Anton Josef Trčka Eurythmische Tänzerinnen – ewigeweisheit.de

Der Anthroposophische Schulungsweg

Durch ihren Praxis-Aspekt unterscheidet sich die Anthroposophie Rudolf Steiners von der Theosophie Helena P. Blavatskys. Zwar erforschen auch die Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft Phänomene der geistigen und materiellen Welt, doch man verzichtete lange Zeit auf eine tatsächlich praktische Anwendung daraus gewonnener Erkenntnisse. Aber auch wenn die moderne Theosophie viele Jahre nur Geisteswissenschaft blieb, erfüllte auch das seinen Zweck.

Anton Josef Trčka Eurythmische Tänzerinnen – ewigeweisheit.de

Eurythmische Tänzerinnen – Foto aus dem Jahr 1926 von Anton Josef Trčka.

Schließlich baute Rudolf Steiners Anthroposophie auf das auf, was sich über eine gewisse Zeit hinweg erst einmal zu dieser modernen Theosophie entwickeln musste. Dazu später mehr.

In seinem Werk versuchte er auf jeden Fall von solch höherem Wissen direkte Verwendungen abzuleiten. Und wie sich seiner Biografie entnehmen lässt gelang ihm das anscheinend auch in einem weiten Spektrum. Schließlich finden sich Ansätze der Anthroposophie Steiners sowohl in der Kunst, in der Erziehung des Menschen, aber auch in der Landwirtschaft, der Medizin und der Architektur, um einige Anwendungsgebiete genannt zu haben.

Aus Rudolf Steiners Bestreben theosophisches Wissen einem Nutzen zuzuführen, entstand auch seine reformierte Pädagogik. Hieraus gründeten sich die freien Waldorfschulen. Die Zentrale Zielsetzung in Steiners Waldorfpädagogik bestand darin einem Kind in seiner Entwicklung bis ins Erwachsenenalter, eine ganzheitliche Weltsicht zu vermitteln. In diesem Zusammenhang soll auch die anthroposophische Heilpädagogik erwähnt werden, wo eben der ganze Mensch betrachtet wird, mit all seinen Fähigkeiten, Problemen, seinem sozialen Umfeld und den ihm zur Verfügung stehenden, ins Leben mitgebrachten Hilfsmitteln. All das wird mit einbezogen bei der Bearbeitung und Lösung von Problemstellungen in der anthroposophischen Heilkunde. Aus dieser neuen Form des Heilens gründete Rudolf Steiner mit seiner damaligen Geliebten Ita Wegman 1920 in Dornach die Futuram AG, aus der später die Weleda AG hervorgehen sollte, einem internationalen Unternehmen das heute Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel produziert.

Anders als in älteren Systemen, wie etwa der Magie oder Theurgie, versucht die praktische Anthroposophie allein durch indirekte, geistig-basierte Handlungsweisen Resultate zu erwirken. Es geht wie gesagt darum die Erkenntnisse höherer Wirklichkeiten in eine zweckmäßige Arbeit einfließen zu lassen. Aus der Existenz astraler Einflüsse (aus Gestirnen und Planeten) schlussfolgerte Rudolf Steiner auch, wie sich besondere, darauf bezogene Handlungsabläufe, im landwirtschaftlichen Jahr praktisch einsetzen ließen. Darnach sollte das entstehen was heute bekannt ist als biologisch-dynamische Landwirtschaft. Rudolf Steiner stellte 1924 seine Ideen dazu vor in einer besonderen Vortragsreihe. Darauf basierend gründeten anthroposophisch arbeitende Landwirte im Jahr 1927 die Verwertungsgesellschaft Demeter, deren Namen sich von der griechischen Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin Demeter ableitet und eng verbunden ist mit den alt-griechischen Mysterien.

Als eine weitere Form der Verwendung spirituellen Wissens, entwickelte Rudolf Steiner, in Verbindung mit seiner zweiten Ehefrau, der Theosophin und Anthroposophin Marie von Sivers (1867-1948), was heute bekannt ist als »Eurythmie«. Es ist eine Bewegungskunstform, die wirksame Gesetzmäßigkeiten in Sprache und Musik miteinander in Beziehung bringt und durch menschliche Bewegung sichtbar machen will. Die aus der Eurythmie gewonnenen Erkenntnisse sollten später auch einen Teil der alternativen Heilkunde Rudolf Steiners bilden, als bewegungstherapeutische Form anthroposophischer Medizin und Psychotherapie.

Lebenssinn und Spiritualität

Wir sind nun dem Begriff der Anthroposophie bereits in verschiedenen Zusammenhängen begegnet. Gewiss wird das Wort heute verwendet, um die spirituelle und esoterische Weltanschauung Rudolf Steiners einordnen zu können. Er setzte im Prinzip das fort, was im Westen als Rosenkreuzertum und später als die moderne Theosophie (Blavatsky) entstanden war. In diesem geheimwissenschaftlichen Kontext versuchte Steiner die Urform einer neuen Geisteswissenschaft zu entwickeln, in deren Reifung seine Schüler beteiligt wurden, damit sie Mensch und Welt verstehen lernen, als ein voneinander abhängiges, ineinandergreifendes und einheitliches Wesen. Daraus entstanden die Grundzüge von Rudolf Steiners Anthroposophie, einem besonderen Erkenntnisweg, der sich eben mit der Weisheit (griech. »Sophia«) des Menschen (griech. »Anthropos«) befasst.

In dieser vollkommen neuen Schulrichtung flossen Elemente aus dem deutschen Idealismus, der Weltanschauung Goethes, Wissen aus Gnosis und Mystik, aber auch die Weisheiten fernöstlicher Lehren mit zeitgenössischen Beobachtungen aus den Naturwissenschaften zusammen, so dass daraus in verschiedenen Belangen ein tatsächlicher Nutzen zur Anwendung gebracht werden konnte.

Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erforschung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Natur-Erkenntnis ebenso wie diejenigen der gewöhnlichen Mystik durchschaut und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewusstsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen.

– Aus Rudolf Steiners Aufsatzsammlung »Philosophie und Anthroposophie«

Die Entstehung anthroposophischen Gedankenguts

In seinen Vorträgen und Aufsätzen griff Rudolf Steiner teils auf das zurück was er aus den Lehren seiner Vorläufer zusammensetzte. Während seiner Berliner Jahre brachte er eine Zeitschrift heraus, mit dem Titel »Lucifer-Gnosis«. Der obskure Name dieser Zeitschrift meinte aber nicht den Teufel des Christentums, sondern einen durch das lateinische Wort »Luzifer« beschriebenen »Bringer des Lichts« oder »Bringer der Erleuchtung«. Nur sollte dieses wichtige Detail kaum wahrgenommen werden und schnell war Steiner als Satanist stigmatisiert.

Es ging ihm aber in dieser und seinen anderen Schriften vielmehr darum den Menschen in seiner Bewusstwerdung zu helfen, ihm im wahrsten Sinne des Wortes Erleuchtung zu bringen. Nicht allein auf religiöser Ebene, sondern auch sonst auf geistiger und auch körperlicher Ebene, wollte er seinen Zeitgenossen nicht nur besonderes Wissen sondern auch die Fähigkeit zur Erkenntnis vermitteln. Aus Abhandlungen über den indischen Yoga-Weg oder fernöstliche Meditationstechniken, versuchte er dieses wertvolle Wissen dem europäischen Gemüt zugänglich zu machen, was vor ihm ja auch Helena P. Blavatsky Anliegen gewesen war.

Wenn aber in der modernen Theosophie das Göttliche im Mittelpunkt stand, so hob Rudolf Steiner die Wichtigkeit des Menschseins hervor. Immer befand sich der Mensch im Zentrum der Betrachtungen Steiners. Das zeigen seine beiden Grundlagenwerke »Theosophie« (1904) und »Die Geheimwissenschaft im Umriss« (1910). In beiden Büchern geht er zuerst auf die Natur des Menschen ein, bevor man darin über die kosmische Welt en gros erfährt. Nicht aber so wie es ihm aus der Naturwissenschaft und Biologie, mit der rein quantitativen Einschätzung geläufig war, als vielmehr mit dem Versuch durch seine Werke den Menschen die Qualitäten und das Heilige in der Natur überhaupt bewusst zu machen.

Er versuchte jedoch immer die Erkenntnissysteme in seinem Werk nicht aus fernöstlichen Lehren zu übernehmen, sondern sie auf Grundlage deutschsprachiger Ansätze des Geisteslebens zu entwerfen. Aus diesem Grund tauchen in den Schriften Rudolf Steiners viele Denkweisen auf, die er im Werk Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) fand.

Steiners Jugend- und Studienjahre

Rudolf Steiner kam am 27. Februar 1861 zu Welt. Seine familiäre Vergangenheit lässt nicht direkt auf seine spätere Entwicklung schließen. Anders als etwa Helena Blavatsky, wurde Steiner in eher bescheidene Verhältnisse geboren. Sein Vater war Bahnbeamter und Rudolf Steiner lebte mit seinem gehörlosen Bruder, der immer auf Hilfe angewiesen war, und seiner Schwester, die zeitlebens bei seinen Eltern wohnte, zuerst in einem kleinen Haus in Donji Kraljevec im Norden des heutigen Kroatien, damals Teil des Königreichs Ungarn.

Schon in seiner Kindheit interessierte sich Rudolf Steiner für Spiritualität. Damals soll er bereits eine besondere Hellsichtigkeit besessen haben. Im Alter von sieben Jahren erschien ihm in einer Vision der Geist seiner Tante, von der damals niemand wusste dass sie Selbstmord begangen hatte. Von dieser und anderen eher beklemmenden Visionserfahrungen erschreckt, zog er sich als Junge zurück, wusste er doch nicht mit wem er über seine eigenartigen Erlebnisse sprechen sollte. In dieser Zeit begann auch sein Interesse für Esoterik und Philosophie.

Bis Anfang der 1880er Jahre studierte er an der Technischen Hochschule Wien Mathematik und Naturwissenschaften. Gleichzeitig aber war er häufig anwesend in Vorlesungen zu Literatur, Philosophie und Geschichte. Später siedelte er über in den Norden Ostdeutschlands und promovierte dort dann 1891 zum Dr. phil. an der Universität Rostock.

Wie oben bereits angemerkt sollten in Steiners Leben und Werk die Arbeiten Goethes eine zentrale Rolle einnehmen. Als Herausgeber der naturwissenschaftlichen Werke Goethes machte er sich einen Namen. Manche Rezensionen dieser Arbeit wurden außerordentlich gelobt und man kann sagen, dass erst durch Rudolf Steiners Beitrag die Naturwissenschaftlichen Schriften Goethes überhaupt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wurden. Bis dahin hatte man Goethe nur als Dichter wahrgenommen.

In Steiners Wiener Zeit, zwischen 1879 und 1890, pflegte er eine Freundschaft mit dem Theosophen Friedrich Eckstein. Über ihn sollte Rudolf Steiner schließlich auch in Kontakt kommen mit Helena P. Blavatsky.

Befreiung aus dem Körper reiner Sinnlichkeit

1893 publizierte Steiner eines seiner für ihn wichtigsten Werke: »Die Philosophie der Freiheit« – einem Buch dem er bis zu seinem Lebensende größte Bedeutung zumaß. Darin stellte er die Frage ob das Individuum letztendlich nur etwas Allgemeines sei, wo die vielen Persönlichkeitsaspekte der Menschen doch quasi ein gemeinsames Bewusstsein mit anderen Individuen teilten. Sie hatten also eher teil an einem Alltagsdenken, aus dem aber eine tatsächliche Befreiung sich durchaus schwieriger gestaltete, da das allgemeine Welterleben nicht im Einzelnen sondern im Kollektiv lediglich miterlebt wurde. Grundsätzlich ein Zustand der nach wie vor allgegenwärtig zu sein scheint.

Für Rudolf Steiner war es das sinnlichkeitsbezogene Denken der Menschen, dass seinen Geist soweit eintrübt, dass ihm ein Begreifen der Freiheit eigentlich verwehrt bleibt. Nur wer die positive Wirklichkeit eines sinnlichkeitsfreien Denkens erkennt, der sollte laut Steiner sofort zu einem Verstehen gelangen, mit dem er eine individuelle Freiheit verwirklichen kann. Als solch erkennendes Subjekt sollte es einem Menschen gelingen, sein Denken tatsächlich zu beobachten. Wobei das Steiner sogar als allerwichtigste Wahrnehmungsleistung überhaupt galt.

Gut möglich dass ihn zu solchen Auffassungen radikale Denker wie etwa Friedrich Nietzsche (1844-1900) inspirierten, die Steiner wegen seiner wahrheitskritischen Haltung bewunderte.

Der wirklich ‘freie Geist’ geht noch weiter. Er fragt: ‘Was bedeutet aller Wille zur Wahrheit?’ Wozu Wahrheit? Alle Wahrheit entsteht doch dadurch, dass der Mensch über die Erscheinungen der Welt nachdenkt, sich Gedanken über die Dinge bildet. Der Mensch selbst ist der Schöpfer der Wahrheit. Der ‘freie Geist’ kommt zum Bewusstsein seines Schaffens der Wahrheit. Er betrachtet die Wahrheit nicht mehr als etwas, dem er sich unterordnet; er betrachtet sie als sein Geschöpf.

– Aus Rudolf Steiners »Friedrich Nietzsche: Ein Kämpfer gegen seine Zeit«

Nietzsches berühmte Erklärung »Gott ist tot!« bedeutete für Steiner wohl auch, dass was heute noch viele Menschen empfinden: der Gott wie ihn das Christentum Jahrhunderte lang deutete, hat seine kulturprägende Kraft in unserem Zeitalter verloren. Der Mensch hatte Gott als Konzept stets außerhalb seiner irdischen Existenz, in den Himmel projiziert und anscheind einem allein von dort herab wirkenden Willen gehorcht.

Der Mensch hat nicht den Willen eines außer ihm liegenden Wesens in der Welt, sondern seinen eigenen durchzusetzen; er verwirklicht nicht die Ratschlüsse und Intentionen eines andern Wesens, sondern seine eigenen.

– Aus Rudolf Steiners »Essentielle Schriften«, Band 2

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Auch interessant