Eine Sufi-Erzählung über das Böse

Eine der genialsten Metaphern in der Geschichte der Religionen, erzählen seit Jahrhunderten die Sufis in ihren geheimen Kreisen. Da wird zuerst die Frage gestellt, was es mit den jenem Wutvolk auf sich hatte, das seine Gotteslästerer ermordete. Jene, die Gott in sich fanden, ebenso.

Wer tatsächlich Gott liebt, der scheint also immer zu leiden. Da kommt die Frage auf: Ist vielleicht Leid an sich, die wahre Gotteserfahrung und das Gesetz, selbst das Kreuz, der Galgen, woran Körper und Individualität erlöschen müssen? Leben die Gottverliebten für immer im Schmerz und führen ein Leben wie in der Hölle?

Solche Fragen schockieren. Doch die folgenden Ausführungen sollen diese grausamen Behauptungen verständlich machen:

Die Sufis bezeichnen sich als die Gottliebenden. Sufismus ist der Weg der Liebenden, worauf sich seine Anhänger, als Reisende bewegen. Sie kehren darauf heim zu Gott, durch die Mysterien des Herzens. Ein Sufi empfindet sein Verhältnis zu Gott, wie das eines Liebenden zum Geliebten. Diese Reise zu Gott findet aber allein im Herzen statt. Seit Jahrhunderten reisen Sufi-Meister, auf ihrem “Inneren Weg” zu sich selbst, um mit Gott zusammenzutreffen.

Wer nun aber die Bedeutung seiner Liebe nur im Außen sucht, so die Sufis, will sich definieren über sein Aussehen, seinen Wohlstand oder sein Vermächtnis in dieser Welt. Natürlich geht das einher mit Eitelkeiten und dem Wunsch sich selbst über anderen zu sehen.

Wie wir aber aus dem Koran erfahren, erschuf Gott die Engel. Er brachte ihnen bei niemanden als ihn zu verehren. Danach erschuf er den Menschen. Nun befahl er den Engeln sich vor seiner Schöpfung zu verbeugen. Alle verbeugten sich daraufhin – bis auf Iblis, den Teufel. Das ist ja die Aussage obigen Koran-Zitats.

Iblis verweigerte sich also, da er Gott so sehr liebte. Er war einfach nicht in der Lage dazu, sich vor irgendjemandem sonst zu verbeugen, als nur vor Gott. War er damit nicht der einzig wahre Monotheist? Diese heftige Behauptung äußerte der persische Sufi Mansur Al-Halladsch (857-922), womit er seinen Zeitgenossen ordentlich vor den Kopf stieß. Das war einer der Gründe, wieso man ihn hinrichtete.

Was Al-Halladsch da aber ansprach, ist weit mehr als Gotteslästerung. Er behauptete sogar, dass Gott dem Iblis einen geheimen Hinweis gab, sich vor Adam nicht zu verbeugen. So also verweigerte er sich dem Gottesgebot, wusste aber in sich, dass er in Wirklichkeit der loyalste aller Engel war. Dafür nahm er seine Bestrafung und den Sturz vom Himmel sogar in Kauf – allein um sich Gott in seiner unendlichen Treue zu ergeben.

So also meinte Al-Halladsch, dass wegen seiner Liebe zu Gott, der Iblis vom Himmel in die Hölle gestürzt wurde. Dort in der Hölle, jenseits seines geliebten Gottes, war der schlimmste Schmerz eben jene Trennung. Eigentlich hätte sich Iblis aber doch Gott ergeben können und sich vor Adam verbeugen. Aber seine Liebe zu Gott war größer und hielt ihn davon ab.

Da stellt sich nun die Frage: Was unterstützte den Iblis in seinem Schmerz? Es ist die Erinnerung an die Stimme seines Gottes, als er ihm befahl: “Fort mit Dir!”

Wenn Iblis sich aber weigerte, jemand anderen anzubeten als Gott, war er damit eigentlich ein perfekter Muslim, der dem islamischen Glaubensbekenntnis gerecht wird:

La ilaha illa allahu (arab. لا إله إلا الله):
“Kein Gott außer Allah”

Das heißt, kein anderes Wesen, schon garnicht “aus Lehm”, will er anbeten. So argumentierte der Sufi Al-Halladsch, dass als perfekter Muslim Iblis nur in der Hölle verbringen konnte – nirgendwo sonst.

Liebe besteht nur, solange Geheimnisse bleiben

Gott kann nicht erkannt oder erklärt werden, durch irgendeinen Aspekt des Göttlichen, denn er selbst muss ja keine Gebote befolgen, die eine Erklärung seines Wesens zuließen. Was Al-Halladsch aber mit seiner ungeheuerlichen Behauptung andeutete, war einem Laien völlig unverständlich und somit war sein Ausspruch eine Gefahr für die damalige Gesellschaft. 

Er sprach eine mystische Erfahrung aus, versuchte sie mit den Worten des Intellekts zu erklären. Wer aber sonst als er, sollte durch eine Beschreibung dessen, was sich nicht beschreiben lässt, seine Erfahrung teilen?

 

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