Das Leben: Ein Tänzer

In den spirituellen Traditionen des Westens und des Ostens, bedeuten schwere Lebenskrisen eigentlich etwas ganz anderes als das, als was man sie vielleicht persönlich empfindet. Und was für die persönliche Erfahrung gilt, das trifft auch zu auf die kollektive Empfindung schwerer Krisen.

Letztendlich bieten sich uns in Krisen sehr gute Chancen, um uns selber näher zu kommen, und dabei zu entdecken, wie wir in der Gemeinschaft erscheinen – entweder tatsächlich oder zunächst nur theoretisch.

Aus der Ruhe zum Entschluss

Die Menschheit musste sich durch unzählige Krisen schleppen und schien immer wieder – so zumindest finden wir es in den alten Überlieferungen – dem Abgrund und ihrem Ende nahe.

Wer heute Krisen durchlebt, sollte sie, zumindest ein Stück weit, erst einmal auch geschehen lassen. Bevor er sich für dies oder das zu tun entscheidet, bewahrt er Fassung doch nur durch Annehmen dessen was ist. Nur ein gefasstes Gemüt vermag richtige Entscheidungen zu treffen.

Wir sehen ohnehin erst im Rückblick, wofür eine bestimmte Krise im Leben vielleicht gut war. Und was für den Einzelnen gilt, dass ist auch wahr für die Gemeinschaft. Man muss jedoch vorsichtig sein, wenn man sich dazu anderen gegenüber äußert. Denn es kann leicht passieren, dass man mit seiner Sprache etwas zu sehr verallgemeinert. Besonders wenn es um schlimme Bosheiten geht, die Menschen anderen Menschen antaten, wäre es unverantwortlich davon zu sprechen, dass auch das Negative einen Zweck erfüllt. Wer aber in schwierigen Zeiten nach Trost sucht, sollte durchaus erwägen, die Kehrseite des Negativen als solche zu erkennen, das heißt, in den daraus wirkenden Effekten, auch etwas Gutes zu finden. Das ist möglich.

Schwere Krisenzeiten belasten uns natürlich. In fast jeder Krise aber steckt auch eine Chance. Doch um sie als solche zu erkennen, muss man die Möglichkeit zur Chance überhaupt erst einmal einräumen. Verliert man zum Beispiel seine Arbeit oder geht eine Liebesbeziehung in die Brüche, ist das schmerzhaft und man fühlt sich verunsichert. Das Leben aber bietet Überraschungen, wo doch niemand genau sagen kann was die Zukunft bringt. Und was war muss gar nicht besser sein, als das was kommt. Neue Aufgaben oder neue Lebenspartner, könnten sogar besser zu einem passen.

Sich dem Möglichen zuwenden

Als ich mit Freunden vor etwa 10 Jahren im Süden Griechenlands zurück nach Athen fuhr, passierten wir riesige Aschefelder, die große Waldbrände dort hinterließen. Mein Bedauern darüber mündlich geäußert, sagte meine Sitznachbarin zu mir:

Auch aus einem Aschefeld kommt dereinst wieder eine Blume zur Blüte.

Mir kam das damals als etwas übereifriger Optimismus vor, doch ich konnte ihrer Aussage trotzdem nur zustimmen. Zwar sah man noch die Auswirkungen dieser Katastrophe. Was aber blieb den Menschen übrig, als zu überlegen, welche nächsten Schritte notwendig waren. Bedauern nämlich half da keinem.

Nur was gegenwärtig aus einer Situation gemacht wird: Das ist relevant. Dem Vergangenen zu folgen: Wie soll das gehen? Doch dass man aus vergangenen Tragödien auch Erkenntnisse gewinnt, brauche ich niemandem einzuschärfen. Nicht aber jeder Mensch hat die selben Voraussetzungen oder das Wissen, um aus eigenen oder kollektiven Unglückserfahrungen zu lernen. Denn zu lernen bedarf einer Anstrengung und es sind nur wenige, denen im Leben die dazu notwendige Energie zur Verfügung steht.

Stellt sich da aber nicht die Frage: Was in unserem Leben frisst die meiste Energie?

Gieriges Ego

Wichtig bei Krisen ist, dass sie uns über uns selbst oder über unsere Gemeinschaft Dinge verraten können, auf die wir ohne solche Krisen niemals kämen. Wie schnell gelingt es dabei einem Menschen, die Hindernisse seines Ego zu überwinden. Und so wie es ein Ego des Einzelnen gibt, dass sich bis tief ins Unbewusste ragend, verhärtet hat, so ist es dann auch wirksam in der Gemeinschaft, als egozentrierter Gruppengeist.

Besonders heute, unterstützt durch all die vielen modernen Gerätschaften und maschinell automatisierten Hilfsmittel, scheint sich das Problem des Ego, reihum im Kreise unserer Mitmenschen (und damit unter uns), als schwieriges Problem, unsere Herzen mit immer neuen Schichten von Ichbezogenheit zu überziehen. Da wird es immer schwerer mit dem zu sehen, was die alten Mystiker das “Auge des Herzens” nannten: ein intuitiv-bewusstes, direktes Empfinden, jenseits allen Denkens.

Was die Auswirkungen dieser, in unserer modernen Gesellschaft, so tief verwurzelten Ich-Haltung bedeuten, scheint an allen Ecken und Enden immer mehr aufzulodern, bereits einer globalen Massen-Psychose ähnelnd. Beim einen, als recht schwerwiegend empfunden, weiß man dann: “Der ist krank”. Doch auch andererseits, in eher lästig empfundenen Situationen mit anderen Menschen, geht es um die Wirkungen dieses allgemein gängigen Ego-Problems, das wie ein bösartiger Erreger, alle Menschen der Industire-Zivilisation infiziert hat. Es scheint da etwas am verhärteten Ego-Kern des Individuums zu zerren, das ihm überhaupt erst seine Daseinsberechtigung verleiht. Was den meisten Menschen bleibt, ist allein die Identifikation mit dem Ego.

Doch das Ego fühlt sich gerne auch ungerecht behandelt, sucht die Schuld stets bei den Anderen. In Wirklichkeit aber werden wir an unsere eigenen Unzulänglichkeiten erinnert, und der Wohlfühlbereich, von dem wir glauben, er bliebe uns für immer, wirkt auf einmal so unbehaglich. Sobald er gar zu bröckeln beginnt und wir mit dem Bereinigen unseres polierten Selbstbildes nicht mehr nachkommen, empfinden wir unser Leben zunehmend als Last.

Viel zu oft schon warteten wir zu lange in Situationen, harrten darin aus, was uns jedoch nur vermeintlich als Gelegen erschien. Längst überfällig gewordenes Tun wurde unterlassen, verschwand unter der Hand, während wir damit unserem Ego neuen Aufwind gaben: “intelligente Geräte” hektisch bedienend, damit Fotos und auch immer mehr Sprachnachrichten sendend. Auch wenn jedem klar ist, dass niemals alles, von dem was da in unserem Ego aufbrodelt und davon ausstrahlt, von anderen gelesen wird, fühlt sich unser Ego damit anscheinend ganz munter, denn das, was es da mit den anderen teilt, gibt ihm ein kurzes Gefühl der Überlegenheit, zumal es im Augenblick des Versendens ja “mehr weiß”, als der Empfänger.

Viel Zeit wird heute daran verschwendet, selbst dann, wenn man dies und das auch noch andichtet, das in Wirklichkeit gar nicht existiert.

Krisen durchleben

Die Krisen die die Menschheit der Gegenwart bedrängen, scheinen also vor allem Krisen des Ego zu sein – auch wenn sie sich uns auf ganz und gar andere Weise präsentieren. Wir leben eben alle in der Annahme, dass wir unser Leben leben. Doch in Wahrheit lebt das Leben uns. In einem seiner Bücher stellte der spirituelle Lehrer Eckhart Tolle (*1948) dazu einmal treffend fest:

Das Leben ist der Tänzer und wir sind der Tanz.

Mit Passivität hat das nichts zu tun. Eher geht es darum selbst den üblen Launen des Seins nicht entkommen zu wollen, sondern sie zu durchleben, da sie uns eben auf dem Weg halten und damit daran hindern einen falschen Weg einzuschlagen – oder – falls wir uns bereits auf Abwegen befinden, uns wieder unserem Selbst näher bringen, dass dann nicht mehr dem Diktat unseres Ego gehorcht, sondern sein wahres Wesen erkannt, zum Wohle aller handelt.

Unsere durch das Ego gesteuerte Gesellschaft aber ist genau das Gegenteil eines solchen Ideals. Es ist weniger vorteilhaft zu glauben, dass man ein Leben führen könnte, das außerhalb der Gemeinschaft stattfindet. Selbst wenn da ein Eremit in diesem Moment, irgendwo in den Gemäuern oder Höhlen, seine Klausur meditierend oder betend verbringt, bedeutet das nicht, dass sich sein Wirken jenseits des Gemeinschaftswohles oder in einer fremden Welt ereignete. Oft nämlich sind es doch jene, die andere, vielleicht ganz einflussreiche Persönlichkeiten aufsuchen – einst und auch heute noch -, um guten Rat zu erhalten und damit zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln. Und darum geht es: um das Mit-Ein-Ander, wo sich kein Ego mehr mit gegebenen Formen identifizieren braucht, sondern sich der voll bewusst gewordene Mensch, als Teil des Ganzen empfindet, selbst wenn ihm die äußeren Gegebenheiten das Gegenteil vortäuschen.

 

 

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