Sinnbild für Shunyata - ewigeweisheit.de

Shunyata: Alles ist Leerheit

In eigentlich allen philosophischen Schulen des Buddhismus ist die Idee einer eigentlichen Leerheit allen Seins von zentraler Bedeutung. Da gibt es kein den Dingen innewohnendes Dasein – weder in Bezug auf Körperliches, noch auf Geistiges.

Sowohl inneren, wie auch äußeren Erscheinungen fehlt damit jeder substanzielle Inhalt. Demgemäß aber stehen Inneres und Äußeres in direktem Zusammenhang miteinander und man könnte sagen, dass einen das zu der Erkenntnis führt, dass sich dabei auch alle Ebenen der Wahrnehmung auflösen müssen. Indem die Beziehung zwischen einem Gegenstand und seinem Zweck, von einem Menschen richtig erkannt wird, offenbart sich dem Beobachter dabei ein natürlicher, jedoch nicht-dualer Raum (das heißt also ein in sich einheitlicher Raum). Ein Mensch begönne da die wahre Natur des Geistes und der äußeren Erscheinungen zu erkennen. Ohne diese Erkenntnis aber, könnte das wahre Wesen der Dinge nicht verstanden werden – so die buddhistischen Weisen.

In gewisser Weise aber ist es gefährlich, den Hintergrund des hier Postulierten misszuverstehen. Denn wenn da von »Shunyata«, also einer Leerheit allen Seins die Rede ist, könnte das die eine oder der andere so auffassen, als handele es sich um einen Nihilismus, der ja dem Glauben an eine Sinnlosigkeit allen Daseins entspricht.

Existenz, bar jeder Individualität

In den Lehrreden des Buddha Siddhartha Gautama, wie wir sie im Pali-Kanon finden (der großen Sammlung buddhistischer Lehrreden), wird der Begriff der Leerheit an mehreren Stellen überliefert. In der ihm zugehörigen Schriftensammlung der Samyutta-Nikaya finden wir die Schilderung eines Dialogs, zwischen dem Buddha und einem seiner Schüler, Ananda:

Ananda: »Welt, Welt« sagt man, o Herr. Inwiefern aber, o Herr, sagt man »Welt«?

Buddha: Was da Dinge des Welkens sind, Ananda, das nennt man in der Ordnung des Edlen »Welt«. Was sind Dinge des Welkens, Ananda? Die sechs Innen- und Außengebiete, die sechs Arten des Bewusstseins, die sechs Berührungen, die achtzehn Gefühle. Was da Dinge des Welkens sind, das wird, Ananda, in der Ordnung der Edlen »Welt« genannt.

Ananda: »Leer, ist die Welt, leer ist die Welt«, o Herr, sagt man. Inwiefern aber wird gesagt, die Welt sei leer?

Buddha: Was da, Ananda, leer von Ich und zum Ich Gehörigen ist, zu dem, Ananda, wird gesagt: »Leer ist die Welt«. Was aber ist leer von Ich oder zum Ich Gehörigen? Die sechs Innen- und Außengebiete, die sechs Arten des Bewusstseins, die sechs Berührungen, die achtzehn Gefühle. Das ist leer von Ich und zum Ich Gehörigen.

– Samyutta Nikaya 35:85

Wenn in diesem Dialog zum einen die Rede ist vom Leersein, und andererseits vom Ich, so bezieht sich Letzteres auf eine entsprechende Ichlosigkeit. Das etwa wäre, aus praktischer Sicht, ein bereits aufgelöster Ego-Anteil im Bewusstsein eines Menschen. Hat der Buddhist dies verwirklicht, ist er keine individuelle Person mehr, sondern leer. Das bedeutet: Alles was ein Mensch ist, zu dem wurde er. Er ist entstanden durch Zusammensetzung, doch wird genau so auch wieder zerfallen.

Die Leerheit des Shunyata basiert auf der Vorstellung vom »Nicht-Ich« oder »Nicht-Selbst«, die allem Glauben an die Existenz einer ewigen und unzerstörbaren Essenz des Geistes offenkundig widerspricht (solch ewig bestehende geistige Essenz aber, stellt man sich gemäß abendländisch-religiöser Lehren vor als die Existenz der Seele). Interessant dabei allerdings ist, dass zwar, laut dieser buddhistischen Lehre, alles um uns herum sein lebendiges Dasein hat, jedoch ebenso wie wir, aller Wesentlichkeit entbehrt und damit keine Individualität besitzt. Damit also unterscheiden wir uns nicht mehr von dem, was uns umgibt, so dass alles davon mit uns eins ist, wenn auch leer ist.

Im Gegensatz zu Annahmen etwa aus den abrahamitischen Religionen, blickt der Buddhismus also auf den Raum und nicht auf die Objekte darin. Denn im Raum findet alle Existenz statt, findet Lieben und Leiden statt – ganz real. Doch diese Realität wird dieser Vorstellung einer eigentlichen Leerheit gerecht. Man könnte darum durchaus die Frage stellen, ob es dann nicht eigentlich sinnlos wäre noch an irgend etwas festhalten zu wollen, wenn es doch eigentlich leer ist. Denn mit allem, das an einem Anhaften an das Sein festhält, und dazu zählen sowohl materielle Dinge, wie auch besondere Gefühle und Gedanken, gehen leider auch alle Übel des Seins einher. Durch eine Desidentifikation von den Gegenständen des Seienden aber, kann man sich von Leid und Schmerz erleichtern. Dann nämlich würde einem vielleicht bewusst, dass man zwar bestimmte Gedanken, Gefühle und Empfindungen hat, doch diese kein Teil von einem sind, da, wenn wir Leerheit sind, ja auch nichts ein Teil von uns sein kann.

Shunyata in den Weisheitslehren des Bodhisattva Prajnaparamita

Der im Buddhismus verwendete Begriff für das Dharma, steht für eines der vom Buddha erkannten und verkündeten Daseinsgesetze, zu denen der Buddhist im Gebet Zuflucht zu nehmen vermag. Es ist da die Rede von den sogenannten »Drei Juwelen der Zuflucht« (sanskr. Triratna):

  • Ich nehme Zuflucht zu Buddha (die Gegenwart des Erwachten).
  • Ich nehme Zuflucht zum Dharma (die ethische Lehre des Buddha).
  • Ich nehme Zuflucht zum Sangha (die Gemeinschaft der Edlen, das sind die buddhistischen Mönche und Nonnen).

Gemäß den Prajnaparamita-Sutras, die im Buddhismus als Lehren vollkommener Weisheit gelten, entbehren alle Dharmas einer ihnen inwendigen Natur. Sie bestehen also nicht an sich, noch basieren sie auf einer ewigen und essentiellen Lehre. Die Lehren des Dharma existieren ganz und gar nur als Begriffe und sind damit reine Konstrukte des Geistes. Hierzu findet man in den Prajnaparamita-Sutras verschiedene Metaphern, die die Natur dieser Leerheit zu erklären versuchen, indem sie von den Dingen als Illusionen, als »Maya« sprechen:

Was nicht existiert, dieses Nicht-Existierende stellen sich nur die Törichten vor; sie formen (in ihren Vorstellungen) Nicht-Existenz wie auch Existenz.
Als dharmische Tatsachen sind Existenz und Nicht-Existenz beide nicht-existent.
Ein Bodhisattva geht daran vorüber, wenn er dies weise erkennt.

Wenn er die fünf Skandhas (Form, Empfindung, Vorstellung, Geistestätigkeit, Bewusstsein) als eine Illusion erkennt, aber nicht die Illusion zu einer Sache macht und die Skandhas zu einer anderen; wenn er, befreit von der Vorstellung der vielen Dinge, in Frieden weitergeht – dann ist das seine Weisheitsübung, die ihn zu höchster Vollkommenheit führt.

– Sutra aus der Astasahasrika-Prajnaparamita

Lehren wie diese zeigen, dass wir uns zwar in einer Welt konkreter und voneinander getrennter Dinge bewegen und wir die Dinge darin auch wahrnehmen, aber diese Dinge in Wirklichkeit »leer« sind und eben keine Identität besitzen. Nur ihre Namen und Bezeichnungen, verleihen ihnen ihre Selbstheit, ihre Echtheit. Aus diesem Grund sagte der Buddha, dass ihre Erscheinung unser Erkenntnisvermögen täuschten und keine Realität sondern eine Illusion darstellen.

Die Texte oben genannter Prajnaparamita-Sutras (Lehren vollkommener Weisheit) betonen darum, dass an sich eigentlich nichts Fundamentales existieren kann, was selbst für die höchsten buddhistischen Geisteskonzepte zutrifft. Dazu zählen

  • die Existenz der erwachten Wesen der Erleuchtung (Bodhisattvas),
  • die selbstlose Entschlossenheit des erleuchteten Geistes (Bodhichitta) und
  • eine den gesamten Kosmos durchdringende Weisheit (Prajna).

Auch das Nirvana, der Austritt aus dem Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara), ist, laut buddhistischer Weisheit, leer. Das Nirvana an sich ist, gleicht einer magischen Illusion. Hier sollte man allmählich erkannt haben, wie fein der Grat ist zwischen dem hier beschriebenen Begriff des Shunyata und dem Glauben an die Sinnlosigkeit alles Bestehenden (Nihilismus). Wer darum Shunyata, aus allen Lehren des Buddhismus mal eben herausgreift, könnte vielleicht auf Abwege geraten und dabei die Sinnhaftigkeit selbst seines eigenen Lebens in Frage stellen! Doch damit bestünde die gefährliche Tendenz individuelle, zwischenmenschliche und gesellschaftliche Werte, als eigentlich nichtig abzuwerten. Doch um vielmehr als das, geht es bei der Lehre über die Shunyata! Die in ihr beschriebene Leerheit steht nämlich nicht etwa über dem Sein, womit sie das Sein ja überflüssig machen würde. Shunyata ist vielmehr gleichzusetzen mit dem Sein, ist mit ihm austauschbar. Im sogenannten Sutra der Höchsten Weisheit (auch Herz-Sutra genannt), geht es darum die hiermit getroffene Aussage dem buddhistischen Weisheitsschüler zu vermitteln. Über dieses Sutra sagen buddhistische Gelehrte, es gliche der Essenz einer besonderen Erhabenheit, durch deren Verstehen einer hinübergelange ans »jenseitige Ufer der Weisheit«. Das heißt, dass so jemand verstehen wird, dass die fünf Skandhas (Form, Empfindung, Vorstellung, Geistestätigkeit, Bewusstsein), von denen in obigem Zitat bereits die Rede war, gemeinsam mit den fünf Sinnen auch dieser Leerheit entsprechen:

Form ist Leerheit, Leerheit is Form.
Leerheit ist nicht von Form getrennt, Form ist nicht getrennt von Leerheit.
Was auch immer Form ist, ist Leerheit, was auch immer Leerheit ist, ist Form.

– Aus dem Sutra der Höchsten Weisheit

Dölpopa - ewigeweisheit.de

Dolpopa Sherab Gyaltsen, kurz Dölpopa, war ein bedeutender Lama der Jonang-Tradition des tibetischen Buddhismus.

Shunyata im tibetischen Buddhismus

Der sogenannte »Mittlere Weg« (sanskr. »Madhyamaka«) im Mahayana (Buddhismus des Großen Fahrzeugs), den man im Tibetischen Buddhismus lehrt, liefert, für westliche Vorstellungen, eine wohl noch am ehesten vermittelbare Definition dessen, was wir hier als Shunyata-Konzept einführten. In der inneren Schule der tibetischen Kagyü-Tradition etwa heißt es dazu, dass die höchste Realität zwar jenseits aller formellen Strukturen existiert, ihrer also quasi »entleert« ist, doch die Lichtnatur des Buddha-Geistes immer bewahrt bleibt und ihrer eben nicht »entleert« ist.

Auch für den tibetischen Meister Dolpopa Sherab Gyaltsen (1292-1361) der tibetischen Jonang-Schule, war die Buddha-Natur nicht leer. Aus seiner Sicht war der Buddha-Geist erfüllt von ewig-unveränderlichen Tugenden und nur frei (»entleert«) von Unbeständigkeit und Bedingtheit. Nicht also der Buddha-Geist galt ihm als entleert, von einem eigenen Selbst, sondern war im Gegenteil sogar Träger einer geistigen Lichtnatur. Diese Realität bildete für die Lehrer der Jonang-Schule die Grundlage des Seins, die dabei aber sowohl ungeschaffen, wie auch deshalb unzerstörbar ist. Sie ist nicht zusammengesetzt, sondern ist eine Wirklichkeit jenseits der Kette abhängigen Entstehens.

Nicht-materielle Leerheit, Leerheit, die weit von einer vernichtenden Leerheit entfernt ist, große Leerheit, die die letztendlich ursprüngliche Weisheit der Erhabenen ist […] ursachenloser ursprünglicher Buddha.

[…] Dauerhaft, stabil, ewig, immerwährend. Nicht durch Ursachen und Bedingungen zusammengesetzt ist die Matrix des Einen, der gegangen ist, von Natur aus mit den letztendlichen Buddha-Qualitäten von Körper, Rede und Geist, wie den zehn Kräften, ausgestattet; sie ist nicht etwas, das vorher nicht existierte und neu erzeugt wird; sie ist selbst-entstanden.

– Dolpopa Sherab Gyaltsen

Es sieht also danach aus, dass die Leerheit des Shunyata nicht an sich eine Leerheit ist, sondern eine »Leerheit des Anderen«. Damit ist gemeint, wie sich obigem Zitat entnehmen lässt, dass diese Leerheit nicht ihrer eigenen Wirklichkeit entleert ist, sondern nur entleert von alle dem, dass anders ist als sie selbst. Dolpopa betrachtete diese Sicht auf Shunyata als Maha Madhyamaka, als den »Großen Mittleren Weg«.

Dieser Sicht jedoch widerspricht der 14. Dalai Lama (der der tibetischen Gelug-Schulrichtung angehört), wenn er sagt:

Nach der Theorie der Leerheit ist jeder Glaube an eine sachliche Wirklichkeit, der auf der Annahme eines eigenständigen, unabhängigen Daseins beruht, einfach unhaltbar.

Alle Dinge und Ereignisse, ob nun »materiell«, geistig oder sogar abstrakte Konzepte wie Zeit, sind ohne jede eigene, unabhängige Existenz […] Dinge und Ereignisse sind insofern »leer«, als sie niemals eine unveränderliche Essenz, eine ihnen innewohnende Wahrheit oder ein absolutes »Sein« besitzen können, das ihnen Unabhängigkeit verleiht.

– Der 14. Dalai Lama in seinem Buch »Die Welt in einem einzigen Atom: Meine Reise durch Wissenschaft und Buddhismus«

 

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