Der Manichäismus – eine gnostische Weltreligion

Im Manichäismus, der im 3. Jahrhundert n. Chr. aus dem Boden der spätantiken Gnosis herauswuchs, begegnen wir einem umfassenden und in sich geschlossenen Religionssystem, das – von den Kirchenvätern heftig bekämpft – lange Zeit den gefährlichsten Rivalen des offiziellen, kirchlich verfassten Christentums darstellte.

Selbst ein so bedeutsamer Theologe wie Augustinus (354–430) hatte elf Jahre lang den Lehren des Manichäismus angehangen, bevor er zum offiziellen, das heißt zum Kirchen-Christentum übertrat. Begründet von dem Propheten Mani (215–277), stellt der Manichäismus eigentlich eine Mischung dar zwischen christlicher Gnosis und neupersischer Theosophie. Herausgewachsen aus einem Kulturraum, der sich zwischen Mesopotamien, Persien und Nordwestindien aufspannt, strebte der Manichäismus danach, das Christentum, den Zarathustrismus und den Buddhismus zu einer Synthese zu vereinen. Mit Fug und Recht kann man ihn als eine “gnostische Weltreligion” bezeichnen.

Im Mittelpunkt seines Systems steht zwar durchaus Christus, aber Zarathustra und Buddha werden als seine “Brüder” bezeichnet, und Mani selbst gilt als Verkörperung des Heiligen Geistes, des von Christus einst verheißenen “Parakleten”. Die Seelen der Menschen betrachtet der Manichäismus als göttliche Lichtpartikel, die durch eigene Schuld in die Welt der Materie, eine ihnen an sich fremde und feindliche Welt, herabgefallen waren; dort verbleiben sie als Gefangene der Materie, und ihre Erlösung liegt allein in der Rückkehr in die göttliche Ursprungs- und Lichtwelt. Dem Propheten Mani als Träger des Heiligen Geistes fällt mit dem Anbruch des “Dritten Zeitalters”, der Endzeit, der Auftrag zu, die gefallenen Lichtpartikel, also die auf Erden verkörperten Seelen der Menschen, zum Paradies zurückzuführen; dies geschieht durch konsequente Askese und Verneinung der Materie. Die folgende Zusammenfassung der Lehren des Mani stammt aus der Quellensammlung manichäischer Originaltexte, die im Jahre 1930 in Medinet Madi, Oberägypten, aufgefunden wurde:

“Drei Zeiten, lehrte Mani, bestimmen die Geschichte der Erde. In der dritten und letzten Zeit aber, die jetzt herrscht, werden die himmlischen Lichtteile aus der Welt in ihre Heimat zurückkehren. Der lebendige Geist läutert die Lichtpartikel aus Mensch und Natur und macht daraus die beiden Lichtschiffe, Sonne und Mond, andere aber erhebt er zu Gestirnen am Firmament. In der ersten Hälfte des Monats steigen die Lichtpartikel in einer Säule der Herrlichkeit zum Monde hinauf, bis dieser zum Vollmonde erfüllt ist. Danach werden die Lichtteile zur Sonne emporgetragen und von dort zum Lichtparadiese, sichtbar an dem zur Mondsichel verjüngenden Mond, dem sichtbaren Zeichen des leeren Schiffes. Die Seele aber steigt zusammen mit dem Bilde ihres Meisters und den drei Engeln, die bei ihm sind, auf, sobald sie den Körper des Menschen verlassen hat. Dann tritt sie vor den Richter der Wahrheit und empfängt den Siegespreis, das Lichtkleid und die Kronen, Kranz und Diadem, des Lichtes.”Das Hochziel der manichäischen Gnostiker besteht also darin, das ewige Lichtkleid der Unsterblichkeit zu erlangen und in die geistig-göttliche Sonnensphäre einzugehen. Hier offenbart sich deutlich das Erbe der altpersischen Zarathustra-Religion, die Mani zunächst zugrunde legte, dann aber als religiöser Reformer zu überwinden trachtete. Wie schon der Zarathustrismus trägt die Lehre des Mani weitgehend den Charakter einer esoterischen Lichtreligion, die den Gedanken des “inneren Lichtes” im Sinne eines dem Menschen einwohnenden Göttlichen in den Mittelpunkt stellt.

In den “großen Himmelslichtern” Sonne und Mond sahen die Manichäer allerdings keine wirklichen Astralgötter, ja eigentlich überhaupt keine Götter im üblichen Sinne, sondern nur Stellvertreter und Repräsentanten der höchsten überkosmischen Gottheit. In diesem Sinne schreibt ein unbekannter griechischer Autor um das Jahr 300 n. Chr. über die Manichäer, sie “verehren am meisten den Helios und die Selene, doch nicht als Götter, sondern als Weg, durch den sie zu Gott gelangen”. Denn die Sonnen- und Mondensphäre sieht der Manichäismus ja nur als Durchgangsstationen, die die Seele auf ihrer Reise zum transzendenten Lichtparadies – ihrer eigentlichen Urheimat – zu durchlaufen habe. Aber während Zarathustra noch auf ein kommendes Gottesreich auf Erden hoffte, predigte Mani – infiziert vom Geist der Gnosis – bedingungslose Weltflucht und Ablehnung der Materie. Den Schülern des Mani war “Materie” durchaus nichts Durchgeistigtes, und schon gar nichts Durchgöttlichtes, sondern im Gegenteil Bestandteil einer “gefallenen Natur”, gleichsam ein “Werk des Teufels”. Diese Sicht führte sie zu einer konsequenten Weltablehnung, die sie asketisch und wirklichkeitsfremd werden ließ. So konnte der an sich hochfliegende Geistesimpuls des Manichäismus im realen Leben nicht Fuß fassen; ja das Scheitern “neumanichäischer” Sekten wie die Katharer in Südfrankreich war im Grunde schon vorprogrammiert durch eine falsche und einseitige, nämlich dualistische Sichtweise.

Der Manichäismus gleicht einem Baum, dem nach jeder Seite hin viele Äste entsprossen – religiöse Bewegungen, Sekten, gnostische Kirchen, die mit ihrer Lehre vom “Inneren Licht” das Morgen- und das Abendland gleichermaßen erschüttern. Mani selbst, auch ein begnadeter Dichter und Schriftsteller, hatte schon zu seinen Lebzeiten eine rege Missionstätigkeit entfaltet, sodass seine Lehre bald ins frühe Christentum eindrang; in Babylonien, Syrien, Kleinasien, Ägypten und Nordafrika traten ganze Christengemeinden geschlossen zu ihm über. Schließlich reichte das Einflussgebiet der von Mani begründeten Religion von der Grafschaft Toulouse im Westen – der Hochburg des Katharertums in Südfrankreich – bis nach Turfan, Chinesisch-Turkestan, im Osten.

Im wilden Bergland am oberen Euphrat, in Armenien und Syrien, bildete sich um das Jahr 500 n. Chr. ein weiterer Ast aus dem Baum des Manichäismus: die Bewegung der Paulikianer: ein Volk von Kriegern, die den ganzen Osten Kleinasiens eroberten – anfangs von Byzanz heftig bekämpft, dann aber unter dem Einfluss der bilderstürmerisch gesonnenen Kaiser der Isaurier-Dynastie, seit Leon III. (717–741), offiziell geduldet, ja sogar gefördert. Zu Beginn des 9. Jahrhunderts, also zur Zeit Karls des Großen, begünstigt durch den Kaiser Nikephoros (803–811), konnten sie im ganzen oströmischen Reich ungehindert ihre Ideen verbreiten – vor allem auf dem Balkan, wo man sie schon vorher ansiedelte. Damit war der Funke der Gnosis von Asien nach Europa übergesprungen; die Paulikianer, nunmehr in Thrakien heimisch geworden, bildeten den Saatboden, dem nur kurze Zeit später die rein manichäische Bewegung der Bogomilen entspringen konnte.

Nachdruck aus dem Buch ‘Die Weisheit des Westens. Mysterien, Magie und Einweihung in Europa’, Hamburg 2016, S. 300-303.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

Der Titel kann hier bestellt werden: https://tredition.de

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