Ich bezeuge: Es gibt keinen Gott außer Allah und ich bezeuge Mohammed ist der Gesandte Allahs.
Das Glaubensbekenntnis der Muslime setzt sich zusammen aus der Bezeugung des Glaubens an die Einheit Gottes, und die Bestätigung, dass Mohammed Gottes Gesandter ist. Man nennt das die Schahada. Sie ist im Vergleich zu anderen Glaubensbekenntnissen jedoch etwas eigen: Den Glauben an den einen Gott nämlich bezeugen Muslime mit einer Verneinung!
Damit also unterscheidet sich das islamische Glaubensbekenntnis vom christlichen und jüdischen Bekenntnis, worin es ja heißt:
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Es wird also eine eindeutige Bejahung über das Wesen Gottes und den eigenen Glauben ausgesprochen. Etwas kürzer, im wesentlichen aber gleichbedeutend, ist das jüdische Sch’ma Israel:
Höre Israel! Adonai ist unser Gott, Adonai ist Eins.
In der Schahada findet sich nun aber das arabische Wort لا „La“ – das kein, Nein oder nicht bedeutet. Das Ausschließen des Polytheismus durch das Wort „La“, resultiert natürlich in einen Hinweis auf Gottes Einheit. Das heißt, der Vielgötterglauben wird somit verneint:
Es gibt keinen Gott außer Allah.
لا إله إلا الله
La ilaha illa Allah
Diese Verneinung ist also eine Lossagung von Falschem, so dass erst durch diese Trennung von der Unwahrheit, die Wahrheit bestätigt wird.
Denn wenn zu ihnen gesagt wurde: Es gibt keinen Gott außer Allah, pflegten sie sich hochmütig zu verhalten, und sprachen: Sollen wir unsere Götter aufgeben um eines besessenen Dichters willen? Nein! Vielmehr hat er die Wahrheit aller Gesandten gebracht und bestätigt.
– Sure 37:35-37
Es lässt sich in der Schahada ein ganz deutlicher Hinweis auf das Wesen des Koran erkennen, der aus einem gläubigen Individuum einen geläuterten, unbefleckten, unzweifelhaften Menschen machen will. Denn immer und immer wieder finden sich in den Versen des Koran solche Verneinungen und Ausschlüsse die den Gläubigen nachdrücklich dazu auffordern sich dem Guten zuzuwenden.
Diesem ersten, eben besprochenen Satz, folgt dann einer zweiter Teil des Glaubensbekenntnisses:
Mohammed ist der Gesandte Allahs.
محمد رسول الله
Muhammadun rasulu ‚llah
Nun heißt es, dass der Schaitan (arab. für „Satan“) zwar den ersten Teil akzeptiert, da er genau weiß, dass es nur einen einzigen Gott gibt. Mohammed als Propheten aber lehnt er ab, wie sich der 48. Sure entnehmen lässt:
Mohammed ist der Gesandte Allahs. Und die mit ihm sind, sind denen die nicht an Allah glauben gegenüber stark, doch gütig gegeneinander. Du siehst sie sich verbeugen, sich im Gebet niederwerfen, wobei sie nach Huld von Allah und seinem Wohlgefallen trachten. Die Merkmale stehen auf ihren Gesichtern als die Spuren der Niederwerfungen. Das ist ihre Beschreibung in der Tora. Und ihre Beschreibung im Evangelium ist das eines Getreidefeldes, worin Schößlinge treiben, dann sie stärker werden lässt, so dass sie dick und fest auf ihren Halmen stehen, den Sämännern zur Freude. Dies, damit die nicht glauben ergrimmen mögen. Allah hat denen unter ihnen, die glauben und gute Werke tun, Vergebung verheißen und großartigen Lohn.
– Sure 48:29
Das sind ganz deutliche Worte und wer (vielleicht) kein Muslim ist, wird sich schwer damit tun, sie ihrem Wesen nach auch tatsächlich erfassen zu wollen. Daher nähern sich manche diesen erhabenen Wahrheiten eher über den Pfad der islamischen Mystik, einen Pfad den die Sufis gehen. Sie nämlich pflegen eine unabhängige Grundhaltung gegenüber dem Islam. Allah ist für sie eins mit dem Kosmos und der Natur. Auch die Schwärze des gesamten Universums ist Teil dieser großen Einheit. Damit setzen sie eine fast noch selbstverständlichere, denn abstraktere Vorstellung vom Wesen ihres Glaubens voraus.
Ar-Ruh: Wesensessenz des Menschen
Das unsterbliche Selbst eines Menschen, dass in sich die Essenz seines Seelengeistes konzentriert, nennt man im Arabischen „Ar-Ruh“. Hierin liegt alles Wissen über das Wesen und den Inhalt des Universums, wie auch das Bewusstsein seines eigenen Ursprungs. Es steht in direkter Verbindung zum Göttlichen, ist ein Funke der göttlichen Weltseele, „Ruh-e-Qudsi“. Das gilt auch für das Ruh eines jeden Menschen – auch dann, wenn er nie von seiner Existenz erfuhr.
Ar-Ruh ist in etwa das, was die Theosophie als die Monade bezeichnet, den göttlichen Funken, der das Zentrum höchster Erkenntnis und esoterischen Verstehens bildet. Es ist eine geistig-spirituelle Instanz Gottes, die auf Erden umherwandert, sei es auf mineralischer, pflanzlicher, tierischer Ebene oder als spirituelles Wesenszentrum eines inkarnierten Menschen. Während der Mensche aber gestorben ist, lebt die Monade fort: Ar-Ruh hat einen Anfang doch existiert ewiglich.
Al-Qalb: Das spirituelle Herz
Sufis verwenden im Dhikr, manchmal die Schahada in leicht abgewandelter Form:
Es gibt keinen Gott außer ihm
لا اله الا هو
La ilaha illa Hu
Welche tiefere Bedeutung aber hat dieses „Hu“ هو am Schluss dieser Variante der Schahada?
Wenn die Rede von „ihm“ ist, geht es weniger um die begriffliche Beschreibung Gottes, die in der offiziellen Schahada durch den heiligen Namen „Allah“ erfolgt, als um eine erfahrbare Gewissheit über Gottes Gegenwart, deren Wirken ein Sufi in sich erlebt. Er spricht die Schahada in seinem Herzen. Damit ist aber nicht etwa das physische Organ gemeint, sondern das, was die Sufis „Al-Qalb“ nennen: das spirituelle Herz. In Qalb konzentriert sich höchste Weisheit. Darin glimmt das geistige Feuer von Ar-Ruh.
Denn Weisheit zieht ein in dein Herz, und Erkenntnis wird deiner Seele lieb.
– Sprüche 2:10, aus dem Mischle Schelomo (Biblische Sprichwörter Königs Salomo)
Das Herz ist das Haus Gottes, reinige es von allem,
was sich außer ihm (Gott) darin befindet,
damit der Barmherzige des Nachts in seinen
Palast hinabsteigen kann.
– Ibrahim Haqqi
In der Psychologie der Sufis gilt als höchstes Ziel, in diesem spirituellen Herzen Aufrichtigkeit, Liebe und Mitgefühl zu entwickeln. Sie sprechen dann von der Herz-Intelligenz, die tiefgehender, jedoch mit höherer Vernunft begabt ist, als das rationale Denken.
So wie das organische Herz Blut im Körper verteilt, nährt das spirituelle Herz die Seele mit Weisheit und Licht. Durch dieses heilige Strahlen von Al-Qalb, erzielt der Sufi die Reinigung der Wesensmerkmale seiner persönlichen Ich-Natur. Und das hat eine höhere Bedeutung. Denn aus seinem Ich strömt die Emotionalität seiner Existenz. Sie nennt man „An-Nafs“: das Seelen-Ich oder Ego. Al-Qalb fungiert als Mittler zwischen Ar-Ruh und An-Nafs. Qalbs Aufgabe ist es, damit die Nafs zu kontrollieren und den Menschen in Richtung des höheren Geistes zu geleiten, während das Ego immer kleiner wird.
An-Nafs: Das Seelen-Ich
Um jedoch diese Stufe weltlich-göttlichen Empfindens zu erreichen, sollten wir uns noch einmal obige Aussage ansehen: nämlich dass die Verneinung in der Schahada, auf die Absicht des Heiligen Koran hindeutet, den Menschen von seinen schlechten Eigenschaften zu reinigen und aus ihm ein vollkommenes In-Dividuum zu machen: einen ungeteilten, ganzen Menschen. Dafür steht der arabische Begriff Tazkiah An-Nafs.
Tazkiah An-Nafs enthält das arabische Wort „Nafs“, im Sufismus ein spirituelles Konzept zur Beschreibung des menschlichen Ich. Im Koran wird die Nafs häufig in ihren drei Stufen erwähnt. Sie bilden die Stadien in der menschlichen Entwicklung, die die Seele veredeln und den Menschen zur vollkommenen Beherrschung seines triebhaften Empfindens führen.
Das Wort Tazkiah weist seinem Ursprung nach hin, auf das Stutzen einer Pflanze. Man stutzt alles, was sie in ihrem Wachstum behindert. Bezogen auf die Persönlichkeit eines Menschen, geht es darum sie von allen Spuren jedes nur erdenklichen Übels zu befreien. Alles was sie an Gotterkenntnis hindert, wird durch Tazkiah An-Nafs entfernt.
An-Nafs Al-Ammara
Mit dem Tier, hat der Mensch die Triebseele gemein. Sie steht unter dem bösen Einfluss Schaitans.
Und ich spreche mich selbst nicht frei von Schwäche. Denn die Nafs gebietet fürwahr oft Böses, außer dass mein Herr Sich erbarmt. Fürwahr, mein Herr ist allvergebend und barmherzig.
– Sure 12:23
So spricht der Prophet Josef in der 12. Sure über sein Schicksal. Vom seinem schönen Äußeren betört, verspürte die Zuleikha Verlangen nach Josef, was dieser jedoch nicht erwiderte (vergl. Genesis 39). Ihre Seele stand unter dem Einfluss von Schaita, der ja ebenso Eva verführte. Ihr Wirken ist dafür verantwortlich, dass Al-Qalb, vom Wesen des körperlichen, tierischen Menschseins überwältigt wird. Die Nafs ist das niedere Selbst, dass den Menschen verleitet übel, unmoralisch zu handeln.
An-Nafs Al-Lawwama
Wer diese Stufe der niederen Triebhaftigkeit in sich erkannte, der wird sich der Stimmen seines „tadelnden Ichs“ gewahr: dem An-Nafs Al-Lawwama. In diesem Stadium erwacht das menschliche Gewissen, dass das Selbst veranlasst das Ego in Frage zu stellen.
Nein! Ich rufe zum Zeugen die sich selbst tadelnde Seele.
– Sure 75:2
Der arabische Begriff Lawwama meint die Fähigkeit sich der Triebseele zu widersetzen und Gott um Vergebung zu bitten, für die Verfehlungen der Triebseele.
Ich bitte Allah um Vergebung
أَسْتَغْفِرُ الله
Astaghfirullah
Dieses tadelnde Ich wacht über die Handlungen eines Menschen und hilft ihm seine Triebe zu zügeln. Doch es ist mehr als das.
Hier erfährt ein Mensch die negativen Auswirkungen seiner ego-zentrierten Sicht auf die Welt. Auch wenn ein Sufi in diesem Stadium des Läuterungsprozesses, sich noch nicht in der Lage befindet, sich tatsächlich zu verändern, empfindet er seine schlechten Taten jedoch als großes Übel – etwas, das er verändern will. Hier beginnt er zu bedauern. Auch wenn er erneut Fehler begeht, ist er sich derer aber jedesmal voll bewusst. Das ist die Voraussetzung, sich auf die nächste Stufe der Vervollkommnung zu begeben.
Nun ist sein Ich inspiriert und der Sufi beginnt wirkliche Zufriedenheit zu empfinden, in seinem Pflichtgebet (Salaat), in den Bittgebeten (Dua) und in der spirituellen Meditation (Dhikr). Jetzt nämlich beginnt er zu ahnen, was Religion und Spiritualität eigentlich bedeuten. Diesen Zustand nennt man auch An-Nafs Al-Mulhima, das „Beruhigte Ich“, was eine Zwischenstufe zum höchsten Stadium des An-Nafs Al-Mutma’inna bildet.
Langsam beginnt ein Mensch hier wirkliche Liebe und Zuneigung zu seinen Mitmenschen zu empfinden. Besonders was jemand an eigenem Leibe erlitten hat, weiß er auch an Mitgefühl für andere zu entwickeln. Hier erst ist jemand dazu fähig wahre spirituelle Praxis auszuüben.
An-Nafs Al-Mutma’inna
In diesem letzten Stadium des Läuterungsprozesses, empfindet der Sufi größte Zufriedenheit und Gottvertrauen.
O beruhigte Seele kehre zu deinem Herrn zurück, befriedigt und mit Wohlgefallen. Tritt denn ein unter meine Diener, und tritt ein in mein Paradies.
– Sure 89:27-30
Wer diese Stufe erreicht, ist frei von Achtlosigkeit. Was ihn zuvor noch quälte ist nun vorüber. Hier hat seine Seele Frieden gefunden.
Es sind diejenigen die glauben und deren Herzen im Gedenken Allahs Ruhe finden. Sicherlich, im Gedenken Allahs finden die Herzen Ruhe!
– Sure 13:28
Dieses Stadium bildet den Ausgangspunkt wahren Mitgefühls und vollkommener Liebe. Ein Sufi, der diese Stufe erreicht hat, befindet sich auf dem Weg die Liebe Allahs, „Ischq“, durch sich und sein Handeln, auch anderen zufließen zu lassen.
Somit schließlich gelangt der Sufi zu einer Schahada der Liebe, die etwa lauten könnte:
Es gibt keinen Gott außer der Liebe.
لا إله إلا عشق
La ilaha illa Ischq