Vier Apostel (Albrecht Duerer) - ewigeweisheit.de

Über die vier Temperamente des Menschen

Wer sich die Numerologie der Zahl Vier in den westlichen Traditionen einmal genauer ansieht, dem dürfte auffallen, wie viele Beziehungen da bestehen, zwischen Himmlischem, Geistigem, Seelischem und Organischem. Es scheint, als regiere ein Gesetz dieser Vierheit ein hoher kosmischer Pol, um den sich alles Seiende dreht, als Zentrum der Zyklen von Leben und Vergehen.

Jede Kreisbewegung unterliegt diesem Gesetz der Vierheit: Es gibt ein Maximum und ein Minimum in dieser Bewegung, dass den Kreis in eine linke und eine rechte Hälfte teilt, sowie ein zunehmendes und ein abnehmendes Äquilibrium, dass den Kreis in eine obere und eine untere Hälfte teilt.

Schauen wir uns zum Beispiel den Mond im Laufe seiner Phasen an, so bilden Neumond, zunehmender Halbmond, Vollmond und abnehmender Halbmond, eben genau diese Vierheit eines Zyklus’ ab. Ebenso treffen wir auf selbiges zyklisches Quartett, wenn wir den Stand der Sonne betrachten, innerhalb der Jahreszeiten:

  • Das Minimum an Sonnenlicht erreicht die Erdoberfläche zur Winter-Sonnenwende.
  • Ein Gleichgewicht (Äquilibrium) herrscht zur Frühlings-Tagundnachtgleiche, wenn die Lichtstunden danach den Stunden der Dunkelheit überwiegen.
  • Entsprechend kommt es dann mit der Sommersonnenwende zum Höchstand der Sonne, nachdem die Dauer der Lichtstunden wieder abnimmt, um danach
  • mit der Herbst-Tagundnachtgleiche, den Nachtstunden wieder zu unterliegen.

Scheinbar überträgt sich die Wirkung der genannten kosmischen Vierheit damit ganz tief in die tiefen Ebenen unseres irdischen Daseins, woraus sich auch eine Vierheit organischer Prinzipien ergibt, auf die wir im Folgenden eingehen wollen.

Substanzen des menschlichen Charakters

Im Alten Mesopotamien entstand vor sehr langer Zeit die Vorstellung einer Vierheit der Temperamente. Hieraus ging hervor der Humorismus des griechischen Arztes Hippokrates (460-370 v. Chr.), worin vier Körperflüssigkeiten beschrieben werden, aus denen sich Stimmungen, Emotionen und Verhaltensweisen eines Menschen erklären lassen können:

  • Gelbe Galle, griech. »Xanthe Chole«,
  • rotes Blut, lat. »Sanguis«,
  • weißer Schleim, griech. »Phlegma« und
  • schwarze Galle, griech. »Melan Chole«.

Je nachdem, welche dieser vier »Körpersäfte« (auch: »Kardinalsäfte«) im menschlichen Organismus überwiegen, steuern sie die individuellen Persönlichkeitsmuster eines Menschen, sowie auch seine Tendenzen zu bestimmten Krankheiten. So zumindest wurde es durch Hippokrates dargestellt, auf den Absolventen der Medizin auch heute noch schwören (»Hippokratischer Eid«).

Etwa fünfhundert Jahre später entwickelte der griechische Arzt und Universalgelehrte Galen (129-200 n. Chr.) ein Typensystem, entsprechend der vier hippokratischen Temperamente. Er versuchte daraus die Gründe unterschiedlicher Verhaltensweisen beim Menschen abzuleiten, aus dem Zusammenspiel der vier alchemistischen Elemente:

  • Feuer: heiß und trocken
  • Luft: heiß und feucht
  • Wasser: kalt und feucht
  • Erde: kalt und trocken

Das es sich hierbei um Mischungen handelt, deutet bereits ja auch die Etymologie des Wortes »Temperament«: Das stammt vom lateinischen »temperare« ab, dem Mischen. Und so entsprechend ausgewogene Mischungen bilden in der genannten Typenlehre die idealen Persönlichkeiten eines Menschen, welche manchmal ausgewogen, ein andermal aber unausgewogen erscheinen, nämlich immer dann, wenn im Menschen ein Typ die übrigen vier dominiert. Entsprechend der Dominanz eines der vier Körpersäfte nach Hippokrates, leitete Galen daraus die vier Haupt-Temperamente eines Menschen ab:

  • Cholerisch: Gelbe Galle, Feuer
  • Sanguinisch: Rotes Blut, Luft
  • Phlegmatisch: Weißer Schleim, Wasser
  • Melancholisch: Schwarze Galle, Erde

Überwiegt einer dieser Körpersäfte im Menschen, kommt es zu einem Ungleichgewicht. Dies soll laut Galen den Hauptcharakter eines Menschen anzeigen.

Gesundes Leben in den vier Jahreszeiten

Die genannten Eigenschaften der Verhältnisse der vier Körpersäfte nun, besitzen eine makrokosmische Analogie zu den vier Jahreszeiten:

  • Das rote Blut, das warm (heiß) und feucht ist, entspricht dem Frühling, wo ja durchaus das Blut in Wallung gerät.
  • Die gelbe Galle, heiß und trocken, lässt sich mit dem Sommer assoziieren.
  • Die schwarze Galle ist kalt und trocken, und entspricht damit dem Herbst, wo die Blätter zu dörren beginnen und auf den kühlen Boden fallen.
  • Und schließlich der weiße Schleim, entsprechend dem sehr kalten und auch feuchten Klima des Winters.

Aus diesen Eigenschaften leitete Galen seine Lehren über die Gesundheit des Menschen ab. Waren die Körpersäfte im Gleichgewicht, so war das ein Zeichen für gute Gesundheit. Ein Ungleichgewicht aber oder eine Trennung dieser Körpersäfte, führte zu Krankheit. Da die Körpersäfte bestimmten Jahreszeiten entsprachen, bestand da die Möglichkeit solch Ungleichgewichte oder Krankheiten entsprechend zu vermeiden.

Und ja: Jeder kann seine Gewohnheiten je nach Jahreszeit ändern. Manche Ärzte raten sogar, dass so zu tun. So ist es durchaus denkbar, den Jahreszeiten entsprechende Nahrung zu sich zu nehmen – ein Wissen, dass in der heutigen Ernährungskultur scheinbar verloren gegangen ist, da fast alle Gemüse- und Obstsorten einfach immer zum Kauf angeboten werden.

Traditionelle Landwirtschaft aber, erntet ihre Sorten entsprechend der vier Jahreszeiten:

  • Frühling: Feldsalat, Radieschen, Rosenkohl, Porree, Spinat.
  • Sommer: Verschiedene Beeren, Tomaten, Zucchini, Bohnen, Erbsen, Gurken.
  • Herbst: Äpfel, Birnen, Paprika, Rote Beete, Weißkohl, Kürbis.
  • Winter: Grünkohl, Winterkresse, Sellerie.

Was man hiermit jeder in seinem Innern, für sein irdisches Dasein tun kann, wird sich entsprechend einstimmen auf die im Außen gegenwärtige Naturqualität, entsprechend der Jahreszeit.

Natürlich finden sich diese Formen des Abgleichs auch in den Jahresfesten wieder, wie man sie seit alter Zeit begeht, wo man der Toten gedenkt eher in der dunklen Jahreszeit, Freudenfeste aber lieber in den vom Sonnenlicht bestimmen Monaten feiert.

Vierfältig gefühlt

Der persische Universalgelehrte Avicenna (980-1037 n. Chr.) erweiterte die Theorie der Temperamente in seinem Kanon der Medizin, der aus mehreren Büchern bestand und im Mittelalter an europäischen Hochschulen zum medizinischen Standardwerk gehörte. Avicenna richtete sein Augenmerk im Zusammenhang mit den Körpersäften auch auf emotionale Aspekte, geistige Fähigkeiten und des Menschen nächtliche Traumerfahrungen.

Was wir uns zu den Temperamenten und den ihnen entsprechenden Körpersäften zuvor ansahen, scheint die moderne Medizin verworfen zu haben. Jene Wissenschaftler aber, die wegen ihres Arbeitsfeldes sich im vergangenen Jahrhundert im Bereich von Bewusstseinsfragen bewegten, wie etwa Rudolf Steiner (Anthroposoph, 1861-1925), Carl Gustav Jung (Psychologe, 1875-1961) oder Erich Fromm (Psychologe, 1900-1980): Sie alle haben Theorien über die vier Temperamente, nur vielleicht mit anderen Namen, weiterhin in ihren psychologischen Grundmodellen verwendet.

Auch in den vergangenen Jahren wurde mit solchen und ähnlichen Systemen in der Psychologie und in der Lebensberatung praktisch gearbeitet. Da wären etwa zu nennen die Psychologen Max Lüscher (1923-2017) oder David Keirsey (1921-2013). Lüscher unterschied vier verschiedene Denkweisen des Menschen. Sie ordnete er vier Farben zu:

  • Rot (Feuer): provokativ (Faszination für die Vielheit)
  • Gelb (Luft): rezeptiv (Bewusstsein für Möglichkeiten)
  • Blau (Wasser): reflexiv (Erkennen der Einheit)
  • Grün (Erde): objektiv, (Gestaltung des Notwendigen)

Keirsey glaubte zudem, dass es eine grundlegende psychologische Vierheit gäbe, die, seit den Platonikern, als Modell zur Klassifizierung menschlicher Temperamente auch heute noch zur Anwendung kommen kann:

  Luft Erde Feuer Wasser
Griech. Gott Dionysos Demeter Apollon Prometheus
Aristoteles Hedonist Eigentümer Moralist Dialektiker
Galen Sanguiniker Melancholiker Choleriker Phlegmatiker
Paracelsus wandelbar fleißig inspiriert kurios
Christl. Apostel* Johannes Paulus Markus Petrus
Fromm ausbeutend hortend empfänglich vermarktend
Keirsey handwerklich kommerziell humanistisch wissenschaftlich

Das Gesagte versuchte zu verdeutlichen, dass das menschliche Sein auf Erden – im Denken, Fühlen und körperlichem Handeln – durchaus mit diesem natürlichen Bewusstsein einer kosmischen Vierheit, abgeglichen ist.

Die Jahreszeiten und die astronomischen Marker ihres Beginns (Wintersonnenwende, Frühlingstagundnachtgleiche, Sommersonnenwende, Herbsttagundnachtgleiche), aus denen sich die vier Himmelsrichtungen ableiten, sind vor dem Hintergrund des Gesagten etwas, dass in jedem von uns bereits seit unseren Kindertagen veranlagt ist.

Selbst wenn der Alltag solch Bewusstsein verhüllt, lernt man Jahr für Jahr, aus dem Erfahren der vier jährlichen Zeitabschnitte, immer neue Wege zu entdecken, die einem die Wahrheiten dieser kosmischen Vierheit allmählich offenbaren. Je öfter die darin wirkenden Zusammenhänge zu Tage treten, desto deutlicher erkennt man, wie sehr auch alle Spiritualität und Religion, mit dieser großen Wahrheit der Zahl Vier verbunden ist.

* Titelbild: Gemälde von Albrecht Duerer: Die vier Apostel. Zuordnung zu Johannes, Paulus, Markuns und Petrus, durch den Kunsthistoriker Erwin Panofsky.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Auch interessant