Karten 0 und 21 im Tarot de Marseilles - ewigeweisheit.de

Das Tarot der Zigeuner

Im Jahr 1888 gründete in Paris der Dichter Stanislas de Guaita die erste esoterische Bruderschaft Frankreichs: Le Ordre kabbalistique de la Rose-Croix. Seine wichtigste Inspiration dazu fand er im Werk Éliphas Lévis, dem »Vater des Okkultismus«.

Marquis Stanislas de Guaita (1861-1897) entstammte einem lombardischen Adelsgeschlecht. Er erhielt seine Ausbildung in verschiedenen Jesuitenschulen. Später ging er nach Paris wo er sich intensiv mit den Werken des französischen Diakons und Esoterikers Éliphas Lévi (1810-1875) beschäftigte.

Lévis Okkultismus entstand aus romantischen bis sozialistischen Vorstellungen, deren Fundamente sich jedoch auf ein allumfassendes Christentum bezogen. Aber vor allem waren es die freimaurerischen Einflüsse und ihre Symbolik, die Lévi in seinem Wirken inspirieren sollten. Fest steht, das seine Arbeit, eine zuerst spezifisch französische Esoterik-Tradition, von zentraler Bedeutung werden sollte, für einen sich Ende des 19. Jahrhunderts in ganz Europa ausbreitenden Okkultismus. Sein Denken hatte auf jeden Fall sehr großen Einfluss auf Stanislas de Guaita. Der nämlich bekam 1883 von dem französischen Dichter Catullus Mendes (1841-1909) die Empfehlung sich einmal mit Lévis »Dogme et rituel de la haute magie« zu beschäftigen (deutsch: »Dogma und Ritual der Hohen Magie«), einem Buch dass den damals zweiundzwanzigjährigen de Guaita sehr beeindruckte und seine okkulte Ansichten prägen sollte.

In dieser Zeit befreundete Stanislas de Guaita sich mit dem Romanautor Joséphin Péladan (1858-1918), was in die Gründung des Ordre kabbalistique de la Rose-Croix münden sollte – des »Kabbalistischen Orden des Rosenkreuzes«.

Neun Jahre danach verstarb de Guaita, mit gerade einmal 36 Jahren. Sein Erbe als Präsident und Großmeister des Kabbalistischen Orden des Rosenkreuzes, trat der französische Rosenkreuzer Gérard Encausse (1865-1916) an: besser bekannt unter dem Namen »Papus«. Kurz darauf nahm der Orden keine neuen Mitglieder mehr auf. Papus verlangte von den bereits aufgenommenen Mitgliedern, dass sie mit ihrer Unterschrift ein Schweigegelübde über alles ablegen, was die Geheimnisse des Ordens betrifft.

Papus’ Wirken ging aber weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Anfang des 20. Jahrhunderts reiste er sogar nach Sankt Petersburg, auf Einladung des russischen Zaren Nikolaus II., um ihn und seine Ehefrau in Okkultismus zu unterrichten.

Einer der wichtigsten Einflüsse in Papus’ Arbeit kam dabei aus dem arkanen Bildersystem des Tarot. Er verwendete es dafür jedoch nicht (nur) als Wahrsage-Instrument, sondern wusste, dass es sich dabei im ein uraltes System der Einweihung handelte, das eng verknüpft war mit dem Wesen des Lebensbaumes der Kabbala.

Tarot der Initiation

Eines der wichtigsten Mitglieder des Kabbalistischen Ordens des Rosenkreuzes war der Schweizerische Autor und Illustrator Oswald Wirth (1860-1943). Er nämlich sollte unter der Anleitung de Guitas 1889 ein Set von Tarot-Arkana illustrieren, das den Titel »Les 22 Arcanes du Tarot Kabbalistique« (deutsch: »Die 22 Arkana des kabbalistischen Tarot«) erhielt, später aber bekannt wurde als »Oswald-Wirth-Tarot«.

Wirths Illustrationen orientierten sich am berühmten Tarot de Marseilles, das 400 Jahre zuvor in Südfrankreich auftauchte (daraus zwei Arkana im Titelbild oben). Wirth nahm jedoch einige Änderungen in der Bebilderung vor, wobei er eine von de Guita vorgegebene okkulte Symbolik in seine Illustrationen integrierte. Definitiv ist das von Wirth und de Guaita entworfene Deck von großer Bedeutung, als quasi erstes »Initiatorisches Tarot«.

Abbildung des 10. Tarot-Arkanums im Clef des grands mysteries von Éliphas Lévi - ewigeweisheit.de

Abbildung des 10. Tarot-Arkanums im Clef des grands mysteries von Éliphas Lévi.

In diesem Rahmen erschien im Jahre 1889 dann auch Papus’ Buch »Le Tarot des Bohémiens«, mit dem Untertitel »Le plus ancient livre de monde«, auf deutsch »Das Tarot der Zigeuner – Das Älteste Buch der Welt«. Was Papus damit lieferte, war eine grundsätzliche Beschreibung zum Tarot-System, den darin verwendeten arkanen Bedeutungen seiner Bilder und ihren okkulten Bezüge zu einander. Er schuf in seiner Schrift einen magischen Schlüssel, mit dem er die Tores des Bewusstseins eines Neophyten in besonderen Einweihungszeremonien eröffnete. Hierzu hatte ihn das Werk Éliphas Lévi inspiriert. Lévis 1861 erschienenes Buch »Clef des grands mysteries« (deutsch: »Der Schlüssel zu den großen Mysterien«) schlug erstmals Methoden vor, wie sich die Tarotkarten in zeremoniellen Handlungen formalisieren lassen.

Heute zählt Papus’ Tarot der Zigeuner zu den wichtigsten Büchern über die iniatorische Verwendung der Tarot-Arkana.

Alt-Ägyptische Ursprünge

Papus schrieb über die Bilder der Tarot, dass sie bereits im Alten Ägypten und auch im Alten Indien eine wichtige Rolle spielten, in den Zeremonien der Priesterschaften. Schließlich lieferten die unzähligen in Indien und Ägypten gefundenen archäologischen Artefakte die Vielzahl an Figuren und Symbolen, die sich im Tarot zu einer besonderen Bilderwelt synthetisierten. Daraus sollte dereinst das zusammenwachsen, was wir heute als das einheitlich überlieferte System der Kleinen und Großen Arkana der 78 Tarot-Bilder kennen. Jahrhunderte später dann verbreitete sich das Tarot dann durch die Zigeuner in Europa.

Papus erkannte außerdem in der systematischen Struktur der Tarotbilder eine universale Einweihungsmethode, die er in seinem Buch erzählte, worin er zu Eingangs schreibt:

Das Tarot-Kartenspiel, das die Zigeuner von Generation an Generation weitergaben, ist das uralte Buch über die antiken Einweihungen. Dies wurde eindeutig nachgewiesen durch Guillaume Postel, Court de Gébelin, Etteila, Éliphas Lévi und J. A. Vaillant (siehe hierzu auch: Geschichte des Tarot). Der Schlüssel zu seinem Aufbau und seiner Anwendung wurde meines Wissens noch nicht enthüllt. Ich wollte diesen Mangel darum beheben, indem ich den Eingeweihten, das heißt denjenigen, die mit den Elementen der okkulten Wissenschaft vertraut sind, einen genauen Wegweiser zeigen, der ihnen helfen soll, sich zurechtzufinden bei der Durchführung ihrer Studien.

– Papus in seinem Tarot der Zigeuner

Einen Schlüssel zum Aufbau des Tarot-Systems und ihrer initiatischen Anwendung wurde, wie Papus also meinte, erst durch ihn wieder entdeckt und weiterentwickelt. Für ihn bildete das Tarot die Grundlage einer inneren Lehre aller alten Völker und damit einen Schlüssel zu den verborgenen Dingen im Menschen, im Universum, ja letztendlich sogar die Bedeutung dessen, wofür die heiligen Namen Gottes stehen!

In den Tempel-Hallen Osiris’

Wie bereits angedeutet waren für Papus die Bilder der 22 Arkana insbesondere alt-ägyptischen Ursprungs. Man hatte sie dort entwickelt, um die Neophythen in die Mysterien des Werdens, des Lebens und des Todes einzuweihen. Hierzu betrat der Mysterien-Anwärter einen langen Säulengang, den er bei der ägyptischen Einweihung durchschreiten musste und dabei die Bilder betrachtete. Was er dabei erfuhr, waren die Regeln und Prinzipien die nach seinem bevorstehenden Ritus (sein »Sterben vor dem Sterben«) für ihn gelten sollten.

In der Antike wurde dieses Wissen nur an Menschen weitergegeben, die sich durch eine Reihe von Prüfungen als dazu würdig bewährten. Diese Wissensübertragung fand in den Tempeln unter dem Namen der ‘Mysterien’ statt, wonach der Adept den Titel eines Priesters oder Eingeweihten annahm. So kam es zu der Bezeichnung einer geheimen oder okkulten Lehre (die dabei vermittelt wurde) und es entstand der Begriff der okkulten Wissenschaft, womit unsere Zeitgenossen die antike Synthese bezeichneten.

– Papus in seinem Tarot der Zigeuner

Buchstaben, Zahlen, Hieroglyphen

Die Großen Arkana galten Papus außerdem als direkt verbunden mit dem Hebräischen Alphabet, dessen Buchstaben ja ursprünglich 22 Hieroglyphen bildeten. Sie sollen sich in den Gewölben alt-ägyptischer Tempel befunden haben, in einer Reihenfolge, die in der unten gezeigten Abbildung dargestellt ist. In Papus’ besagtem Buch schrieb Oswald Wirth dazu:

Laut Christian (eigentlich Jean-Baptiste Pitois, Autor von ‘Histoire de la Magie’) stellen die zweiundzwanzig Großen Arkana des Tarot hieroglyphische Malereien dar, die sich in den Räumen zwischen den Säulen einer Tempelhalle befanden, die der Neophyt bei den ägyptischen Einweihungen durchqueren musste. Es gab zwölf Säulen im Norden und ebenso viele im Süden, das heißt elf symbolische Bilder auf jeder Seite. Diese Bilder wurden dem Einweihungskandidaten in regelmäßiger Reihenfolge erklärt und enthielten für ihn wichtige Gesetze und Grundlagen. Die Arkana, die den zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets entsprechen, müssen an den Wänden der geheimen Krypten in den Tempeln des Osiris in folgender Reihenfolge angeordnet gewesen sein.

– Aus einem Essay über das Astronomische Taraot von Oswald Wirth in Papus’ Tarot der Zigeuner

Aus Papus' Buch - ewigeweisheit.de

Schematik der hieroglyphischen Bebilderung der Wände des Säulengangs in den alt-ägyptischen Osiris-Tempeln der Einweihung. Man sieht in dieser von Christian beschriebenen Anordnung Buchstaben und Bilder (französische Namen), wie sie sich in dem Tempel, exakt nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet, an den Wänden künstlerisch eingearbeitet befunden haben könnten.

Es ist, wie wir aus dieser Perspektive sehen konnten, mit den Tarot-Arkana ein Wissen verknüpft, das man in der Antike nur an Menschen weitergab, die beweisen konnten für dieses okkulte Wissen auch tatsächlich über die nötige Verantwortung zu verfügen. So glauben doch manche, »Einweihung« bedeute nur etwas zu erfahren, von dem man nichts weitersagen darf. Vielmehr geht es aber um ein Erfahren, dass gar nicht durch Weitersagen verraten werden kann, da es dafür einfach keine Worte gibt. Wohl aber kann einer durch direktes Erleben der dabei wirkenden esoterischen Gesetzmäßigkeiten, ihrem inneren Geheimnis »dem Einen geweiht« werden.

Dennoch halt die Beschäftigung mit dem Tarot immer einer okkulten, das heißt also, einer geheimen Wissenschaft. Als die in das Tarot Eingeweihten jedoch ahnten, dass eine Zeit nahte, in der solch altes Wissen der Menschheit verloren gehen könnte, unternahmen sie entsprechende Anstrengungen, um die darin gezeigten Bilder in ihrer Bedeutung zu erhalten.

 

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