Der Baum des Lebens und die sieben Chakras

אור – Aur: das hebräische Wort für Licht. Hieraus ging der kabbalistische Lebensbaum hervor, sagt die jüdische Mystik und damit die Welt: überirdisch, irdisch und unterirdisch. Das System des Lebensbaumes, עץ חיים – Etz Chaim, spielt also, wie anzunehmen ist, die zentrale Rolle in der Kabbala. Der nämlich beschreibt die Vorgänge der göttlichen Schöpfung, wie sie das ספר יצירה – Sefer Yetzirah beschreibt: Das Buch der Formung.Kabbala Lebensbaum nach Rodurago

Der Lebensbaum ist unterteilt in sieben Stufen, die sich aus den zehn Urziffern zusammensetzen, den sogenannten zehn ספירה Sefiroth. Zwischen jeweils Zwei dieser Sefiroth befinden sich insgesamt 22 Pfade, wovon je einem ein hebräischer Buchstabe entspricht, der seinerseits ein Verbindungsglied zu den 22 Trümpfen im Tarot bildet.

Bevor da aber das Aur entstand, war (und ist) da das ewige Urlicht, das אין סוף Ayn Soph (oder En Sof) das noch nicht manifestierte, unendliche Licht Gottes. Es bildet allen Anfang und Ursprung und kann als die erste Motivation zur göttlichen Schöpfung angesehen oder vielmehr als die erste Bewegung dessen begriffen werden, was wir aus der Physik als Urknall kennen.

Das Göttliche, das sich jenseits allen menschlichen Verstehens befindet, bildete in sieben Stufen die Welt. Das waren die sieben Schöpfungstage in denen Licht, Wasser, Erde, Mond und Sonne, Tiere und Pflanzen und der Mensch entstand, sowie auch die Stille. Bemerkenswert ist die Parallele zu einem Zitat aus den hinduistischen Veden, in denen es heißt: »Am Anfang gab es Licht, Wasser und Materie. Und aus den Drei wurden viele«, wobei letztere Vielheit jegliche physische Existenzen umfasst.

Durch die Kontraktion und Expansion innerhalb dieser Stufen des Göttlichen Lichts, auch צמצום Tzim-Tzum genannt, entstanden die einzelnen Sefirot und somit alle Erscheinungen des Seins, innerhalb der vier Welten Assia (Erde), der Welt der Handlung, Yetzirah (Wasser), der Welt der Formung, Briah (Luft), der Welt der Kreation und Schöpfung, und der Welt Atziluth (Feuer) die alles Übernatürliche beheimatet.
Kether, die oberste Sefirah, stellt hierbei die Anwesenheit Gottes in der Schöpfung dar, während die unterste Sefirah Malkuth, die Materie beschreibt – die Erde, unseren Planeten. Zwischen diesen beiden Entitäten, liegt das menschliche Bewusstsein, dessen Zentrum die Sefirah Tiphereth ist. Sie steht für das Herz, dessen kabbalistische Zahl die Sechs ist, welche in der hermetischen Tradition der Sonne zugeordnet ist. Zwischen dem Selbstbewusstsein und dem Irdischen, liegt das Unterbewusstsein, aus welchem die Sefirah Yesod hervorgeht. Diese Sefirah ist der archetypischen Zahl Neun zugeordnet, der Zahl des Mondes.

Zwischen der Selbstbewusstheit und dem Unterbewusstsein, liegt im Baum des Lebens das Denken: links, in Sefirah Hod, das analytische Denken, rechts davon in Sefirah Netzach das kreative Denken. Die rechte Seite des Etz Chaim, beschreibt daraus folgend, das nehmende, weibliche Prinzip, welches sich durch die Sefirah Chokmah manifestiert. Das gebende, männliche Prinzip, auf der linken Seite, ist manifestiert durch die Sefirah Binah. Man stelle sich dies natürlich umgekehrt im menschlichen Körper selbst vor: die linke Seite der Abbildung, entspricht der rechten Seite des menschlichen Körpers und umgekehrt.

Im Lebensbaum gibt es sieben irdische Sefirot (Malkuth, Yesod, Netzach, Hod, Tiferet, Geburah, Chesed) und drei himmlische bzw. göttliche Sefirot (Binah, Chokmah, Kether). Diese sind voneinander getrennt und werden über die Erkenntnis (Daath) überbrückt. Diese »Bewusstseinsbrücke« steht in engem Zusammenhang mit der aus der verdischen Tradition bekannten Komplexität des Ayna, dem Chakra des dritten Auges.

Ausserdem finden Sie am Fuß meiner Illustration, die drei Säulen: die Härte (Binah, Geburah und Hod), die Milde (Kether, Tiferet, Yesod und Malkuth) und die Barmherzigkeit (Chokmah, Chesed und Netzach). Die Symbolik der drei Säulen weisst auf die Geheimnisse des salomonischen Tempels hin, dessen Tor auf diesen Säulen stützt. Zuerst wurde die Säule Jachin, dann die Säule Boaz aufgestellt – In der Mitte steht die imaginative Säule der Milde und Ausgleichung. Die an dieser Stelle abgebildeten hebräischen Buchstaben entsprechen den kabbalistischen Werten der drei aufrechten Pfade der Mitte, welche die Sefirot Kether (universelles Bewusstsein), Tiferet (Selbstbewusstsein), Yesod (Unterbewusstsein) und Malkuth (das Körperliche) von oben hindurch nach unten verbinden.

Sowohl in östlichen als auch in den westlichen, spirituellen Lehren, findet man die Systeme der Chakras (auch: Chakren) und die der Sefirot auch heute noch zusammen dargestellt. Anscheinend bietet es sich an, die sieben Stufen des Lebensbaumes mit den sieben Chakras in Verbindung zu bringen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts fanden diese beiden Systeme in den esoterischen Schriften zusammen.

Aber das Licht spielt sowohl in der Kabbala als auch in der tantrischen Chakralehre eine zentrale Rolle.

Durch das Schwingen des unendlichen Lichts (Ayn Soph Aur), entstehen die einzelnen Sefirot im Baum des Lebens, welcher in allen Wesen der Erde, ja wenn man so will, die Grundlage jeder seienden Existenz ist. Dieses innere Licht strömt über die sich drehenden Farbspiralen der Chakras aus den Körpern in die Umwelt des lebenden Wesens. Auch lässt sich dieses Phänomen auf Mineralien anwenden, denn so wie der Mensch zur Erinnerung fähig ist, können in Edelsteinen und Kristallen Informationen gespeichert, abgerufen und umgewandelt werden. Eigentlich ist das ganz einfach zu veranschaulichen, wenn man die Farbinformation des Rubins oder des Smaragds vor Augen hat: alleine schon durch ihr farbiges Licht wirken Sie auf die gesamte Wahrnehmung eine merkliche Wirkung aus und energetisieren hierdurch die jeweiligen Chakras des Körpers. Indigo, welches dem Stirn-Chakra als Farbe zugeordnet ist, wirkt auf den Organismus und die Psyche eher beruhigend und entspannend und wird als abkühlend wahrgenommen. Man denke hier an die Redewendung »einen kühlen Kopf bewahren«.

Sieht man genau hin, kann man erkennen, dass in der Tat gewisse »Zonen« die entsprechenden Bezeichnungen in beiden Systemen gemeinsam haben. Anahata, das Herz-Chakra ist das Zentrum, sowohl in der Physiologie als auch das Herz in der Kabbala und bezeichnet die Sefirah Tiferet oder auch das Schalom. Dieser Position werden im kabbalistischen Lebensbaum die Attribute Schönheit, Zierde, Balance, Spiritualität, Mitgefühl, Frieden und Integration zugewiesen.

Interessant ist auch der Zusammenhang der Pfade im Lebensbaum und deren Zuordnung zu einzelnen Körperregionen. Jeder Pfad entspricht einem physioloischen Körperteil und wie bereits oben erwähnt einem hebräischen Buchstaben, der als Hieroglyphe oder Piktogramm jeweils eine archetypische Bedeutung hat (Tarotkarten) und die Sefirot untereinander verbindet. So ist beispielsweise der Garten Gottes (das Königreich), die unterste Sefirah Malkuth, welche auf der selben Ebene mit dem Muladhara-Chakra sitzt. Diese Sefirah ist über die Pfade im Lebensbaum, mit den Bedeutungen für Zahn, Kreuz und Hinterkopf mit den darüberliegenden Sefirot (Hod, Yesod,  Netzach) verbunden.

Großes Augenmerk möchte ich auch auf die Betrachtung legen, dass in der Kabbala, die ersten drei Sefirot, nämlich Kether, Chokmah und Binah, ähnlich einem Baldachin, über dem Menschen schweben und als sein Über-Ich betrachtet werden können. Es steht in direkter Verbindung mit dem omnipotent Seienden, dessen universale Energie durch das Ayn (hebräisch für Auge) zur Manifestation in der physischen Welt gelangt. Ähnlich wie in den philosophischen Upanischaden der Veden möchte ich hier darauf anspielen, dass alles was in der Welt existiert nur deshalb ist, weil es ein Auge gibt, dass das Seiende betrachtet.

Auch ließen sich sehr gut Erweiterungen in Betracht ziehen, mit denen man den Kabbala-Baum des menschlichen Körpers in tantrischem Zusammenhang näher kommt – das Ayna nämlich, das dritte Auge, beschreibt ein gesamtes System subtiler Chakras (Ayna-System) welche den intellektuellen, psychisch-geistigen Ebenen des menschlichen Bewusstseins gleich kommen. Alleine die Orthographie der Wörter Ayn und Ayna, zeigen deutlich, dass es sich hier um die gleiche Ebene des Bewusstseins handeln muss.

Durch die Aufschlüsselung des Ayna-Systems in seine subtileren Chakras, lässt sich das Daat (Kabbala), was die Vereinigung des göttlichen Lichts und der menschlichen Wahrnehmung ist, als Transformation des menschlichen Bewusstseins verstehen. Auf diese Weise tritt sozusagen das Daat mit einem der Ayna-Chakras (Manas, Buddhi, Nirvana) in Resonanz, womit man den Vorgang bei »übersinnlichen« Wahrnehmungen beschreiben könnte. Hierdurch werden die mentalen Ebenen des Ayna-Chakras in vielschichtiger Weise in die göttliche Triade des Überirdischen (Kether, Chokma, Binah) erhoben und damit die Göttlichkeit erkannt.

Bewegt man sich weiter durch die einzelnen Sefirot, kann man mit Erstaunen feststellen, wie sehr diese Stufen des Seins sich in die Chakralehre einbetten lassen. Natürlich ist in diesen Zusammenhang nicht zu erwarten, in der kabbalistischen Literatur des Mittelalters solche Informationen zu finden. Vielmehr liegt es an uns selbst wie wir diese Ähnlichkeiten miteinander in Kongruenz bringen. Man kann sagen, dass wir Menschen diese Sefirot und Chakras auf sehr ähnliche Weise wahrnehmen, doch das Wichtigste ist, sich hierbei selbst aufmerksam zu beobachten – denn in der Kunst die Analogien dieser beiden Systeme zu finden, liegt das Erkennen der eigentlichen Zusammenhänge und darin die Meditation, wofür die mantrische Silbe Aum steht.

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