eines Gottesdieners, dessen Aufgabe es war den Koran und die Gebräuche der Glaubensgemeinschaft zu schützen.

Ein Gottesdiener zum Schutze der Gläubigen

Die schnelle Ausbreitung des Islam war nur möglich, da der Prophet Mohammed und seine Anhänger als Einheit handelten. Das war Ahmadou Bamba klar gewesen und er wusste, dass das nicht etwa dem Wunsche Mohammeds nach geschah. Er war vielmehr der letzte Gesandte, der damals das höchste Amt als Gottesbote auf Erden innehatte, um den Befehl des Allmächtigen zu übermitteln und in gemeinschaftlicher Einheit einen himmlischen Plan zu erfüllen.

In diesem Sinne sahen die Mitglieder der Mouridiyya auch das Handeln ihres Sheikhs und halfen ihm überall im Land Koranschulen zu eröffnen. In diesen besonderen Einrichtungen erlernten die Adepten nicht nur die Grundlagen des islamischen Glaubens und des Sufismus, sondern erhielten auch eine landwirtschaftliche und kaufmännische Ausbildung. Kein Wunder, dass bis heute die senegalesische Wirtschaft in der Verantwortung der Mitglieder der Murdiyya liegt. Ihnen verdankt das Land auch seine wirtschaftliche und agrikulturelle Entwicklung. Die Mitglieder der Mouridiyya sind ein mystischer Sufi-Orden, für den insbesondere die Liebe zur Arbeit eine zentrale Rolle spielt.

Glaubenslehren der Mouriden

Sheikh Ahmadou Bambas lag besonders viel daran, seine Jünger zu edlen Charakteren zu erziehen, wie es die Getreuen des Propheten Mohammed (as) waren. Damit sagen die Mitglieder des Mouridiyya-Orden über sich, dass sie sich von anderen Tariqas (Sufi-Orden) unterscheiden. So heißt es, dass Sheikh Bamba immer betonte:

Arbeitet als ob ihr niemals sterben würdet und betet als würdet ihr morgen sterben und Arbeit ist ein Teil der Religion.

Und in der Tat entsprechen diese Aussagen den Lehren des Islam. Jeder seiner Anhänger sollte entweder Imam einer Moschee oder Leiter an einem Arbeitsplatz sein. Ihre zentrale Lehre dabei waren für die Mouriden drei festgelegte Grundsätze:

  1. Islam durch Fiqh: die Erkenntnis und das wahre Verstehen der religiösen Normen des Islam.
  2. Iman durch die sechs Artikel des Glaubens: der Glaube an Gott (1), an seine Engel (2), an seine Bücher (3: Offenbarung der Torah an Moses, die Evangelien an Jesus, den Koran an Mohammed), an seine Propheten (4: Adam, Henoch, Noah, Abraham, Ismail, Jakob, Josef, Hiob, Moses, Aaron, David, Salomon, Elija, Jona, Zacharias, Johannes der Täufer, Jesus von Nazareth, Mohammed), an das Jüngste Gericht und das jenseitige Leben (5) und der Glaube an die Vorherbestimmung (6: ganz gleich ob sie gut ist oder schlecht).
  3. Ihsan durch Sufismus: Hier geht es um den Inneren Glauben (Iman) eines Menschen, der sich sowohl in seinen Taten und Handlungen ausdrückt. Hieraus ergibt sich die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen eines Mouriden, worin er sich selbst perfektioniert und ein Individuum ganz edler Gesinnung wird, immer wissend, das Allah über sein Leben und sein Werke wacht.

Die Mouriden (wie auch andere Sufis) streben also nach einem Islam, den sie zuerst nur in sich zu verwirklichen suchen. Eine Richtschnur dabei bildet die Scharia, dem »Weg zur Quelle« wie die Sufis sagen. Wer ihm, ihn folgend beschreitet, findet dabei sowohl Ritus und religiöses Gesetz. Um dies aber zu erfüllen, hat ein Mouride in seinem Ritualleben bedingungslos persönliche Verpflichtungen zu erfüllen (arab. Fard Al-Ayn): die täglichen fünf Gebete, das Fasten im Monat Ramadan, die Teilnahme am Freitagsgebet in der Moschee und die Almosensteuer.

Diese Verpflichtungen ordnen sich dem sogenannten Dreieck der Mouridiyya unter, die ein Mitglied dieses Ordens zu erfüllen hat:

  1. Liebe zu Allah und seinem Sheikh.
  2. Arbeit im Namen Allahs als Diener der Menschheit.
  3. Durch Liebe und Arbeit erkennt man allmählich das göttliche Licht hinter Allem, das jedoch im Herzen erkannt, mit dem »Auge des Herzens gesehen« wird.

Ein Erneuerer des Glaubens

In seinem Buch Kitab Al-Mulahim, notierte der islamische Traditionarier Abu Dawud As-Sidschistani (817-888) einen Ausspruch des Propheten Mohammed (as), worin dieser sprach:

Zu Beginn eines jeden Jahrhunderts wird Allah seinen Gläubigen (arab. Ummah) einen Erneuerer (arab. Mudschaddid) des Glaubens und des religiösen Verständnisses senden.

– Aus den Sahih Hadithen

Einen solchen Mudschaddid sehen seine Anhänger in Ahmadou Bamba. Manchmal nennen die Mouriden ihren Orden auch den »Weg der Nachahmer des Propheten«.

Der Legende nach verfasste er mehr als tausend, in klassischem Arabisch abgefasste Schriften, die sich allesamt auf den Koran und die Hadithen beziehen.

Wenn es nicht im Koran oder in den Hadithen ist, ist es nichts was einer von mir vernimmt.

– Aus »Der Pfad des Mouriden Sadiq« von Ahmadou Bamba

Im Senegal ist der Ruf der Mouridiyya auch deshalb so gut, da manche Eltern ihre Söhne eher in den Kreis eines Marabout schicken, als ihn in an eine gewöhnliche Schule zu geben. Dabei wird den Jungen der Islam, auf eine mystische Weise vermittelt und ihnen gleichzeitig beigebracht, wie sie durch richtiges Arbeiten und Handeln ihr eigenes Geld verdienen können. Eine recht zweckmäßige Angelegenheit, an der es scheinbar an vielen Orten Europas heute tatsächlich mangelt.

Friedlicher Kampf gegen den französischen Kolonialismus

Als Ahmadou Bamba zur Welt kam, befand sich sein Land unter französischer Kolonialherrschaft. Als Bamba ein Jahr alt war, ernannte man 1854 den französischen General Louis Faidherbe (1818-1889) zum Gouverneur des Landes. Er aber war offenkundig Feind des Islam und hasste außerdem alle Afrikaner. Allerdings sprach er sehr gut arabisch und war ein Kenner der Geografie des afrikanischen Kontinents. Es war ihm jedoch daran gelegen den Islam in Afrika tatsächlich auslöschen zu wollen – einer Religion, die dort seit dem 9. Jahrhundert praktiziert wurde.

In den kommenden Jahrzehnten aber wuchs die Gemeinschaft um Bamba so gewaltig an, dass die Vertreter der von Faidherbe so gehassten Religion, bei weitem in der Überzahl waren. In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts war Sheikh Bamba für viele Senegalesen ein wirklich wichtiger Mensch gewortden, eine Größe die man wirklich als Heiligen verehrte – auch wenn das gänzlich unislamisch ist und auch gegen die Auffassung Bambas gewesen sein dürfte. Wie dem auch sei, wuchs Bambas Anhängerschaft sehr schell, so dass das die franzöischen Kolonialherren wirklich beunruhigte. Ihre Oberhäupter nämlich befürchten, dass Bamba darin vielleicht eine Chance zur Bildung einer Armee sehe.

Die französischen Kolonialherren begannen also damit Informationen über Bamba zu sammeln. Schließlich wurde er 1895 nach Gabun ins Exil deportiert. Es war echt außergewöhnlich, welchen Einfluss Bamba zu dieser Zeit auf die Menschen im Senegal ausübte. Es bildeten sich gar Legenden um ihn. Auf dem Schiff ins Exil soll er trotz Gebetsverbots und angelegte Eisenfesseln, sich aus ihnen befreit haben, um seine Pflichtgebete zu erfüllen. Schwere Folter nahm er hin und überlebte gar eine versuchte Hinrichtung. Andere erzählten, dass ihn die Franzosen in einen Löwenkäfig sperrten, doch die Tiere legten sich neben ihn und schliefen friedlich ein.

Den Effekt, den die Kolonialregierung mit seiner Deportation erzielt hatte, war also genau wider ihre Erwartungen. Denn all ihr Handeln gegen ihn, erhöhte Bambas Ansehen im Senegal immer weiter. Es war in dieser Zeit in der Ahmadou Bamba eine neue Form des Dschihad einführte: den Dschihad Al-Akbar, den »Großen Dschihad« – einem Kampf der im Namen des Glaubens, des Wissens und Gottesfurcht geführt wird. Damit schuf er die Fundamente einer neuen Gesellschaft in seinem Land, die sich weit über das erhob, was man als Widerstand gegen die Kolonialherren nennen könnte. Durch seinen Einfluss aus der Ferne, bereitete er im Senegal etwas vor, dass ihn für die Mouridiyya bei seiner Rückkehr zum Kalifen Gottes auf Erden machen sollte.

Ibrahima Fall - ewigeweisheit.de

Ibrahima Fall (1855-1930): engster Vertrauter Ahmadou Bambas.

Sheikh Ahmadou Bambas Rückkehr aus dem Exil

Im Juni 1912 ließ die französische Kolonialregierung Ahmadou Bamba zurückkehren, doch setzte ihn in der west-senegalesischen Stadt Diourbel unter Hausarrest, etwa 40 km von Touba entfernt, der Heiligen Stadt der Mouridiyya. Nach Diourbel aber folgte ihm sein wichtigster Schüler Sheikh Ibrahima Fall (1855-1930).

Trotz dieser Umstände aber, ließ Bamba erkennen, dass er keinerlei kriegerische Absichten hatte. Hiermit wurden die Beziehungen zwischen den Einwohnern und der Kolonialherren weiter verbessert. Ein wichtiger Grund dafür, dass die Bruderschaft der Mouridiyya immer weiter expandierte. Dies erfolgte in den von Ibrahima Fall gegründeten Stadtvierteln, den Keur Sheikh. Hierbei entstand die Gemeinschaft der »Baye Fall«, die ganz rasant zu einer neuartigen Bruderschaft heranwuchs, sich gemäß ihrer Silsila (siehe oben, »Goldene Kette«) jedoch auf Sheikh Ahmadou Bamba berief.

Gewaltlosigkeit als »Waffe«

Trotz dass er unter Hausarrest stand, erreichte Ahmadou Bamba durch seine Gewaltlosigkeit auf ähnliche Weise das, was später auch Gandhi oder Martin Luther King erreicht hatten. Im Gegensatz zu ihnen, die beide in ihrem Lebenswerk für Gewaltlosigkeit einstanden, starb Ahmadou Bamba nicht durch Gewalt, sondern friedlich in seinem Haus in Diourbel.

Bamba war nun eben ein durch und durch gläubiger und frommer Mann, in dem seine Anhänger ein »Gefäß der göttlichen Weisheit« sahen. Sie sagten außerdem, dass es etwas gibt, dass jenseits und über dem steht, was man allgemein unter »menschlicher Vernunft« versteht. Das war für Bamba seine vollkommene Hingabe an Gott. Diese Art Hingabe erfolge laut Bamba, nur durch ein vollkommen geläutertes und reines Herz. Wieviele unter jenen, die in der Geschichte als Größen der Weltpolitik in Erscheinung traten, waren zu solch Läuterung in der Lage?

Nur wer seinen Glauben so weit veredelt, dass er tatsächlich zu spiritueller Vervollkommnung aufstrebt, der wird befähigt zum Gefäß göttlicher Inspiration und Führung zu werden. Ahmadou Bamba wusste das ebenso, wie man es auch im Koran offenbart findet, was die folgenden Suren wiedergeben:

Fürchte Allah und Allah wird dich lehren.

– Sure 2:282

O ihr Gläubigen! Wenn ihr Allah fürchtet, wird er euch ein Richtmaß gewähren (um zwischen richtig und falsch zu entscheiden).

– Sure 8:29

Dies ist das Buch; darin ist sicherlich all jenen Gottesfürchtigen ohne Zweifel rechte Führung.

– Sure 2:1

Und jene welche, die in uns streben, ihnen werden wir sicherlich die Pfade weisen: Denn wahrlich ist Allah mit jenen die recht handeln.

– Sure 29:69

Darum harre geduldig aus: denn das (gute) Ende ist den Gottesfürchtigen.

– Sure 11:49

Ein dialektisches Prinzip von Glaube und Führung

Laut der Philosophie Amadou Bambas reicht das, was wir durch Gott direkt erfahren können weit über das hinaus, was man als Mensch an Weistum verbreiten oder lehren könnte. In dieser direkten Gotteserfahrung liegt vollkommene Klarheit im Verstehen der Wirklichkeit und letztendlich die Möglichkeiten zu wahrem Erfolg. Nur in dem was die Muslime »Taqwa« nennen, die »Gottesfurcht«, lässt sich die notwendige Klarsicht entwickeln, um die eigentlichen Gebote der göttlichen Wahrheit zu empfangen, die laut Bamba eigentlich jeder Mensch auf seine Weise zu erfüllen hat.

Gottesfurcht heißt nicht »Angst vor Gott«, sondern ist gleichbedeutend mit der ständigen Anbetung Gottes durch eigenes gutes Handeln. Wenn Amadou Bamba daher von einem »Spirituellen Dschihad« sprach, war damit etwas ganz anderes gemeint, als was der Begriff »Dschihad« heute missverstanden wird: nämlich als religiöser Fanatismus. Eher ging es Bamba darum seinen Schülern und Gefolgsleuten besondere Prinzipien zu vermitteln:

  • Die Perfektionierung ihres eigenen Glaubens,
  • ihre Entwicklung bedingungslosen Gottvertrauens,
  • ihre Hingabe an das Studium der Heiligen Schrift und die Pflichtgebete,
  • sowie das richtige Verhalten hinsichtlich islamischer Moralvorstellungen, die man sich durch eine richtige Bildung und die Entwicklung einer klaren Sicht erarbeiten soll.

Wer dem nicht so tat, dessen Glaube an Allah galt nicht mehr als der vergebliche Versuch in die Leere zu greifen. Wahre Gottesfurcht ist eben höher als alles diensteifrige Beten. Echte spirituelle Stärke erlangt nur, wer sein ganzes Streben ausrichtet auf die geistigen und moralischen Prinzipien des islamischen Glaubens, wie auch der Sunna, der Glaubensgemeinschaft des Propheten Mohammed (as).

Wahrlich, Allah wird jene verteidigen die glauben

– Sure 22:38

Die Wege auf denen diese Prinzipien verstanden werden konnten, wurden nämlich immer wieder durch die Bruderschaften der Sufis erneuert.

Das dialektische Prinzip von Glaube und Führung bildet das spirituelle Fundament in Bambas Denken. Und unter dieser Führung verstand er all das, was ihn in seinem Handeln schütze und ihn führte. All das geschah durch ihn selbst, da er seine Hingabe an Gott so weit in eine Klarheit brachte und perfektionierte, dass sich ihm quasi nichts mehr in den Weg stellen konnte. Nur so auch konnte er die französischen Kolonialisten »besiegen«, ohne sich ihnen zu widersetzten. Allein durch den inneren Dschihad den er führte, gelang ihm das, als ein Mensch der erfüllt war vom unerschütterlichen Glauben eines rechtschaffenen Menschen. Was Sheikh Ahmadou Bamba als Kampf in sich selbst austrug, führte zur Reinheit seines spirituellen Herzens, dem was die Sufis »Qalb« nennen. Nur damit konnte er sein Dasein dem Wohle der Menschheit widmen.

Somit hatte das Wort »Dschihad« für Ahmadou Bamba eine weit größere Bedeutung als nur das, was bis heute viel zu viele Menschen in das Wort hinein interpretieren. Denn sein innerer Kampf des Dschihad war nichts gegen die Menschheit, sondern etwas, das gegen seine inneren Feinde gerichtet war: Wesenheiten und Gedanken-Phantome die jeder von uns in sich trägt, die anstacheln zu gedanklichen Selbstgesprächen und in solchen inneren Dialogen unsere Geisteskräfte vergeuden. Erst wenn solche widerstrebenden Kräfte in uns ausgemerzt und die damit einhergehenden Hindernisse ausgeräumt wurden, entsteht die notwendige »Leere«, die im Menschen ein wahres Empfinden erzeugt, womit er im Stande ist auch seinem Gegenüber, allein durch seine Anwesenheit, Ängste und Wut zu nehmen.

Hätte Ahmadou Bamba nicht die Kraft besessen, diesen inneren Kampf auch tatsächlich auszutragen, wäre er wohl einer der unzähligen Muslime geblieben, die vor ihm, gegen die französischen Besatzer im Senegal gekämpft hätten.

Es war also ein gewaltloser Widerstand, dem sich Ahmadou Bamba ergab, als er sich freiwillig 1895 ins Exil begab. Damit ging er weit darüber hinaus, wozu ein »Normalsterblicher« überhaupt in der Lage ist. Denn er stand über allem Wunsch sich zu empören und daraufhin reagierend in den Widerstand zu gehen, gegen all die Ungerechtigkeiten die ihm und seinen Landsleuten angetan wurden.

Somit scheint, als wäre tatsächlicher, äußerer Widerstand insofern zum Scheitern verurteilt, sofern er noch mehr Leid erzeugt, wie etwa durch Kriege und revolutionäre Gewalt.

Die Große Moschee in Touba (Senegal) - ewigeweisheit.de

Durch Marabout Ahmadou Bamba kam es 1924 zum Bau der Großen Moschee von Touba. An ihren vier Ecken ragt jeweils ein 66 m hohes Minarette in den Himmel: Ein gematrisches Geheimnis (arab. Abjad)?

Zum Wohle und zum Frieden in der Welt

Im Jahr 1910 verfasste Bamba einen Rundbrief an seine Anhänger. Er forderte sie auf, so wie auch er, Gehorsam gegenüber der Kolonialmacht zu erbringen. So konnte er erreichen, dass seine Mouriden bis 1913 gute Beziehungen zu den Franzosen hatten. Auch seine Lehre von der harten Arbeit seiner Gefolgschaft, trug zur Sympathie aus Kreisen der Kolonialisten bei.

Am Prophetengeburtstag 1914 empfing er schließlich 4.000 Pilger aus ganz Senegal. In den kommenden vier Jahren waren es bereits 20.000 Mouriden. Die Zahl der Verehrer überstieg damit sogar die Anhängerschaft eines normalen Marabout. Somit gilt Bamba den Senegalesen tatsächlich als ein Nachfolger des Propheten Mohammed (as), doch auch einer der gekommen war um den Glauben des Islam zu erneuern.

Mit dieser Entwicklung begann Bambas eigentlicher Einfluss sich allmählich zu schmälern. Man sah in ihm einen Gotterwählten, den man irgendwann nur noch als lebendes Symbol des Glaubens wahrnahm, während seine Nachfolger begannen im Senegal die Kontrolle zu übernehmen.

1927 starb Ahmadou Bamba in seinem Haus in Djourbel. Man setzte ihn bei in der Stadt Touba – jenem Ort wo ein besonderes sakrales Bauwerk entstehen sollte: Die Große Moschee (siehe Abb.).

Das Erbe das Bamba der Nachwelt hinterließ, war durchaus etwas, das es bis zu seinem Wirken auf Erden nicht gegeben hatte. Denn wie wohl kaum einer vor ihm, verstand er aus sich selbst heraus einen Kampf zu führen, der, wie oben beschrieben, mehr erreichte, als je seine Vorgänger im Stande gewesen wären. Es war der Sieg eines inneren Dschihad über die äußeren Missstände in seinem Heimatland Senegal. Möge sein Vorbild dazu dienen, dass auch wir und jeder von uns auf ähnliche Weise zum Wohle und zum Frieden in der Welt beitragen.

 

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