Koran, Sura 48 - ewigeweisheit.de

Die Wohlverwahrte Tafel

Die Kosmologie Al-Ghazalis basiert auf der Vorstellung der Existenz dreier Welten. Was darin jeweils geboren wurde, wird die ihm entsprechende Welt mit dem Tod da wieder verlassen.

In der ersten Welt, Al-Mulk, dem Königreich, befinden sich alle die mit ihren fünf Sinnen die irdische Welt bewusst wahrnehmen, aus der sie mit ihrem Tod einen verstorbenen Leib zurücklassend scheiden. Die esoterische, geistige Welt, heißt Al-Malakut. Sie liegt über dieser, physisch manifestierten Welt. Darin halten sich die Dschinn und die Engel auf. Diese Welt ließe sich in etwa vergleichen mit der von Platon formulierten Welt der Ideen, mit Urbildern also, die in die geschaffene Welt projiziert, dort Strukturen bilden, die der Mensch dann auch wahrzunehmen vermag. Unter den Engeln aber befinden sich Auserwählte, die sich nun in der dritten Welt von Al-Dschabarut aufhalten. Diese Welt bildet das Zentrum inmitten der beiden anderen Welten, wo die Welt von Al-Mulk, die Welt von Al-Malakut umgibt. Laut Al-Ghazali ist das die Welt der Cherubim, die den Thron Gottes tragen, vielleicht zu vergleichen mit dem, was die jüdische Mystik die Merkaba nennt, dem Reich des göttlichen Angesichts.

Wenn hier die Rede ist von einem Thron der getragen wird, so impliziert das ja eine Bewegung. Was sich da bewegt ist ein Wort, indem wiederum das Wort »Weg« enthalten ist, was entsprechend auf das arabische Wort »Dschabarut« verweist, das wörtlich übersetzt »Brücke« bedeutet. Über diese Brücke von Al-Dschabarut nämlich gelangen die Befehle aus dem göttlichen Logos (arabisch »Al-Amr«) in die Welt.

Licht des göttlichen Logos

Was wir eben mit Al-Dschabarut als das Zentrum der materiellen und der geistigen Welt einführten, von dort aus strahlt der göttliche Logos in die manifestierte Welt. Sie ist der Aufenthaltsort dessen, was der Islam die »Wohlverwahrte Tafel« nennt: »Al-Lahul Al-Mahfudh«:

Vielmehr ist es ein ruhmvoller Koran auf einer Wohlverwahrten Tafel.

– Sure 85:21f

Wie sich diesem Vers entnehmen lässt, existierte seit aller Ewigkeit ein nicht-manifester Koran. Prophet Mohammed (as) empfing die göttliche Offenbarung, in den Versen des irdischen Koran, als Abbild der Al-Lahul Al-Mahfudh, der Wohlverwahrten Tafel. Dazu schrieb Al-Ghazali in seinem ethischen Werk »Die Wiederbelebung der Wissenschaften von der Religion«, arabisch »Ihya Ulum Ad-Din«:

Alles das Gott vom Anfang bis zum Ende der Welt verordnet hat, ist in einem der von ihm geschaffenen Dinge unveränderlich festgehalten, was manchmal bezeichnet wird als »Die Tafel«, manchmal als »Das Deutliche Buch«, manchmal als »Die Deutliche Richtschnur«, wie es der Koran bekundet im 79. Vers der 15. Sure: ‘Beide sind eine klare Richtschnur.’

Das der Islam offenbar eine Prädestination allen Seins voraussetzt, darauf könnte folgender Vers hindeuten:

Wir erwecken die Toten zum Leben und schreiben auf, was sie getan haben und was sie hinterlassen haben; alles haben wir in einem deutlichen Buch aufgezählt.

– Sure 36:12

Was in solch »deutlichem Buch« von den Engeln notiert wird, ist jedoch nicht gleichbedeutend mit den Ereignissen eines starren Lebenslaufs, der jedem Menschen vorgezeichnet ist. Eher meint das eine Bestimmung im Leben, die eben nicht jedem deutlich vor Augen steht. Stattdessen hüllen zahlreiche Irrtümer ihr wahres Wesen. Und was da die mystische Sicht auf den eigentlichen Lebensweg verhüllt, sind falsche Grundannahmen, die sich als Angst, Zorn, Neid und weitere solcher schlechten Eigenschaften äußern. Doch das verhüllt den eigentlichen Lebensweg eines Menschen.

In Al-Ghazalis Ihya Ulum Ad-Din heißt es dazu:

Glaube nicht, dass diese Tafel aus Holz, aus Eisen oder aus Knochen ist, oder die Seiten dieses Buches aus Papier oder Pergament sind. Allerdings du musst ein für alle Mal verstehen, das diese Tafel keiner stofflichen Tafel gleicht und dieses Buch keinem stofflichen Buch gleicht, eben so, wie sein (Gott) Wesen und seine Eigenschaften nicht dem Wesen und den Eigenschaften erschaffener Lebewesen gleichen. […] Die Art und Weise wie die (göttlichen) Gebote in der Tafel festgelegt sind, gleichen auswendig gelernten Worten und Zeichen des Koran, die jemand aus seinem Verstand zu erinnern vermag. Es ist in seinem Verstand so verzeichnet, als würde es beim Rezitieren vor ihm sichtbar erscheinen. Und doch: solltest du seinen Verstand ganz genau durchsehen (können), würdest du darin nicht ein einziges Zeichen der Schrift (Koran) finden. Auf eben diese Weise musst du verstehen, dass alles was Gott entschieden und verordnet hat, diese Tafel darstellt.

Al-Ghazali vergleicht die Wohlverwahrte Tafel mit einem Spiegel, der die Formen reflektiert. Stellte man diesem, jedoch noch ein anderer Spiegel gegenüber, würden auch dessen Form darin reflektiert, es sei denn, ein Schleier dazwischen verhüllte ihn. Damit klingt das an, was wir oben sagten über die menschlichen Verfehlungen, die als Irrtümer das überdecken, was den eigentlichen, den wahren Lebensweg eines Menschen erkennen ließe.

Tabula Smaragdina – ewigeweisheit.de

Die Tabula Smaragdina (Smaragdtafel) des Ur-Alchemisten Hermes Trismegistos (alt-ägyptischer Gott Thoth) wurde immer wieder mit der im Koran besprochenen »Wohlverwahrten Tafel« gleichgesetzt (Suren 22:70, 57:22, 85:21-22). Auch mit dem, was die Anthroposophie als »Akasha-Chronik« bezeichnet, scheint ein Zusammenhang zu bestehen.

Das Herz, einem Spiegel gleich

Auch das spirituelle Herz (Qalb), von dem an anderer Stelle bereits die Rede war, besitzt die Eigenschaften eines solchen Spiegels. Sofern das Herz rein ist und unbefleckt, da sich sein Träger in seinem Handeln nicht wider seine eigenen guten Absichten und vor Allem nicht gegen Gott stellte, vermag sich darin esoterisches, göttliches Wissen zu reflektieren. So jemand kann hernach in seinem Intellekt (Aql) von eben jener »Wohlverwahrten Tafel« entsprechende Erkenntnisse empfangen.

Wenn das Herz (aber) befangen ist mit Lüsten und sinnlichem Verlangen, fällt da ein Schleier, der die Sicht auf die Tafel schützt, welche ja in die Welt von Al-Malakut gehört. Lüftet diesen Schleier aber eine (sprichwörtliche) Brise, blitzt da im Spiegel des Herzens ein Funkeln auf, aus der Welt von Al-Malakut.

– Aus Al-Ghazalis »Ihya Ulum Ad-Din«

Und dieses »Funkeln« gleicht einem flüchtigen Blick in die geistige Welt Al-Malakuts. Das ist ein Moment besonderen Erkennens, das jemand in seinem Herzen, als tatsächlich richtungsweisend erleben dürfte. Es gleicht dieser spirituelle Vorgang einem Gewahrwerden des göttlichen Logos (arabisch »Amr«), durch den in der geschaffenen, materiellen Welt, jene Abbilder zum Widerschein gebracht werden, die als göttliche Archetypen verzeichnet sind, auf eben dieser Wohlverwahrten Tafel, Al-Lahul Al-Mahfudh. Auch der Mensch, der solcher Art Einsicht bekommt, sieht als Reflexion alle auf der Wohlverwahrten Tafel verzeichneten Urbilder schimmern. Sein geistiges Herz (Qalb) vermag darum die wahre Essenz des Seins zu erkennen. Und diese Erkenntnis steuern drei Faktoren:

  • Der Intellekt bildet den Spiegel des Herzens, der das Wesen der Dinge reflektiert,
  • das Verstehen entspricht dem Spiegelbild dieser Dinge und schließlich
  • die Intelligenz: sie entspricht dem eigentlichen Vorgang der Reflexion in diesem Spiegel.

Der Geist verhält sich wie der Spiegel, der Intellekt wie seine Politur. Je weniger persönliche Makel den Intellekt eines Menschen beflecken, desto eher reflektieren sich in seinem Herzen die Symbole, Zeichen und Begriffe, die von jener Tafel als heilige Offenbarungen ausgehen. Solange das spirituelle Herz aber unfähig bleibt wahres Wissen zu erlangen, kann sich darin auch nichts widerspiegeln. Und das rührt her von der Unentschlossenheit eines Menschen, sich etwas höher Geistigem hinzugeben und seien es schlicht Zweifel an der Existenz der geistigen Welt.

Sind wir Menschen aber nicht in diese Welt geboren worden, um uns dieser Fähigkeit zur spirituellen Reflexion bewusst zu werden? Sollte das der Fall sein, ließen sich da wohl auch jene Wegweiser enthüllen, an denen wir den eigentlichen Sinn unseres Daseins auf Erden angedeutet fänden.

Alchemie des Glücklichseins

Um die Voraussetzungen für eine solche Klärung des geistigen Herzens zu schaffen, entwickelte Al-Ghazali eine praktische Vorgehensweise. Sie beschreibt er in seinem Buch »Kimiya As-Saada« – »Das Elixier der Glückseligkeit«. Er leitet den Leser darin an, in seinem menschlichen Werdeprozess auf einen Weg zur Erkenntnis seines wahren Selbst zu gelangen. Letztendliches Ziel auf diesem Wege ist die Gotterkenntnis:

Wer sich selbst erkennt, erkennt Allah.

Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, ja doch genau zu wissen wer man ist. Man weiß ja in der Regel wo und wann man geboren wurde, welchen Namen man trägt, welche Vorlieben man hat und so weiter. Da das aber alles äußerliche Eigenschaften sind, meinen sie nicht das Selbe, was auf die Frage nach dem eigenen Dasein und der darin zu erfüllenden Rolle, beantwortet werden muss. Es empfiehlt sich darum zu erkennen, über welche Wege man geschaffen wurde, und sei es zuerst einmal in der Kenntnis über die eigenen Ahnen. Hierüber vielleicht ließe sich herausfinden, wenn auch nicht sofort ganz eindeutig, wofür man auf dieser Erde wandelt und welche Ziele man auf seiner Lebensreise ansteuern kann.

Wer sich aber schon auf diese Reise begeben hat, der beginnt vielleicht zu empfinden, auf welche Art sich ein damit verbundenes, den eigenen Wünschen entsprechendes Glück äußert und in dieser Wahrnehmung könnte man sich fragen:

Womit kann ich sicherstellen, auf diesem Weg zu wahrer Freude zu finden, für mich und zum Wohle anderer?

Was beklage ich im Leben, worunter leide ich und wie kann ich weiteren Kummer vermeiden?

Was sind meine größten Schwächen?

Welche negativen Eigenschaften drängen mich zu unüberlegtem Handeln oder lassen mich Wichtiges vernachlässigen?

Hierzu muss man natürlich ganz und gar ehrlich zu sich sein und das ist nicht immer einfach. Jede der dabei aber anklingenden Besonderheiten, ganz gleich ob Stärken oder Schwächen, lassen sich immer aus zwei Blickwinkeln betrachten, so dass manche Stärken Schwachpunkte aufweisen können, doch ebenso aus jeder Schwäche eine ihr innewohnende Kraft hervorgebracht werden kann. Sicher spannen diese Fragen mitunter riesige Bewusstseinsbereiche auf, worin man sich mit jeder Antwort erst einmal vertraut machen muss. Al-Ghazali aber beschreibt ganz passend dazu vier Bereiche, in die sich jene Antworten zu diesen Fragen einordnen lassen. Zu diesen Bereichen aber bringt ein Mensch, vielleicht schon seinen natürlichen Veranlagungen gemäß, besondere Eigenschaften und Fähigkeiten mit:

Tierische Eigenschaften drängen den Menschen Tag und Nacht dazu für sein Essen und sein Trinken zu sorgen.

Jeder Mensch hat in sich auch die eine oder andere Form von grausamen Eigenschaften (bei manchen mehr, bei anderen kaum), die ihn in bestimmten Situationen wahrlich wild auftreten lassen, und er anderen dann auch wirklichen Schaden zufügen kann.

Wenn man bei Al-Ghazali dann über die »Dämonischen Eigenschaften« eines Menschen ließt, könnte man das leider missverstehen. Denn sicher ist da wohl eher das gemeint, was der griechische Philosoph Sokrates meinte, wenn er von seinem »Daimonion« sprach. Es sind damit Wirkungen verbunden, die den Astralleib bilden – einen feinstofflichen Teil des Körpers, der durch die astrologischen Voraussetzungen einen Menschen, ihm schon mit der Geburt spezielle Begabungen verleiht. Wenn die Seele aus der geistigen Welt in den irdischen Bereich von Werden und Vergehen hinabsteigt, hüllt sie sich bereits im himmlischen Bereich des Astralen, in dieses unsichtbar-sternartige »Fahrzeug«, dessen Formen sich auch der physische Körper im Mutterleib angleicht. Bis ans Ende der Pubertät dann ist dieser Vorgang der Anpassung abgeschlossen. Bei manchen aber nun, so Al-Ghazali, kann die Präsenz dieses geisterhaften, dämonischen Körpers im Vordergrund stehen, so dass sie auf ihren Träger manipulative oder gar schwindlerische Eigenschaften übertragen. Doch durch die dabei unweigerlich gemachten Erkenntnisse, kann ein Mensch letztendlich doch auf den Weg zur Vollendung finden.

Ist man zu guter Letzt mit engelgleichen Fähigkeiten ausgestattet – was sicher nur die wenigsten zugeben werden – erscheint man als wahrer Gottesverehrer, der Tag und Nacht beflissentlich versucht, dass Angesicht Gottes zu schauen. Doch dann nicht aus Selbstgenügsamkeit, sondern als wissender Adept, der nichts anderes will, als nur auch anderen zur Erleuchtung zu verhelfen.

 

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