Gemälde des mythologischen Vogels Peng, inspiriert durch das Zhuangzi. - ewigeweisheit.de
Gemälde des mythologischen Vogels Peng, inspiriert durch das Zhuangzi.

Die Esoterik des Tao

Ein alter taoistischer Text trägt den Namen des Dichters und Philosophen Zhuang Zhou (365-290 v. Chr.), auf chinesisch »Zhuangzi« (manchmal auch »Chuang-Tzu«). Es ist ein Buch mit 33 Kapiteln, von denen aber nur die ersten sieben auch tatsächlich aus der Feder dieses Meisters stammen.

Neben dem Buch »Taoteking«, des berühmten Philosophen Laotse (* um 571 v. Chr.), zählt Zhuangzis Text zu den bedeutendsten philosophischen Werken der klassischen Literatur Alt-Chinas. Die darin erzählten, teils humorvoll beschriebenen esoterischen Gleichnisse lassen den Leser mit einer ganzheitlichen Lehre in Berührung kommen. Auch heute noch vermittelt das darin Geschriebene seinem Leser eine einzigartige Lebensphilosophie.

Es scheint, als versuche Zhuangzi seine Leser zu ermutigen, sich aus verfahrenen, sozialen Vorgaben des Alltags zu lösen, mit dem Ziel sie zu dem Wunsch zu inspirieren, ihre natürlichen Fähigkeiten zu rekultivieren. Wer solch einen Weg anzutreten wagt, soll durch die Zeilen des Zhuangzi zu einem erfüllten, zu einem blühenden neuen Leben finden.

Meister Zhuangzi empfiehlt die eigene Lebensweise aus der Starrheit der unzähligen gesellschaftlichen Vorgaben zu lösen und allmählich zu einer spontaneren, pragmatischeren Haltung gegenüber der Ereignisse im Leben zu gelangen.

Was uns heute unter dem besagten Titel »Zhuangzi« als philosophisch-praktisches Werk erhalten geblieben ist, entstand durch die Arbeit des chinesischen Denkers Guo Xiang (†312 n. Chr.) der diese Schrift kommentierte und ihr ihre heutige Form gab, mit dreiunddreißig Kapiteln, unterteilt in drei Text-Gruppen:

  • Neipan – die inneren, esoterischen Kapitel,
  • Waipan – die äußeren, exoterischen Kapitel und
  • Zapian – die »sonstigen Kapitel«.

Das eigentliche Werk Zhuangzis jedoch bilden, wie oben bereits angedeutet, die sieben esoterischen Kapitel, denen wir uns, auszugsweise, im Folgenden zuwenden.

Die anscheinende Entfremdung von der Einheit des Seins

Auch wenn die Ereignisse im Buch des Meisters Zhuangzi (kurz einfach »Zhuangzi« genannt) nicht in unserer irdische Welt stattfinden, sondern eine ganz eigenartige Sammlung aus metaphorischen Bildern und Gleichnissen bildet, lernt man anscheinend, von den darin beschriebenen Wesen, auf ganz erhabene Weise. Man begegnet darin dem Zauberer, einem geheimnisvollen Einsiedler, sprechenden Flüssen oder Schwimmern die steile Wasserfälle ohne Angst hinabtauchen, oder einem Schlachter der Ochsenkadaver mit demselben Schwung zerlegt wie ein Geigenvirtuose eine bezaubernde Sonate. Dem Leser des Zhuangzi ist darum gleich klar das es nicht die reale Welt ist, über die man da liest, sondern eher schon einer Traumwelt gleicht.

Doch eben genau dort gelingt es ja den meisten Menschen ihre Ängste anscheinend ohne weiteres zu überwinden oder etwa zu fliegen, stark zu sein wie ein Löwe oder als Magier alles zu dem zu verwandeln, das den eigenen Wünschen entsprechend greifbar wird, um damit die Probleme des Lebens mit Leichtigkeit zu lösen.

Bei alle dem aber ist es nicht immer ganz einfach die wichtigsten Aussagen des Zhuangzi so zu verdichten, dass sich seine Bedeutungen, etwa in einem Satz oder gar in einem Wort, zusammenfassen lassen. Es scheint nämlich, als versuchte der weise Meister die gewöhnlichen Vorstellungen über Wahrheit und Werte sogar zu untergraben: Denn, für Zhuangzi existieren unsere menschlichen Werte – seien sie inspiriert aus dem Guten und dem Schlechten, dem Schönen und dem Hässlichen, dem Wahren und dem Unwahren – überhaupt nur in einer von uns willkürlich eingebildeten Welt unzähliger Voreingenommenheiten.

Darstellung von Zhuang Zhou in einer Illustration von Hui Zuli (1326) - ewigeweisheit.de
Darstellung von Zhuang Zhou in einer Illustration von Hui Zuli (1326).

Nichts in der Welt aber bildet für Meister Zhuang eine feste Tatsache, denn der Kosmos gilt ihm an sich als ungeteilt, als eine Einheit, von der wir aber, durch unser Erkenntnisvermögen angenommen, ein Teil sind. Wahre Wirklichkeit besteht für ihn im dynamischen Wirken dieses kosmischen Systems als Ganzes, ohne jede Trennung zwischen sich und der den Menschen umgebenden Natur. Ein Verständnis dafür ging den Menschen verloren mit dem Entstehen der Sprache. Denn seitdem geht es in erster Linie darum all den Dingen der uns umgebenden Natur, einen Namen zu geben, was aber dazu führte, dass die Welt in unseren Augen quasi »zerschnitten« wurde. Sobald ein Ding benannt wird, grenzt man es damit im Grunde genommen ja vom Rest der Welt ab, da es jetzt ja sein eigener Name definiert.

So kam es, dass der Mensch sich von seinem einstigen Empfinden der Welt, als ganzheitliches System der Einheit immer mehr entfremdete, da die Namen der unzähligen Einzelobjekte in der Welt ihn immer mehr verwirrten. Aus diesem Grund war für Zhuangzi klar, dass durch den Versuch des Menschen die Welt durch eine immer genauere Sprache zu beschreiben, er sich in Wirklichkeit damit mehr und mehr verunsichert.

Es scheint also, als wäre das, was wir als Tatsachen annehmen, in Wirklichkeit nur auf unser verzerrtes Bild auf die Welt bezogen, sind doch all die Namen für all die vielen Sachen in unserem Leben, niemals die Sachen an sich. Und da wir mit den Namen durch unsere gedachte Sprache die Dinge im Außen bewerten, sie etwa als »gut«, »mittelmäßig« oder »schlecht« bezeichnen, verzerrt das unsere Sicht auf die Welt, bleibt unser Urteil damit doch immer nur relativ und damit letztendlich willkürlich.

Die Dynamik der Welt als Ganzes, dafür steht der Begriff des Tao. Unsere Aufteilung der Welt in einzelne, benannte Dinge, so Zhuangzi, ist das Ergebnis eines nicht natürlichen, sondern auf menschlicher Sprache basierenden Denkens. Darum glaubte er, dass wir lernen müssen eine einheitliche Sicht auf den Kosmos des Tao wiederzuerlangen – da die benannte, einen Namen tragende und vor unseren Augen erscheinende Welt, eine illusorische, da geteilte Welt darstellt.

Die nachfolgenden Zitate und Ausführungen sollen einige der Perspektiven Zhuangzis beleuchten.

Der Schmetterlingstraum

Am Ende des 2. Kapitels, mit dem Titel »Über die Gleichheit der Dinge« erscheint eine der berühmtesten Geschichten des Buches, in der Meister Zhuang seine Traum-Erinnerung beschreibt:

Einst träumte Zhuang Zhou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von Zhuang Zhou (seinem Träumer). Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Zhuang Zhou. Nun weiß ich nicht, ob Zhuang Zhou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Zhuang Zhou sei, obwohl doch zwischen Zhuang Zhou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge.

– Zhuangzi 2:12

Zhuangzi träumt von einem Schmetterling - oder ein Schmetterling träumt von Zhuangzi? Illustration von Ike no Taiga (1723–1776) -ewigeweisheit.de
Zhuangzi träumt von einem Schmetterling – oder ein Schmetterling träumt von Zhuangzi? Illustration von Ike no Taiga (1723–1776).

Oberflächlich betrachtet scheint diese eigenartige Geschichte das Thema »Metamorphose« der Bewusstseinszustände von Wachen und Träumen zu illustrieren. Doch selbst wenn Meister Zhuangzi nur darauf anspielte, scheint auch die Frage gültig zu bleiben, dass wenn jemand Wachen und Träumen zu unterscheiden vermag, er dennoch erwägen könnte, dass er auch in diesem Augenblick nicht wirklich weiß, ob er nicht auch jetzt gerade träumt oder ob er tatsächlich wach ist. Denn wie oft schon erwachte man aus einem Traum, der ganz und gar als Realität erfahren wurde. Läge darin nicht ein Trost, für all die Momente in unserem Leben, die uns real als Alptraum erscheinen? Was nämlich geschähe dann, wenn wir aus ihnen erwachten?

Der Tod des Unbewussten

Der Herr des Südmeeres war der Schillernde; der Herr des Nordmeeres war der Zufahrende; der Herr der Mitte war der Unbewusste.

Der Schillernde und der Zufahrende trafen sich häufig im Lande des Unbewussten, und der Unbewusste begegnete ihnen stets freundlich. Der Schillernde und der Zufahrende überlegten nun, wie sie des Unbewussten Güte vergelten könnten. Sie sprachen: »Alle Menschen haben sieben Öffnungen zum Sehen, Hören, Essen und Atmen, nur er hat keine. Wir wollen versuchen, sie ihm zu bohren.«

So bohrten sie ihm jeden Tag eine Öffnung. Am siebenten Tage, da war der Unbewusste tot.

– Zhuangzi 7:7

Hier versuchte Zhuangzi die Gefahr zu veranschaulichen, mit der einer konfrontiert wird, der gegen die innere Natur der Dinge vorzugehen versucht. Der nämlich glaubt, dass das größte aller menschlichen Glücksgefühle durch ein höheres Verständnis der Natur der Dinge erreicht werden kann. Doch vielmehr sollte ein Mensch seine angeborenen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen, damit er sich in seinem Leben voll entfalte.

Des Himmels Fügung

Zhuangzi mahnt vorsichtig zu sein und nicht ambitioniert eingreifen zu wollen in das »Von-sich-aus-so-sein« der Lebewesen und Dinge.

[…] Der Sumpffasan muss zehn Schritte gehen, ehe er einen Bissen Nahrung findet, und hundert Schritte, ehe er einmal trinkt; aber er begehrt nicht darnach, in einem Käfig gehalten zu werden. Obwohl er dort alles hätte, was sein Herz begehrt, gefällt es ihm doch nicht.«

– Zhuangzi 3:3

Worauf es ankommt

Giën Wu besuchte den Narren namens Dsië Yü.

Dsië Yü, der Narr, sprach: »Was hat Mittagsanfang mit dir gesprochen?« Giën Wu sprach: »Er hat mir gesagt, dass, wenn ein Fürst in seiner eigenen Person die Richtlinien zeigt und durch den Maßstab der Gerechtigkeit die Menschen regelt, niemand es wagen wird, Gehorsam und Besserung zu verweigern.«

Dsië Yü, der Narr, sprach: »Das ist der Geist des Betrugs. Wer auf diese Weise die Welt ordnen wollte, der gliche einem Menschen, der das Meer durchwaten oder dem Gelben Fluss ein Bett graben wollte und einer Mücke einen Berg aufladen würde. Die Ordnung des Berufenen: ist das etwa eine Ordnung der äußeren Dinge? Es ist recht, und dann geht es, dass wirklich jeder seine Arbeit versteht. Der Vogel fliegt hoch in die Lüfte, um dem Pfeil des Schützen zu entgehen. Die Spitzmaus gräbt sich tief in die Erde, um der Gefahr zu entgehen, eingeräuchert oder ausgegraben zu werden. Sollten die Menschen weniger Mittel haben als die unvernünftige Kreatur (um sich äußerem Zwang zu entziehen)?«

– Zhuangzi 7:2

Es ist also auch der Eifer, die Welt politisch zu ordnen, letzen Endes vergebens. Denn einerseits wäre es doch sinnlos, versuchte man dem Gelben Fluss ein Flussbett zu graben. Andererseits wissen die Menschen sowieso, wie sie den Vorschriften und Gesetzen entfliehen können, so wie eben der besagte Vogel in die Höhe fliegt, um dem Pfeil des Schützen zu entkommen.

Zhuangzis Wirkung bei uns

Mit der Übersetzung durch den deutschen Sinologen Richard Wilhelm (1873-1930) fand das Zhuangzi seinen Weg in den deutschen Sprachraum, wo es in intellektuellen Kreisen im 20. Jahrhundert großes Interesse stieß – mit dem Titel »Das wahre Buch vom südlichen Blütenland«. Dem schweizerische Psychologe Karl Jaspers (1883-1969) galt Zhuangzi gar als der beeindruckendste chinesische Denker, eben genau wegen seiner Fähigkeit sich solch wundersame Geschichten über die Wirklichkeit ausgedacht zu haben, wie wir oben sehen konnten. Er empfand den Reichtum der Texte dieses alten chinesischen Meisters, als Beschreibungen vieler verschiedener psychologischer Zustände. Ebenso beeindruckt schien der deutsche Autor Hermann Hesse (1877-1962) gewesen zu sein, wenn er sagte

Von allen Büchern chinesischer Denker, die ich kenne, hat dieses am meisten Reiz und Klang.

Doch vor allem das leicht groteske oder witzige in der Art seines Schreibens, machen die Schriften Zhuangzis in ihrer Form der Übermittlung von Weisheit einzigartig.

Meister Ki sprach: »Die große Natur stößt ihren Atem aus, man nennt ihn Wind. Jetzt eben bläst er nicht; bläst er aber, so ertönen heftig alle Löcher. Hast du noch nie dieses Brausen vernommen? Der Bergwälder steile Hänge, uralter Bäume Höhlungen und Löcher: sie sind wie Nasen, wie Mäuler, wie Ohren, wie Dachgestühl, wie Ringe, wie Mörser, wie Pfützen, wie Wasserlachen. Da zischt es, da schwirrt es, da schilt es, da schnauft es, da ruft es, da klagt es, da dröhnt es, da kracht es. Der Anlaut klingt schrill, ihm folgen keuchende Töne. Wenn der Wind sanft weht, gibt es leise Harmonien; wenn ein Wirbelsturm sich erhebt, so gibt es starke Harmonien. Wenn dann der grause Sturm sich legt, so stehen alle Öffnungen leer. Hast du noch nie gesehen, wie dann alles leise nachzittert und webt?«

Der Jünger sprach: »Der Erde Orgelspiel kommt also einfach aus den verschiedenen Öffnungen, wie der Menschen Orgelspiel aus gleichgereihten Röhren kommt. Aber darf ich fragen: wie ist das Orgelspiel des Himmels?« Meister Ki sprach: »Das bläst auf tausenderlei verschiedene Arten. Aber hinter all dem steht noch eine treibende Kraft, die macht, daß jene Klänge sich enden, und daß sie alle sich erheben. Diese treibende Kraft: wer ist es?«

– Zhuangzi 2:1

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