Am 21. Juni ist es immer soweit: Auf der nördlichen Hemisphäre ereignet sich die Sommer-Sonnenwende, das Solstitium, „Stillstand der Sonne“ – wenn unser großes Himmelslicht, um den Mittagspunkt, drei Tage lang, dreimal ihre exakt längste Bahn über den südlichen Mittagshimmel zieht. Bis heute gilt das vielen Menschen als ein sakrales Ereignis wahrer Erhabenheit.
Nach wissenschaftlichem Verständnis lässt sich die Kraft der Sonne durch Formel und Maß erklären. Man weiß um ihre immensen Ausmaße, ihre gigantische Masse und Licht- und Wärmekräfte. Den Alten Menschen waren darüber hinaus aber Eigenschaften der Sonne bekannt, die heute kaum noch einer kennt.
Was hat es damit auf sich?
Den Meisten unter uns bleibt die Sonne nur etwas mehr, als ein Schönwetterlicht oder als rote Scheibe romantischer Dämmerungen. Man ärgert sich über ihre anscheinende Abwesenheit im Winter, an Regentagen oder aber ihre Omnipräsenz an sommerlichen Hitzetagen.
Manche Menschen haben Angst vor der Sommersonne, da sie angeblich schädliche Strahlen aussendet. Letztere sind aber einfach nur schlecht informiert. Denn das Licht der Sonne, und das wussten schon die Alten Ägypter, besitzt große therapeutische Kraft. Nicht nur hellt sie unsere Stimmung auf, sondern bildet auf natürliche Weise lebenswichtiges Vitamin D in unserem Körper und unterstützt Wachstum und Festigkeit unseres Skeletts.
Diese förderlichen Eigenschaften der Sonne sind wohl auch der Grund dafür, dass wir sie in der dunklen Jahreszeit vermissen. Wenn ab dem 21. September die Tage kürzer werden als die Nächte, sehnen wir uns alle – spätestens im November – nach sonnenscheinerfüllten, hellen Sommertagen. November ist der Monat wo sich die Natur zurückzieht und der Tod an die Stelle des Lebens tritt. Was blühte und grün war, wurde welk, fällt spätestens jetzt zu Boden und stirbt. Kaum zufällig darum, wenn man seit Alters her im November Totenfeste feiert.
Im Gegensatz zu den dunklen Tagen um den Jahreswechsel, stehen natürlich die lichterfüllten Tage zwischen Frühlingsanfang und Sommeranfang. Den alten Menschen bedeutete der Sonnenhöchststand um den 21. Juni die endgültige Befreiung aus dem Dunkel der Nacht, das Lösen aus den Banden der Finsternis. Schließlich war mit dem Sonnenhöchststand im Jahr die Sehnsucht nach dem befreienden Licht endlich erfüllt.
Doch schon die Tage darauf beginnen sich die Fensterläden ein wenig eher wieder zuzuziehen. Wie sollte auch das was lebendig ist, für immer ein Maximum an Licht ertragen?
Jedes Jahr im Zyklus immer neuen Lebens
Die Sonne ist die Urkraft in aller Lebendigkeit. Sie schenkt uns Licht und Wärme, und damit auch Leben und Nahrung – jedes Jahr auf’s Neue. In alter Zeit, als künstliche Lichtquellen noch rar waren, deutete man ihre Abwesenheit als Vorboten für Krankheit, Tod und das Böse. So wurde sie in der Kulturgeschichte der Menschheit zum Mittelpunkt des Daseins und wichtigster Faktor im Leben jedes Einzelnen. Darum dürfte es kaum verwundern, dass man die Sonne als heiliges Wesen verehrte. In manchen Kulturen stand die leuchtende Himmelsscheibe sogar auf der selben Stufe wie die höchste Gottheit.
Vor etwa 3.300 Jahren verehrte der alte Pharao Echnaton die Sonne als Gott Aton (auch: „Aten“). Ihm galt sie als höchster Gott unerreichbarer Vollkommenheit, worüber manche sagen, dass sie damals gar Vorbild wurde für das, was heute im Zentrum des Monotheismus steht als der „Eine Gott“.
Alt-ägyptische Hieroglyphen zeigen Aton stets als kreisförmige Sonnenscheibe, von der Strahlen ausgehen, die in Hände münden. Die Hände sind ein Symbol für die Kraft des Sonnenlichts, das alles aufrichtet, das es berührt. In manchen alt-ägyptischen Steintafeln halten diese Hände zusätzlich das Lebens- und Heilsymbol Ankh:
☥
Doch auch andernorts war die Sonne Mittelpunkt höchster spiritueller Verehrung. Das beweisen die alten Sonnentempel, wie etwa der von Stonehenge in Südengland. Wenn die Sonne am 21. Juni ihren nördlichsten Punkt erreicht hatte, sah man dort am Morgen des Mittsommertages den ersten Sonnenstrahl direkt über einer besonderen Stein aufstrahlen. Das war der sogenannte „Fersenstein“, der sich einige Meter außerhalb des Steinkreises befand, um damit an ihm die genaue Linie des Sonnenstrahls ermitteln zu können, die das Zentrum des Steintempel schnitt.
Solche und andere alte Sonnentempel maßen die Strahlenwege der Sonnenaufgänge und Untergänge. Sie halfen damit den alten Menschen den genauen Zeitpunkt ihrer Jahresfeste zu ermitteln. Wenn am Mittsommertag der erste Morgenstrahl der Sonne den Zeitstein (Fersenstein) des Sonnentempels berührte, da zeigte der Sonnengott dem gläubigen Volk, dass nun die Zeit der höchsten Kraft des Sonnenlichts anbrach. Ab nun sollten die Mühen belohnt werden, die man in den vergangenen Monaten auf den Äckern und in den Heinen arbeitete. Ab nun kamen die Früchte auf den Bäumen und die Ähren auf den Feldern zur Reife. Darum also huldigte man dem höchsten Lichtwesen – in der Hoffnung auf guten Ertrag. Das war der Moment an dem die Druidenpriester der Alten Kelten ihre teils blutigen Opfer im Steinkreis von Stonehenge erbrachten.
Solche und ähnliche Feste auf jeden Fall sind sehr alt. Auch die Perser, Griechen und die Römer feierten sie, als Mittsommerfest zu Ehren des Sonnengottes. Seit sehr alter Zeit bereits wussten die Angehörigen der Hohen Priesterschaft vom sommerlichen Sonnenwendereignis, das wie gesagt am 21. Juni beginnt und am 24. Juni endet. In diesen Tagen soll auch immer eine heilige Pflanze erblühen: Das Johanniskraut. Man nennt die Pflanze auch „Herrgottsblut“, denn es liefert ein rotes Öl, das eingenommen, in einem Menschen seine gemütsaufhellende Wirkung entfaltet. Schon in alter Zeit braute man aus dem roten Öl berauschende Getränke, die wohl in der Mittsommernacht eingenommen wurden.
Seinen Namen erhielt das Kraut von Johannes dem Täufer, dessen Geburtstag in christlichen Kirchen der 24. Juni ist, wo man „Johanni“ feiert – genau ein halbes Jahr vor (beziehungsweise nach) Weihnachten, und die Jahresfeste von Christi- und Johanni-Geburt sich damit im Jahreskreis genau gegenüberstehen.

In den Tagen an denen die Sommersonnenwende stattfindet, weicht die Sonne nicht ein einziges Winkelgrad von ihrer täglichen Bahn ab. Darum hat man diesem Ereignis den Eingangs erwähnten lateinischen Namen Solstitium gegeben: „Stillstand der Sonne“. Während dieses kosmischen Ereignisses nämlich erreicht das tägliche Sonnenlicht sein Maximum. Und so folgen diesen längsten Tagen die kürzesten Nächte im Jahr.
Doch wie alle Dinge enden, wenn sie am schönsten sind, so endet hiernach auch die Phase in der die Sonnenstunden zunehmen. Mit dem 25. Juni wächst allmählich wieder die Finsternis im nächtlich Verborgenen. Die Sonnenstunden nehmen jeden Tag ein paar Minuten ab, bis nach der Herbsttagundnachtgleiche alles in mehr und mehr Finsternis versinkt.
Sicher aber ist – und darauf kann man sich immer verlassen -, dass sich auch nächstes Jahr wieder vom 21. Juni und vom 21. Dezember an Sommersonnenwenden ereignen, wo mal das königliche Licht der Sonne hoheitsvoll feiert – mal seine Rückkehr hoffnungsvoll erwartet.