Das kretische Labyrinth - ewigeweisheit.de

Heiliger Tanz durchs Labyrinth

Von der griechischen Insel Kreta kam vor sehr langer Zeit ein besonderes Symbol zu uns: Das Labyrinth. Zwar liegen seine wahren Ursprünge im Dunkeln. Man begegnet dieser charakteristischen Bildform aber in Beschreibungen über die antiken Kulte der Initiation.

In diesem Zusammenhang fällt auch der Titel »Geranos«: Das ist der Name eines Tanzes, bei dem sich 14 junge Menschen gemeinsam entlang der Windungen eines Labyrinthes bewegen, um sich dabei auf geheimnisvolle Weise dem Mysterium von Tod und Wiedergeburt zu nähern.

Um uns den darin verborgenen Geheimnissen zu nähern, ist es sinnvoll zunächst einmal den Mythos vom kretischen Labyrinth zu erzählen, wie im Folgenden umrissen werden soll.

Ariadnes Roter Faden

Einst erbaute der mythische Architekt Daidalos für König Minos von Kreta ein außergewöhnliches Gebäude, dass einerseits einem Tempel, seiner Bauform nach aber auch einem Gefängnis glich. Es sollte darin vor dem Volk der Kreter etwas versteckt werden: Das Monster des Minotaurus – ein Menschenleib mit dem Haupt eines Stiers. Er kam zur Welt kam als Sohn der Pasiphae, der königlichen Gattin Minos’. In lustvoller Begierde hatte sie sich einem weißen Prachtstier hingegeben. So kam der Minotaurus zur Welt, für den sich Minos so schämte, dass er ihn im Innersten des Labyrinths versteckte.

Doch er musste dafür einen hohen Preis bezahlen. Jedes Jahr verlangte der Minotaurus einen grausamen Tribut: Sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen wollte die Bestie haben.

In einem Jahr war unter den Jünglingen aber der Sohn des Königs von Attika, der dereinst selbst zu einem Fürsten werden sollte: Theseus (der Legende nach dann einmal der erste König der Athener). Als man ihn mit den anderen, vom griechischen Festland übers Meer auf die Insel Kreta gebracht hatte und er das Boot verlies, traf er da auf die Tochter Minos’, die schöne Ariadne. Sie verliebten sich. Theseus aber folgte seinem inneren Auftrag, denn er sollte sein eigenes und das bevorstehende Unglück seiner Gefährten verhindern und hierfür den monströsen Minotaurus im Labyrinth suchen und erschlagen. Dazu musste er in das unheilvolle Bauwerk vordringen, aus dem, wie es hieß, kein Entkommen möglich sei. Ariadne aber versicherte Theseus, dass, wenn er sich an ihren Roten Faden hielt, den er auf seinem Weg ins Zentrum langsam von seinem Knäuel entwickelte, er damit auch wieder den Weg nach draußen finden würde.

So also kam es, dass Theseus wirklich ins Innerste des Bauwerks auf diese Weise fand, den Minotaurus dort in einem Kampf erschlug und den Roten Faden auf seinem Rückweg wieder aufrollend, den Ausgang wieder fand. Mit Ariadne floh er danach, in Begleitung der 13 geretteten Gefährten auf die heilige Insel Delos, wo er mit ihnen einen Freudentanz veranstaltete und mit Theseus 14 an der Zahl, in Form des Labyrinths den Geranos tanzten: Den sogenannten »Kranichtanz«.

Tanzend in die Unsterblichkeit

Seit der Antike tanzte man nachts auf Delos diesen Geranos, im Lichtschein flammender Fackeln. Es ist dabei ein Haupttänzer, der wie einst Theseus, an der Spitze des Chors den Weg durchs Labyrinth vorgab. Er führte die anderen Tänzerinnen und Tänzer in das Labyrinth hinein und wieder heraus – die sich jeweils abwechselnd, ein Junge und ein Mädchen, dabei an den Handgelenken griffen und zum Klang sakraler Musik diesen schlängelnden Tanz aufführten.

Falls nun aber der Vortänzer aus dem Schritt kam, büßte er bei den anderen erheblich an Ansehen. Denn: Er hatte den »Roten Faden verloren« und damit sich und die anderen aus der glücklichen Versunkenheit des Tanzes gerissen.

Tod und Wiedergeburt

Man tanzt den Geranos um Mitternacht. Zuerst bewegen sich die Tänzer dabei in Richtung Westen, die entgegengesetzte Richtung des Sonnenlaufs, was als Symbol für den Weg in den Tod gedeutet werden kann. Mit Ende des Tanzes nähern sie sich dem Ausgang des Labyrinths, was symbolisch einer Wiedergeburt in einen neuen Lebensabschnitt entspricht.

Dieser Tanz, »des Kranichs Balztanz« wie man ihn auch nennt, soll damit den schwierigen Weg von der Geburt durch das Leben zum Tod und zur Wiedergeburt symbolisieren. Es geht da um den Austritt aus dem Alten und den Eintritt in etwas Neues, Abstieg und Aufstieg, Fall in die Tiefe und Wiederaufstieg zur Höhe.

Labyrinth Chartres – ewigeweisheit.de

Pilger laufen entlang der Bahnen des Labyrinths von Chartres (Frankreich).

Diesen besonderen Tanz einer mystischen Initiation tanzen die Griechen seit alter Zeit in der ersten Frühlingsnacht. Bis zum Aufgang der Sonne wird dabei er wiederholt. Sobald sich das Morgenlicht über dem Horizont ausbreitet, begrüßen die Tänzer den Sonnenaufgang mit schallendem Ruf. Damit ahmen sie nach den Ruf der Kraniche, die in eigenartigem Tanz stolzieren, sich verbeugen, mit ihren Flügeln schlagen, ohne sie dabei aber auszubreiten.

Ganz gleich in welcher Kultur der Erde: Wenn Menschen tanzen, zelebrieren sie dabei einen Akt des Glücks, etwas, das von ihrer Lust angetrieben, zum Ausdruck höchster Freude wird.

Das Labyrinth im Christlichen Osterritus

Labyrinthe finden sich auch in verschiedenen gotischen Kathedralen, die dort in die Böden kunstvoll eingelassen sind. An solch Tänze erinnernd, beschreiten Gläubige dort, entlang symbolischer Labyrinthbahnen, kleine Pilgerreisen. Hierzu etwa zählen auch die sogenannten »Ostertänze«. Seit dem Mittelalter läuft man dazu durch solch »kirchliche Labyrinthe« und versucht dabei den Kreuzweg Christi nachzuempfinden – als Symbol von Geburt (Eintritt ins Labyrinth), Tod (Erreichen des Zentrums) und Wiederauferstehung (Austritt aus dem Labyrinth). Das älteste bekannte Labyrinth in einer christlichen Kirche befindet sich in der algerischen Stadt El Asnam, das ein Spiralmuster mit elf Umgängen bildet.

In den Labyrinthen einiger französischer Gotteshäuser zelebrierte man einst sogar Zeremonien mit Chortänzen. Zu Ostern führte man in den Kathedralen von Amiens, Chartres und Reims in Frankreich, dazu sakrale Ostertänze auf. Die Priester warfen sich dabei, auf dem Weg um und durch das Labyrinth, einen Ball zu, was durchaus eher an vorchristliche Praktiken erinnert, aus sehr alter Zeit. Laut der sogenannten »Ballspielordnung« des Kapitels von Auxerre (Nummer 18.4.1396) tanzte der Dekan des Kapitels zur Weise des Osterhymnus im Dreierschritt durch das Labyrinth und warf den anderen Klerikern, die ebenfalls das Labyrinth umtanzten, einen, meist goldenen Ball zu. Man könnte diesen Ball sehr gut deuten als Sinnbild für die »Ostersonne«, die in dieser Zeremonie das Licht des Auferstandenen Christus symbolisiert. Es sollte damit ein Jubel in der sündig verstörten Erde ausgelöst werden und man sich an der Erlösung durch den Herrn Jesus Christus erfreuen – in eben solch einem Tanz durchs Labyrinth.

 

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