Was ist das I-Ging?

Das Buch der Wandlungen, das chinesische „Yi-Jing“, der „Klassiker der Wandlungen“, zählt seit mehr als 2.000 Jahren zu den wichtigsten Handbüchern zur Orakel-Befragung. Darum sagt man im Reich der Mitte einfach „Klassiker“ dazu: dem „Ging“ zur Deutung der Ereignisse im Himmel wie auf Erden.

Der wesentliche Name des Buches ist das „Yi“ (auf deutsch einfach als „I“ geschrieben), was soviel bedeutet wie „Veränderung”: Die wichtigste Konstante im ganzen Universum. Denn alles was existiert, das unterliegt ständiger Wandlung – sei es der regelmäßige Wechsel von Tag und Nacht auf der Erde, sei es der Lauf der vier Jahreszeiten, sei es das Entstehen und das Vergehen allen Lebens.

Wenn das genannte „Yi“ (oder eben „I“) im Titel des Buches für Veränderung steht, umfasst es aber auch das Unvorhersehbare, das dann plötzlich in unser Leben eindringt, als schmerzhafte Konfrontation mit unseren Grenzen im Leben. Das sind die Ereignisse im Leben, wo uns keine der uns bekannten Pole der Orientierung mehr als Halt zur Verfügung stehen.

In so einem Fall beginnt man zu fragen nach dem Warum. Und wer darauf keine Antwort findet, der geht, wenn er schon einmal vom chinesischen „Tao“ hörte, vielleicht den Weg an dessen nächster Gabelung sich ein Orakel des I-Ging befindet, mit der Chance ihm eine Richtung zu weisen, in solch Lebensabschnitt, der von ihm große Veränderungen abverlangt.

Eine einfache Methode zur Orakel-Deutung mit dem I-Ging

Es sind eben solch drängende Fragen, wie wir sie eben nannten, die einen Menschen dazu veranlassen sich also Rat zu holen, durch die Befragung des I-Ging-Orakels. Als Frager muss man dazu natürlich besondere Regeln befolgen, die eine ganz klare und eindeutige Form von Fragestellung einhalten müssen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, kann einem das I-Ging auch den Weg aus einer schweren Krise andeuten- einen Weg jedoch den man dann auch selber gehen muss.

Die besagte Methode nun, um durch das I-Ging-Orakel Antworten zu bekommen, besteht im einfachen Werfen drei gleicher Münzen. Man kann dafür zum Beispiel besondere, für das I-Ging gebräuchliche Münzen verwenden. Es eignen sich aber auch jede andere Art von Münzen, so etwa die des 1-Euro-Cents.

Ziel der Münzwürfe nun ist es, besondere „Linien“ zu erzeugen, mittels derer man, nach dem Stellen einer ganz eindeutigen Frage, sich daraus ein Hexagramm „erbaut“. Solch ein I-Ging-Hexagramm kann einem dann eine eindeutige Antwort auf die gestellte Frage geben. Es gibt insgesamt 64 Hexagramme, wovon jedem eine jeweilige Bedeutung entspricht, die man im Buch des I-Ging nachlesen oder hier auf meiner Webseite in prägnanter Form nachlesen kann.

Die Durchführung der I-Ging-Orakel-Befragung

Zuerst legt man sich drei identische Münzen zurecht (die am besten ganz sauber sind, wenn es sich um Euro-Cents handelt). Ihre Markierungen bilden entsprechend „Zahl“ und „Kopf“ (bei der 1-Euro-Cent-Münze entsprechend „Zahl“ und „Bild“). Man nimmt nun alle drei Münzen in die Hand, wirft sie gleichzeitig und notiert das, was jede der drei Münzen nach dem Wurf anzeigt: als „Zahl“ – im I-Ging dem Zahlenwert 2 entsprechend – oder „Kopf“, mit dem Zahlenwert 3.

Aus dem Ergebnis des Wurfes leiten sich die Linien ab, die entweder als sogenannte „Yin-Linie“, einer unterbrochenen Linie _ _ notiert wird oder als „Yang-Linie“, einer durchgezogenen Linie __ (hier sei bereits angemerkt, dass wir uns mit den Bedeutungen von Yin und Yang weiter unten im Text ausführlich beschäftigen werden).

Bei der I-Ging-Orakel-Befragung bilden diese Yin- und Yang-Linien die Einzelbestandteile, aus denen sich ein Hexagramm zusammensetzt (und zwar aus 6 solchen Linien).

Wie werden die Linien mittels Münzwurf gedeutet?

  1. Im Falle eines Wurfs, bei dem alle drei Münzen eine Zahl ergeben, ergibt sich hieraus eine unterbrochene Yin-Linie _ _ , die den Zahlenwert 6 hat (3 × 2).
  2. Erzeugt ein Münzwurf einen Kopf und zwei Zahlen, ergibt sich daraus eine durchgezogene Yang-Linie __ , mit dem numerischen Wert 7 (3 + 2 × 2).
  3. Fallen zwei Köpfe und eine Zahl, so ergibt sich daraus ebenfalls eine unterbrochene Yin-Linie _ _ , die dem Zahlenwert 8 entspricht (2 × 3 + 2).
  4. Fallen drei Köpfe nach dem Münzwurf, erzeugt das eine durchgezogene Yang-Linie __ , der der numerische Wert 9 entspricht (3 × 3).

Die hier jeweils am Schluss, in Klammern gezeigten mathematischen Operationen ergeben sich ganz einfach aus den weiter oben angegebenen Zuordnungen der Zahlen 2 und 3, zu Zahl und Kopf.

Wie erzeugt man hiermit ein Hexagramm?

Aus der sechsmaligen Wiederholung des Wurfs mit den drei Münzen, entsteht das Hexagramm, dass sich ja aus den eben beschriebenen Yin- und Yang-Linien zusammensetzt.

Die ersten drei Münzwürfe bilden die untere Hälfte des Hexagramms: Das ist das untere Trigramm; die letzten drei Münzwürfe bilden die obere Hälfte: Das obere Trigramm. Jedes dieser beiden Trigramme setzt sich also zusammen aus drei Yin- und/oder Yang-Linien.

Damit bereits beginnt auch die erste Deutung: Und zwar mit dem Ablesen der Bedeutung der Trigramme des sogenannten „Bagua“, was Sie auf dieser Webseite nachschlagen können.

Wurde schließlich aus allen sechs Linien das Hexagramm gezeichnet, spie­gelt sich in diesem Hexagramm die aktu­elle Situa­tion wieder, in der sich der Frage­stel­ler befindet, woraus sich Antworten beziehungsweise Inspirationen für sein weiteres Vorgehen ableiten lassen.

Im folgenden Absatz finden Sie weitere Informationen dazu, wo auf meiner Webseite die 64 Hexagramme und Ihre Bdeutungen gelistet sind.

Wie finde ich das entsprechende Hexagramm unter den insgesamt 64 Hexagrammen?

Hierzu kann man das folgende Schema zum Auffinden der gezogenen I-Ging-Zeichen verwenden.

Hierfür sucht man zuerst in der linken Spalte nach dem unteren Trigramm, merkt sich die Zeile und sieht dann in der obersten Zeile nach dem oberen Trigramm, womit man die Nummer des entsprechenden Hexagramms angezeigt bekommt.

Hal man auf diese Weise also die Nummer des Hexagramms gefunbden, kann man auf dieser Webseite nach seiner Bedeutung suchen.

Welchen Zweck erfüllen die bestimmten Zahlenwerte der Yin- und Yang-Linien (6, 7, 8, 9)?

Nun ist das I-Ging ja das „Buch der Wandlungen“. Das bedeutet, dass nicht nur das Hexagramm der Ist-Situation dem Fragesteller Antworten liefert, sondern auch, ob sich daraus eine Wandlung ergibt – und wenn ja, in welche Hexagramme es sich verwandeln – verändern könnte.

Indikatoren für die Deutung solch möglicher „Wandlungsprozesse“ ergeben sich aus den Linien-Werten im zuerst entstandenen Hexagramm, welche den Zahlen 6 oder 9 entsprechen (die Linienwerte mit den Zahlen 7 und 8 spielen für unsere Betrachtungen hier keine Rolle).

Diese Linien verwandeln sich in ihr Gegen­teil:

  • 6 _ _ wird zu 9 __
  • 9 __ wird zu 6 _ _

Kommen die Zahlenwerte 6 oder 9 also im ursprünglich ermittelten Hexagramm vor, ergibt sich daraus ein neues, zweites Hexagramm: Das Hexagramm der Wandlung. Dieses Hexagramm zeigt an, in welche Richtung sich die Situa­tion des Fragestellers entwi­ckeln könnte. Damit sei darauf hingewiesen, dass es sehr wichtig ist, dass sich der Frager während seiner sechs Münzwürfe, vollkommen auf seine Frage konzentriert. Denn in der Gleichzeitigkeit (Synchronizität) der Vergegenwärtigung der Frage und dem Fallen der Münzen liegt das wahre Geheimnis des I-Ging, wie wir weiter unten noch sehen werden.

Ganz gleich aber, welches Ergebnis man als Antwort erhält: Diese Antwor­t ist keine absolute Wahr­hei­t! Vielmehr zeigt sie einen Weg an, durch den der Fragesteller einen Transformationsprozess im Leben antreten und durchlaufen kann, doch auf den er vor allem Einfluss nehmen kann, um die eigene Weiterentwicklung zu beein­flus­sen.

Im Folgenden ein Beispiel für ein Hexagramm, das aus einem Wandlungsprozess hervorgeht:

Zuvor;

Yin (6)
Yin (6)
Yang (7)
Yang (7)
Yin (8)
Yang (7)

55. Hexagramm


„Die Fülle“

13. Hexagramm


„Unter Menschen“

Danach:

Yang (9)
Yang (9)
Yang (7)
Yang (7)
Yin (8)
Yang (7)

Im Dialog mit den höheren Mächten des Seins

Die Texte, die uns heute durch das I-Ging überliefert sind, entstanden bereits vor mehr als 3.500 Jahren in China, zur Zeit der Shang-Dynastie, deren Spiritualität eine ganz und gar schamanische Weltanschauung und Praxis prägte. Darin fand das zu Anfangs genannte Yi seinen Ursprung.

Zu den, sich aus den 64 Hexagrammen ergebenden Sinnbildern des Yi, fanden Schamanen ursprünglich in ihrer Trance-Arbeitich. Dann, im Laufe eines mehr als tausendjährigen Prozesses der Klassifizierung, Systematisierung und philosophischen Reflexion, organisierte man diese Sinnbilder irgendwann in Form eines Zusammenspiels der Bedeutungen von Yin und Yang – den grundlegenden Prinzipien in der taoistischen Philosophie.

Man könnte damit also sagen, dass das I-Ging aus zwei ganz und gar unterschiedlichen Denkweisen entstanden war: aus einem intuitiven (rechte Gehirnhälfte) und einem logischen Verstand (linke Gehirnhälfte). Damit überbrückt das I-Ging also die Kluft zwischen zwei radikal unterschiedlichen Denkweisen.

Seine 64 Hexagramme bilden darum Brücken, um sich zwischen den intuitiv empfangenen Bildern (wie sie einem in Trance oder in Träumen begegnen) und den logischen Bedeutungen, den sechsfach kombinierten Yin-Yang-Prinzipien, hin- und herzubewegen.

Im 1. Jahrtausend v. Chr. dann wurde das I-Ging dann zu dem bis heute bekannten System der 64 Hexagramme und der ihnen entsprechenden Texte formalisiert – als das klassische Handbuch chinesischer Weissagekunst. Im Reich der Mitte verwendeten es die alten Orakelpriester, um anderen Menschen zu helfen ihr Leben zu meistern, wenn sie in Schwierigkeiten geraten waren. Es war ein geheimes Werkzeug, um damit in Lebenskrisen Antworten auf wichtige Fragen zu geben.

Man sah in den, aus dem Lauf des Lebens geborenen Ereignissen, Eingriffe des Göttlichen in das menschliche Dasein in der Gegenwart. Das I-Ging, so wusste man, konnte einen Menschen, durch eine angemessene Befragung der daraus sich zeigenden Erscheinungen höherer Mächte, wie in Form eines geheimnisvollen Dialogs, die Antworten liefern darauf, welchen Weg jemand antreten muss, um eine akute Lebenskrise zu überwinden.

Was einst als das I-Ging entstanden war, verwendete man also als Orakel und damit als eine Methode der Weissagung. Doch hat das weniger zu tun mit einer Vorhersage der Zukunft, denn, so die alten Weisen, hängen doch alle zukünftigen Ereignisse von unseren eigenen Handlungen ab. Darum nutzten sie die 64 Hexagramme eher als „Spiegel der Gegenwart“ – doch damit als kostbare Werkzeuge für die Selbstreflexion, durch die der Deuter beurteilen konnte, welche Art einer bestimmten Vorgehensweise in einer bestimmten Situation angemessen sei.

Jeder der das I-Ging als solch Werkzeug verwendet, der tritt in Dialog mit seiner eigenen, tief in ihm liegenden Weisheit, durch die er seine entsprechenden Handlungen mit der transzendenten, höchsten Wirklichkeit des Tao in Einklang bringt. Und das ist vor allem dann fruchtbringend, wenn unsere Lebensereignisse schwere Krisen aufwühlen. Und da ist interessant zu wissen, dass die beiden chinesischen Schriftzeichen „Wei“ und „Ji“. „Gefahr“ und „Moment“, zusammengesetzt auch als „Chance zur Gelassenheit“ übersetzen lassen. Und aus solch Einstellung betrachtet, wäre ein gefährlicher Moment im Leben (quasi auch eine Bedrohung durch eine Lebenskrise), vor allem auch eine Chance für Wachstum.

Krisen, Schwierigkeiten und Herausforderungen im Leben können immer tiefgreifende, vielleicht sogar längst überfällige Veränderungen mit sich bringen. Doch sie können dabei leider immer auch schmerzhaft, beunruhigend und voller Angst sein. Wie geht man in einem solchen Fall damit um?

Die Symbole einmaliger Vollkommenheit

Alles Leben entsteht an der Grenze zwischen Chaos und Ordnung, so die Lehre des Tao. Denn es braucht beides, Perfekter Ordnung allen fehlte die notwendige Bewegung. Die wahre Komplexität des Lebendigen ergibt sich erst aus der Bewegung, woraus sich eine Verwandlung von Wesen, Raum, Zeit und Form ergibt, Sie erst ermöglichen jede weitere Entwicklung. An der Grenze des, man könnte sagen „tanzenden“ Wechsels zwischen Ordnung und Chaos, schmiegen sich sinngemäß die zwei wichtigsten Prinzipien des Tao einander an: Yin und Yang. In diesem Zusammenhang stehen sie für Struktur (Ordnung) und Handlung (Bewegung), für den Wechsel zwischen Form und Energie.

Reines Yin ist Struktur ohne Bewegung und damit die vollkommene Ordnung aller Form. Im reinen Yang hingegen liegt die Kraft des Entstehens, als Prinzip der Schöpfung, aber auch als Prinzip der Zerstörung und damit jenseits aller fester Form.

Das Zusammenspiel von Yin und Yang nun bringt die „unzähligen Wesen“ hervor, als die unendliche Vielfalt alles Lebendigen, in all seiner wunderbaren Komplexität. Ihre Wesentlichkeit nun ist verschlüsselt in den besagten 64 Hexagrammen des I-Ging, die sich aus offenen oder getrennten (Yin) und geschlossenen oder ganzen (Yang) Linien bilden – als sechsgliedrige Diagramme, die in ihrer Kombination jeweils einmalig sind. Und so bildet jede dieser Formen ein Grundprinzip des Seins.

Über die Bedeutung von Yin und Yang

Als die zwei grundlegenden Prinzipien des Systems des I-Ging gelten nun die polaren Gegensätze von Yin und Yang, wie sie uns aus der Philosophie des chinesischen Taoismus überliefert sind. Doch es ist recht schwierig diese beiden Prinzipien durch westliche Begriffe zu erklären, stellen sie doch weniger die Eigenschaften von Dingen, als vielmehr die Aspekte von Prozessen und damit eine explizite Metaphysik dar.

Vielleicht könnte man sagen, dass Yang sich auf Handlungen beziehen lässt, während Yin den konkreten Formen im Raum entspricht. Eine schöne Metapher wäre etwa die Vorstellung vom Schreiben als dem Yang entsprechend; das mit Tinte beschriebene Blatt Papier entspricht dem Yin. Damit wäre Yang also „kreativ“, Yin entsprechend „rezeptiv“.

In ihrem gegenseitigen Durchwirken, bilden Yin und Yang sich gegenseitig ergänzende Aspekte des Seins. Die sich damit aus dem Yin und dem Yang ergebenden Eigenschaften soll die folgende Tabelle wiedergeben:

Yin Yang
Form Energie
Struktur Bewegung
Sein Tun
Wasser Feuer
Mond Sonne
Dunkelheit Helligkeit
Feuchtigkeit Trockenheit
Weichheit Härte
Verborgenes Manifestation
Statisches Dynamisches
Tieferes Höheres
Zusammenziehendes Ausdehnen
Trägheit Bewegung
Vollendnung Anfang
Erwartung Initiation
Reaktion Stimulation

Die Weisen im Alten China stellten sich die Wirkungen des Yin vor als Wolken, deren Schatten die Südufer der Flüsse oder die Nordhänge der Berge verdunkeln; Yang empfanden sie wie das durch den Sonnenaufgang erleuchtete Nordufer der Flüsse oder die Südhänge der Berge, die das Sonnenlicht bescheint. Sie aber wussten vor allen Dingen, dass Yin und Yang zwei sich gegenseitig ergänzende Prinzipien einer ursprünglichen Einheit bilden. Und als sich einst diese Einheit in die Unterscheidung zu bewegen begann, entstand die ineinander verflochtene Bewegung von Yin und Yang, und daraus die Prinzipien all dessen, was versinnbildlicht wird durch das taoistische Symbol für das universale Eine: Das T’ai Chi:

 

 

In diesem zentralen Sinnbild des Tao wird der Wechsel von Yin und Yang nachempfunden, einem Wechsel im Zyklus von Licht und Finsternis, von Morgen und Abend, Tag und Nacht, Überschuss und Mangel, Werden und Vergehen, Geborenwerden und Sterben, Leben und Tod, Sein und Nichtsein.

So breitet sich In den Morgenstunden das Licht des sonnenhaften Yang in die Dunkelheit des Yin aus und erreicht mittags seinen Höhepunkt. Dann beginnt dieses Licht wieder zu schwinden, während die Dunkelheit des Yin hereinbricht und am Abend die Oberhand gewinnend, alles in seinen nächtlichen Schleier hüllt. Zu Mitternacht ist gleichzeitig der Höhepunkt des Yin erreicht und der Beginn der Wiedergeburt des Yang steht bevor.

 

Im Symbol des T’ai-Chi-Symbols finden wir an dem Punkt, an dem das dunkle Prinzip des Yin seine maximale Ausdehnung erreicht, einen hellen Punkt, der den Keim der Wiedergeburt des Yang versinnbildlicht. Da wo das helle Prinzip des Yang seinen Höhepunkt erreicht, finden wir einen dunklen Punkt, der den Keim der Rückkehr des Yin symbolisiert. Jedem Höhepunkt folgt ein Rückgang; jedem Abstieg folgt ein Aufstieg.

Alle Gegensätze sind in Wirklichkeit nicht getrennt, sondern gehen ineinander über. Sein und Nichtsein erzeugen einander. Schwieriges und Leichtes ergänzen sich, Langes und Kurzes leiten sich voneinander ab, Hoch und Tief neigen sich aufeinander zu. Und in diesen Prozessen des Überganges von Yin in Yang und von Yang in Yin liegt ein geheimer Zeitaspekt verborgen, wo man vom „jungen und alten Yang“ und vom „jungen und alten Yin“ spricht. Das alte Yang ist dabei sich in ein junges Yin zu verwandeln, während entsprechend ein altes Yin sich dann in ein junges Yang verwandelt.

Hier nun kommt der Begriff der Synchronizität ins Spiel.

Synchronizität oder: Das Geheimnis von Gleichzeitigkeit und Zufall

Die gesamte Kosmologie des Tao basiert auf einer qualitativen Vorstellung von Zeit, in der alle Dinge, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt ereignen, Teile eines organischen Musters sind. Darum kann man sagen, dass die Orakelpraxis des I-Ging eine Form der Weissagung ist, die sich der besonderen Bedeutung der Prinzipien des Zufalls bewusst ist, wo synchrone Ereignisse immer miteinander zu tun haben und darum auch von Bedeutung sind. So wird jedes Detail im Augenblick des Ereignisses zum Einstiegspunkt, um von dort aus die Bedeutung dabei auftretender Ereignis-Muster zu verstehen.

Das I-Ging beschäftigt sich also mit dem Aspekt des Zufalls der Ereignisse, der im Moment der Beobachtung entsteht, und nicht mit irgendwelchen Gründen, die scheinbar für den Zufall verantwortlich sind. Es bedarf demnach keiner sorgfältigen Abwägung und Auswahl von Wahrem und Unwahrem.

Die Befragung des I-Ging-Orakels erfolgt, wie wir oben ausführlich beschrieben haben, durch das Werfen von drei Münzen. Und so kommt es, dass, wenn man im I-Ging drei Münzen wirft, diese als zufällige Details in das Bild des Moments der Beobachtung eingehen und einen Teil davon bilden – einen Teil, der für den Weissager äußerst bedeutsam ist.

Wer auch immer das System des I-Ging erfand, der war davon überzeugt, dass ein, in einem bestimmten Moment ermitteltes Hexagramm, mit diesem Moment nicht nur zeitlich, sondern auch qualitativ übereinstimmt! Denn er sah in dem Hexagramm den Ausdruck des Augenblicks, in dem es geworfen wurde, da das Hexagramm von ihm als Indikator dafür verstanden wurde, was die wesentliche Situation im Moment ihres Entstehems zeigt; und das sogar mehr noch als die Uhrzeit und das Datum in dem es sich ereignet.

Das hier Beschriebene charakterisiert das Prinzip der Gleichzeitigkeit, der Synchronizität. Und dieses Prinzip befindet sich in genau entgegengesetzter Richtung zum Prinzip der Kausalität, dem Prinzip von Ursache und Wirkung.

Diese Gleichzeitigkeit betrachtet synchron stattfindende, zufällige Ereignisse in Raum und Zeit, als eine Form einer psychischen Wechselbeziehung zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten. Die Verwendung des I-Ging als Orakel ist darum ein Weg, um die Beschaffenheit eines Ereignisses zu deuten. Das ähnelt aber mehr der Bedeutung des Kunstwerks eines organischen Ganzen, als dass es nur die rationale Betrachtung von Ursache und Wirkung bliebe.

Das I-Ging als Spiegel des Lebens im Jetzt

Bis heute wird das I-Ging auf viele verschiedene Arten verwendet. Grundsätzlich geht es aber immer darum, sich die, bei einer Deutung auftretenden Gleichzeitigkeiten, genau anzusehen. Denn wir können davon ausgehen, dass das Werfen der Münzen durch die zugehörigen I-Ging-Texte und den damit zusammenhängenden Transformationsprpzess, den der Frager gerade durchlebt, wahre Einblicke liefert.

Denn was daraus zum Vorschein kommt ist etwas, dass in der Psyche des Fragers wirksam ist und für den Prozess seiner Entwicklung ganz deutliche Hinweise liefert. Somit könnte man sagen, dass das I-Ging-Orakel als „Spiegel der Gegenwart“ verwendet werden kann, doch eben nicht als Werkzeug um damit die Zukunft vorauszusagen, da davon auszugehen ist, dass die Zukunft eindeutig vorbestimmt ist.

Zwar können sich bisher unbemerkte Entwicklungen im Leben, im Verlauf eines Transformationsprozesses beginnen sich auf den Lauf des Lebens auszuwirken, doch muss die Antwort, die man vom I-Ging-Orakel erhielt keineswegs eine notwendige Schlussfolgerung daraus sein.

Die Hexagramme, die wir als Antwort erhalten zeigen zwar einen Weg an, doch können sie durch unsere bewussten Entscheidungen und Handlungen beeinflusst werden – vorausgesetzt, wir wollen wirklich einen dazu nötigen Willen entwickeln.

Die Inspirative Kraft des I-Ging

Die 64 Hexagramme, auf denen das I-Ging-System basiert, enthalten keine Gebote, Moralische Vorstellungen oder irgend ein Dogma. Aber natürlich gibt es Zeiten, wo wir uns in einer Zwickmühle im Leben befinden und wir darum sehr gerne wissen möchten, was wir tun sollen oder was die richtige Entscheidung ist.

Da kann es vorkommen, dass wir uns an das I-Ging in der Hoffnung wenden, auch eine Antwort auf solche Fragen zu erhalten. Doch ist eine Antwort aus dem I-Ging-Orakel eben keine eindeutige Antwort, sondern ähnelt es eher eine inspirativen Kraft, die wir etwa auch aus nächtlichen Traumbildern ziehen können, um uns auf den Weg durch ein pfadloses Land unserer bevorstehenden Zeit bahnen können.

Die Bedeutungen der Hexagramme können uns ein klares Gefühl dafür vermitteln, was wir in einer bestimmten Lebenssituation tun müssen. Doch sie sagen uns nie, was wir tun sollen. Darum ist es wichtig zu erkennen, dass die Verantwortung für alle Entscheidungen immer nur bei einem liegt. Und das sind wir selbst.

 

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