Die Traumzeit - ewigeweisheit.de

Durchs spirituelle Gewebe der Traumzeit

Für die australischen Aborigines ist die Traumzeit etwas, durch die einst die Geister unserer Ahnen das Land durchzogen. Sie formte alles Leben und aus ihr kamen die heiligen Orte der Erde zum Vorschein. Die Traumzeit eröffnet den Aborigines Weisheiten, die aus einer mystischen Wirklichkeit entstammen.

In den einzigartigen Legenden der australischen Ureinwohner leben ihre geistigen Vorfahren weiter. Seit Jahrtausenden geben sie die Älteren weiter an ihre Kinder – durch Erzählen, durch Lieder, Tanz und sakrale Zeremonien.

Der Begriff der Traumzeit steht für den Ursprung des Universums sowie die Art und Weise wie darin das Leben der Menschen und das Leben in der Natur in Bewegung ist. Aus ihr formt sich das Leben und sie gibt ihm seine besondere Struktur, wie es sich etwa im Kreise der Familie ausdrückt, in den Beziehungen der Geschlechter, wie auch in den Verpflichtungen jedes Einzelnen gegenüber anderen Menschen, Lebewesen, gegenüber dem Land und den Wesenheiten der geistigen Welt.

Australische Urgeschichte

Die Aborigines besitzen die älteste, ununterbrochene Kulturgeschichte der Menschheit, die vor etwa 50.000 Jahre begann und die sie bis ins Zeitalter der Moderne erhielten. Ihr historischer Ursprung lässt sich in der Periode zwischen der von dem Kulturphilosophen Jean Gebser definierten Archaischen und Magischen Bewusstseinsstruktur einordnen. Immer ging es bei diesen Menschen um ihre Traumgeschichten, woraus all ihr fabelhaftes Wissen, ihre kulturellen Werte, Traditionen und Gesetze entstanden und bis heute für sie greifbar geblieben sind (bis ins 19. Jahrhundert hinein lebten die Aborigines vollkommen abgeschottet von der restlichen Weltzivilisation; sie entwickelten keine Schriftsprache, betrieben als Wanderer keine Landwirtschaft, Waffen waren ihnen ebenso fremd wie metallene Werkzeuge).

Was den Weisen der Aborigines aus der Traumzeit bekannt ist, dazu fanden sie in einem mündlich überlieferten Brauchtum, ganz ähnlich dem, wie man ihm auch im Westen in den Initiatischen Traditionen begegnet (zum Beispiel im Sufitum oder bei den Freimaurern). Die aus der Traumzeit stammenden Legenden geben sie an ihre Nachkommen weiter mittels dem Erzählen besonderer Geschichten, die in ihren Gesängen und Tänzen (in der die Körper der Beteiligten eine zeremonielle Bemalung erhalten).

Ganz besonders daran ist, dass die australischen Ureinwohner auf diese Weise über all die vielen Jahrtausende hinweg ihre Verbindung zur Traumzeit, bis in die Gegenwart aufrechterhalten konnten. Damit haben sie ein ganz reiches kulturelles Erbe für sich bewahrt.

Ursprung des Lebens, des Raums und der Zeit

Wenn es um die Traumzeit der Aborigines geht, ist der Begriff bestimmt nicht gleich verständlich für alle. Denn weniger geht es um eine besondere Form von Zeit wie wir sie kennen. In den vielen verschiedenen Sprachen der Aborigines existiert ein Wort für Zeit in Wirklichkeit nicht einmal! Auch mit dem, was wir unter dem Traum im Schlaf verstehen, hat das zusammengesetzte Wort »Traumzeit« eigentlich gar nichts zu tun.

Doch was meint es denn dann?

Laut dem, was uns heute durch den britischen Ethnologen Walter Baldwin Spencer (1860-1929) an Wissen über die Aborigines erhalten geblieben ist, lässt sich der Begriff »Traumzeit« ins Deutsche sinngemäß übersetzen als etwas, womit gleichzeitig eine spirituelle, natürliche und auch sittliche Ordnung des Kosmos gemeint ist. Wenn die Rede ist von »Traum«, meint das ein Erleben der Welt und ihrer Zusammenhänge, das aber nur gemeinschaftlich erfahren werden kann. Es ist also nicht der individuelle Nachttraum eines Menschen damit gemeint.

Im Rahmen der kultischen Handlungen der Aborigines können sie in der Traumzeit gemeinsam über die Welt ihrer Mythen reflektieren, um dabei zuzugreifen auf besondere Lebenskräfte. Traumzeit meint damit ein gänzlich zeitloses Konzept, dass den Übergang vom »Traum« in die Realität beschreibt, womit die Aborigines jedoch einen Schöpfungsakt meinen (vielleicht vergleichbar mit der Akasha-Chronik, die man sich in der modernen Theosophie als allumfassendes Weltgedächtnis vorstellt).

Wenn sich die australischen Ureinwohner unseres Zeit-Begriffs bedienen, beziehen sie sich natürlich auch auf das, was wir darunter als den Zusammenhang verschiedener Ereignisse in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft meinen. »Träumen« aber ist nichts von alledem. Es ist etwas das nur jetzt stattfindet; doch eben nicht in Bezug auf das was war oder das was sein wird, sondern auf die Umgebung in der die Aborigines leben – seit ferner Vergangenheit und bis heute.

Träumen ist bei den Aborigines nicht allein nur ein Vorgang, sondern mit dem Träumen wird sich immer auch auf die Bedeutung eines Ortes bezogen. Wenn die Aborigines von »Tjukurrpa« (Traumzeit) sprechen, meinen sie gleichzeitig auch jenseitige und diesseitige Zusammenhänge, worin sie erfahren, erkennen und damit erst unsere eigentlich universale Wirklichkeit verstehen.

Der Berg Uluru - ewigeweisheit.de

Der Uluru-Felsen (Ayers-Rock): Eine etwa 350 m hohe Erhebung in der zentralaustralischen Wüste. Verschiedene Felszeichnungen in den Höhlen am Uluru erzählen Geschichten der Traumzeit.

Wesen aus der Welt des Geistes

Die Traumzeit ist die Heimat der Ahnengeister. Sie kamen einst in menschlicher Gestalt auf die Erde. Auf ihrem Weg durch das Land erschufen sie alles: Tiere, Pflanzen, Felsen, Berge und Flüsse des Landes – in dem sie heute leben. Sie schufen auch die Beziehungen zwischen den Aborigines untereinander sowie zwischen ihnen und dem Land, und zwischen eigentlich allen Lebewesen der Erde.

Aus der Aborigine-Mythologie erfahren wir auch, dass, sobald eine Ahnengeist sein Werk auf Erden vollbracht hat, sein ganzes Sein danach in die Gestalt eines Baumes, Felsen oder Wasserlochs übergeht. Manche dieser geistigen Entitäten sollen sich einst auch verwandelt haben in die Himmelskörper und Sterne im Makrokosmos.

Da die genannten Dinge in der Natur (in Mirko- und Makrokosmos) also einen Bezug zu den Ahnengeistern haben, bilden sie in der Aborigine-Kultur heilige Orte und haben für sie damit eine wichtige Bedeutung (wie etwa der Uluru-Felsen, auch bekannt als Ayers-Rock).

Wenn nun aber die Rede war davon, dass die Ahnengeister solcherart Verwandlung erlebten, meint das keineswegs, dass sie nach dem »Träumen« verschwanden. Im Gegenteil: Sie sind für die australischen Ureinwohner auch heute noch gegenwärtig und verbinden in ihrem geheimnisvollen Wirken die Vergangenheit und die Gegenwart mit den Menschen und dem Land.

Man sieht schnell, dass hier begriffliche Konzepte wie wir sie nur getrennt verstehen, bei den Aborigines etwas entsprechen, worin sowohl Raum, Zeit und Leben einen gemeinsamen Ursprung haben. Ihr »Träumen« ermöglicht den Aborigines also ihren Platz in der traditionellen Gesellschaft und der Natur zu erleben und zu verstehen.

Hiermit verstehen sie den Ursprung des Seins in der Natur, dem eine ganz und gar spirituelle Welt zugrunde liegt, worin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem »Immer« verschmelzen. In der Traumzeit können Aborigines den Schöpfungsprozess der Welt noch einmal erfahren und nachempfinden. Das ist natürlich etwas ganz Anderes, als davon nur zu lesen (und es auch schnell wieder vergessen zu haben). Erfahrungen bleiben und sind einfach jederzeit abrufbar. Wenn also die Aborigines diesen Schöpfungsprozess in der Traumzeit erfahren, wirkt alles daraus auf ihr gesamtes Dasein (man würde bei uns vielleicht sagen, auf ihr gesamtes Denken, Fühlen und Handeln – drei Formen des Seins, die dabei aber nicht getrennt voneinander gesehen werden dürfen).

Was die Aborigines so als den Schöpfungsprozess »nacherleben« hängt zusammen mit den oben genannten Ahnenwesen. Sie stiegen einst aus der Erde und den Meeren auf und durchstreiften das ursprünglich karge Land. Darin brachten sie die besonderen Formen und Merkmale des Landes hervor, die sie hernach in Felsen, Wasserlöcher, Bäume und andere Naturerscheinungen verwandelten.

Wer diese »mystische Schau« des Schöpfungsprozesses aus der Traumzeit erfährt, findet dadurch auch auf die Wege, die zu diesen heiligen Orten im Land führen. Dies zu erleben aber ist nur den Eingeweihten der Aborigines erlaubt.

Reise im Land der Ahnengeister

In den Überlieferungen der Aborigines treffen wir auf einen weiteren, ihrer Kultur sehr wichtigen Begriff und das ist der der »Traumpfade«. Das sind mythische Wege durch die Traumzeit, auf denen alles jemals Geschehene aufgezeichnet ist.

Traumpfade verbinden auch besondere Orte untereinander, um damit etwa den Weg eines Totems (Ahnengeists) zu kennzeichnen, auf dem es sich einst befand, um sein aus der Traumzeit empfangenes Werk im Diesseits zu verwirklichen. Für die Aborigines eine sehr wichtige Sache, zumal diese Pfade Aufschluss darüber geben, wie sich ein Totem durch die Landschaft bewegte und nach welchen Gesetzen es dabei die Landschaft »zeichnete«, samt aller darin lebenden Wesen.

Bota-Initiations-Ritual - ewigeweisheit.de

Der im Süden Australiens lebende Stamm der Kamilaroi begeht als Initiationsritual das sogenannte »Bora«. Darin werden zehnjährige Jungen ins Erwachsenenalter entlassen (etwa durch Einritzen von Symbolen in die Haut oder durch Beschneidung der Vorhaut), die in gewisser Hinsicht Ähnlichkeiten aufweisen mit den Riten des Sonnentanzes der amerikanischen Ureinwohner.

Die Aborigines haben verschiedene Totems, zu denen sowohl Fabelwesen zählen – darunter die Regenbogenschlange, die »Wesen aus Arnhemland«, die Karatgurk (die sieben himmlischen Schwestern, das ist der Sternhaufen der Plejaden) – als auch Tiere, wie etwa das Känguru oder die Honigameise. Viele Fabeln über das Werk dieser und anderer Wesen der Traumzeit, gaben die Stammesältesten der Aborigine von Generation zu Generation, über Jahrtausende hinweg weiter an ihre Nachkommen. Solch legendäre Erscheinung eines Ahnengeistes oder Totems aber bezieht sich niemals nur auf einzelne Menschen, sondern gehört immer zu einer besonderen Gruppe beziehungsweise einem Volksstamm der Aborigines.

Nun hat jeder dieser Stämme einen für diese Funktion der Weitergabe bestimmten Erzähler, der von den Ältesten dazu erwählt und mit der Aufgabe betraut wird, die Legenden der Traumzeit an ihre Nachfahren weiterzugeben. Damit soll sichergestellt werden, dass die jungen Menschen eines Stammes ein Gefühl dafür entwickeln wer sie eigentlich sind. Dies erfolgt durch ein besonderes Initiationsritual, damit sie die darin wirkenden Wahrheiten auch auf Körperebene erleben, um es sodann als echtes Gefühl in sich zu bewahren.

Während der dabei erzählten Legenden, erklingt oft auch der charakteristische Klang des Didgeridoo (einem obertonreichen Blasinstrument), dass von Gesängen, meist im Tanz begleitet wird. Aber auch symbolische Zeichnungen haben eine wichtige Bedeutung in diesen, man könnte sagen »Einweihungsriten«, wie sie etwa in Form von Sandbildern angefertigt werden. Was man da an Symbolen verwendet, findet man auch in alten Höhlenmalereien und Felszeichnungen der Aborigines.

Immer schon spielte die Kunst der Aborigines eine wichtige Rolle in ihren traditionellen Bräuchen. Aus diesem Grund war es von großer Bedeutung diese an die jüngere Generation weiterzugeben. Damit in Zusammenhang stehen natürlich die Legenden der Traumzeit, die für den visuellen Ausdruck ihrer Überzeugungen die wichtigste Möglichkeit bildet, ihre Kultur, ihren Glauben und ihre Geschichte für sich und ihre Nachfahren bis heute zu bewahren.

 

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