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Die Geschichte vom Fischer-Derwisch

Einst befand sich der große Sufi-Meister Ibn Arabi auf Reisen durch Tunesien. Entlang der Küste traf er auf einen Fischer, der dort in einer kleinen Lehmhütte hauste. Es war ein besonderer Mann, denn er spendete seinen gesamten Fischfang den Armen.

Für sich aber behielt er nur einen einzigen Fischkopf, den er sich bescheiden zubereitete, um ihn täglich als einzige Speise dankbar zu verzehren.

Der Sufi-Sheikh Ibn Arabi und der Fischer wurden Freunde. Ja vielmehr, wurde der Fischer ein Schüler Ibn Arabis. Eines Tages sollte er selbst auch ein Sheikh sein, mit eigenen Derwisch-Schülern.

Einer dieser Schüler nun kam eines Tages zu ihm und ließ ihn wissen, dass er über das Meer in die spanische Levante reise. Da das auch das Land war, in dem Ibn Arabi lebte, bat ihn sein Meister, diesen in dessen Heimatort zu besuchen. Der Fischer nämlich war in seiner spirituellen Entwicklung nicht sehr viel weitergekommen, ohne seinen verehrten Sheikh Ibn Arabi. So bat der Fischer-Derwisch also seinen Schüler den großen Sheikh aufzusuchen und diesen für ihn um Rat zu bitten.

Also kam der junge Sufi-Schüler nach Spanien und begab sich bald in die Stadt, von der er wusste, dass dort Sheikh Ibn Arabi lebt. Auf der Straße dort fragte er jemanden, ob er von Ibn Arabi wüsste. Gleich bejahte dieser und sprach:

Gewiss. Siehst du den Palast dort oben auf dem Hügel, dort lebt der große Sufi.

Der junge Derwisch war darüber ziemlich verwirrt, denn wie, so wunderte er sich, konnte ein großer Sufi in einem Palast leben, sind wahre Sufis der materiellen Welt doch eher abgewandt. Sie lieben keinen Besitz, sondern versuchen sich aus den Fängen der irdischen Welt zu lösen, um damit ihr Ego allmählich zu entmachten.

Wie dem auch sei, erinnerte sich der junge Sufi natürlich an die Bitte seines Meisters, den Sheikh Ibn Arabi aufzusuchen und ihn um Rat zu bitten. Also begab er sich dort zu dem Hügel, wohin man ihn verwiesen hatte. Als er aber den Hügel aufstiegt, führte ihn ein Weg entlang weitläufiger Hänge. Es waren dort große Äcker und auch Obstgärten. Er sah dort Hirten mit Schafen, andere mit Ziegen und auch welche, die sich um eine Kuhherde kümmerten. All das verwunderte den jungen Derwisch nur. Als er aber den Palast vor sich aufragen sah und die Menschen dort, die alle in feinste Seide gekleidet waren, wollte er seinen Augen einfach nicht trauen, war all das doch jenseits dessen, was ihn sein Meister über das bescheidene Leben eines Derwisch gelehrt hatte.

Dennoch betrat er den Palast. Da waren viele hübschen Mädchen und gutaussehende Jünglinge: anscheinend die Bediensteten des Sheikh. Als er einen von ihnen um Auskunft bat, versicherten sie ihm, dass der Sheikh Ibn Arabi gerade noch beim Kalifen gewesen sei, doch schon in Kürze wieder hier eintreffen werde.

Der junge Mann konnte es einfach nicht fassen, besonders als er dann Ibn Arabi leibhaftig vor sich sah: gekleidet in kostbare Gewänder, sein Turban war mit einer wertvollen Perlenkette und kostbaren Edelsteinen geschmückt. Wie dem auch sei stellte der junge Derwisch dem Sheikh Ibn Arabi die Bitte seines Meisters vor. Der erinnerte sich gleich, von wem die Rede war:

Lass Deinen Meister wissen, was ich denke! Er ist noch viel zu sehr dem Weltlichen verhaftet.

Darüber war der Junge wahrlich empört. Und doch verabschiedete sich freundlich von Ibn Arabi.

Als er schließlich nach längerer Reise zu seinem Sheikh, dem Fischer, zurückkehrte, freute der sich seinen Schüler wiederzusehen. Natürlich wollte er sofort wissen, welchen guten Rat er von Sheikh Ibn Arabi für ihn überbracht bekam. Dem Derwisch war das aber sehr unangenehm. Er befürchtete nämlich, würde er seinem Meister sagen was Ibn Arabi ihm mitgeteilt hatte, dass er es ihm bestimmt nicht glauben und darüber dann auch noch über ihn erbost sein könnte. Doch sein Meister bestand darauf zu erfahren, was er noch nicht wusste. Also erzählte ihm der Schüler was ihn der große Sheikh wissen ließ.

Da brach der Fischer in Tränen aus. Darüber erschrocken, fragte ihn der junge Derwisch, wie es sein könne, dass Ibn Arabi in solch fantastischem Luxus lebe und ihm, seinem Meister, dem armen Fischer als Rat gäbe, nicht so verhaftet im Weltlichen zu sein. Sein Meister aber sprach:

Er hat recht! Er schert sich nicht um all seinen Besitz. Hingegen ich, wenn ich jeden Abend meinen Fischkopf verzehre, wünschte ich doch insgeheim:
»Wäre es doch nur ein ganzer Fisch.«

 

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