Die Gnostische Tradition und ihr Vermächtnis

Blicken wir zurück in die Jahrtausende alte Vergangenheit der religiösen Weltanschauungen der Alten Sumerer oder der Alten Ägypter, begegnen uns spirituelle Kulte. mit wahrhaft interessanten Eigenarten. Doch für unser heutiges Empfinden bleiben sie einfach Riten aus der Antike,

Denn auch wenn sich Archäologen weiterhin mit den Königen, Pharaonen und Priestern dieser alten Zeit befassen, entsprechen die darin untersuchten Themen keiner lebendigen Tradition mehr. Möglicherweise lässt sich einiges über die Art und Weise ihrer religiös-kultischen Spiritualität sagen und wie stark sie andere Traditionen dieser alten Zeit beeinflusste.

Es dürfte allerdings abwegig erscheinen, behauptete jemand, dass er heute eine sumerische oder ägyptische Spiritualität lebe, da diese doch ganz eng verknüpft war mit den Menschen die sie vor Jahrtausenden ausübten.

Anders sieht das aus, wenn wir uns die großen spirituellen Bewegungen der nachchristlichen Ära des Hellinismus ansehen, wie sie uns zum Beispiel als Hermetische, Neuplatonische oder Gnostische Tradition bis heute erhalten geblieben sind. Sie alle waren in ihren Weisheitssystemen so universal, da sie nicht das Eigentum einer bestimmten kulturellen Gemeinschaft waren, wie das in den drei Jahrtausenden zuvor bei den Alten Sumerern und Alten Ägyptern der Fall gewesen war.

Als Weisheitssysteme haben sie trotz äußerer Widrigkeiten niemals aufgehört zu bestehen, was insbesondere auch für die Gnostische Tradition gilt. Sie übte einen beträchtlichen Einfluss aus auf das noch junge Christentum des 3. Jahrhunderts, doch sollten sich seine Angehörigen von der Gnostischen Tradition bis ins 4. Jahrhundert abwenden und sie als ketzerisch erklären.

Dennoch breitete sich im 3. und 4. Jahrhundert in Persien und den umliegenden Regionen eine gnostische Religion aus, deren Prophet Mani ihr ihren Namen gab: Der Manichäismus. Diese Bewegung breitete sich bis nach Indien und Südasien hin aus, ja sogar bis in den Norden Tibets. Doch es gab zu dieser Zeit in Persien politische Umwälzungen, die sich auch auf das spirituelle Leben auswirkten. So kam es dazu, dass man begann die Anhänger des Manichäismus zu verfolgen, da die dort Mächtigen ihren gewaltigen Einfluss fürchteten.

Im Westen wirkte die manichäische Gnosis aber im Untergrund fort, einem unterirdischen Fluss gleichend, der immer wieder an verschiedenen Orten zum Vorschein kommt, um aber wieder zu versickern. Das war und ist im Großen und Ganzen auch heute noch der Weg der Gnosis, die als geheime spirituelle Strömung seit damals bestehen geblieben ist. So hat sich die Gnostische Tradition bis nach Europa weiter ausbreiten können. Zuerst pflegten sie manche Eingeweihte in den Ländern des Mittelmeers, doch sollte sie sich von dort aus dann auch in nördlichere Regionen Mitteleuropas ausbreiten.

In dieser Zeit kam es zu einem Auftauchen der verborgenen Geistesströmungen der Gnostischen Tradition im Westen, wie im 12. Jahrhundert zuerst mit den Bogomilen im Balkan sowie zu dieser Zeit auch mit den Katharern Südfrankreichs. Später ging im Verborgenen, aus diesen gnostischen Traditionen wohl auch das Rosenkreuzertum in Deutschland hervor. Aber selbst wenn sich die Art der darin dann verwendeten Begriffe und Bilder der Zeit gemäß zu dem verändert hatten, was damals den Menschen Europas geläufig war, haben sich die ursprünglichen, universalen Anschauungen der Gnostischen Tradition darin dennoch erhalten.

Auf den Fundamenten einer zeitgenössischen Lehre der Gnosis

Gnostische Gruppierungen bestehen bis heute in Europa und in Amerika sowohl vereinzelt auch auf anderen Kontinenten. Sie pflegen eine gewisse Öffentlichkeit, doch bedarf es einer Zugehörigkeit und damit verbundenen Aufnahme in solche Gemeinschaften und Orden, um die Geheimnisse der Gnosis zu erfahren. Somit bleiben sie in ihrem Kern weiterhin solch Untergrundströmungen, wie wir sie bereits oben angedeutet hatten. Denn selbst wenn das Wissen frei zugänglich ist, bedarf es an unzähligen Stellen besonderer Erklärungen und Einweihungen, die im aufgenommenen Mitglied eine erfahrbare Wirklichkeit der Gnosis eröffnen können.

Mit den, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gefundenen archäologischen Texten aus dem Frühchristentum, in Nag-Hammadi (Ägypten, 1945) sowie der Schriftrollen vom Toten Meer in Khirbet-Qumran (Westjordanland, ab 1947), sollte die gnostische Untergrundströmung erstarken. Sie nämlich brachten einige wirklich Interessierte dazu, sich intensiv mit dem Thema Gnosis zu befassen und ihre Erkenntnisse im Geheimen untereinander auszutauschen. Denn nach wie vor ist der Umgang mit diesem Wissen oft nicht ganz ungefährlich.

Worum aber geht es darin, wenn die Inhalte der Gnosis solch verfänglichen Charakter besitzen?

Thomas-Evangelium und das geheime Buch des Johannes (Apokryphon des Johannes): Frühchristliche gnostische Texte die man in Nag-Hammadi fand.

 

Um diese Frage zumindest allgemein beantworten zu können, sollten wir uns im Folgenden mit den Inhalten der gnostischen Weltanschauung befassen. Denn erst so könnten wir dabei lernen, wann wir es mit den Geheimlehren der Gnostischen Tradition in unserer gegenwärtigen Weltkultur zu tun bekommen.

Um das auch an dieser Stelle bereits zu vollbringen, müssen wir uns zuerst einigen grundlegenden Wissensquellen der gnostischen Geheimlehre annähern. Daher lassen Sie uns einen weitern Schritt zugehen auf die inneren Tradition dieser Geheimlehre.

Der Mensch als göttliches Wesen

In der Gnostischen Tradition gibt es die Theorie von der ursprünglichen Einheit des Alls, die jedoch zerbrach in eine Vielheit, wo zuerst aus dem Einen eine Zweiheit und sich daraus dann die unzähligen Dinge in der spirituellen Welt formten. Dabei sind jedoch Auffassungen üner die Existenz eines sichtbaren Kosmos, mit all seinen verschiedenen Wesenheiten zweitrangig. Es geht den Gnostikern in erster Linie um die lebenden göttlichen Geschöpfe, zu denen für sie auch wir Menschen mit unseren Seelen zählen, die einem größeren göttlichen Wesen entstammen und aus ihm, als seine geistigen Splitter in die Welt verstreut wurden.

Dabei also fielen die Seelen aus den göttlichen Himmelsgefilden auf die dann einst erschaffene Erde, wo sie sich in körperliche Gewänder kleideten. Damit ist jeder Mensch, als Teil der universalen Göttlichkeit des Einen auch selbst ein heilig-numinoses Wesen, da es von dem Einen abstammt.

Auch der Kosmos, als vorweltliche Erscheinung, nahm durch die besagte Teilung des Einen, Gestalt an, lange bevor es zum Fall der Seelen ins Irdische kam. Zu diesem kosmischen Schöpfungsvorgang kam es durch einen nächtigen Erbauer der Welt und Schöpfergott, den die mosaischen Schriften Adonai nennen und über ihn mit dem Namen JHVH schreiben. Die Gnosis jedoch weist auf einen ganz anderen, geheimen Aspekt der Weltentstehung hin, dass es überhaupt nicht einfach ist, ja sich sogar nachteilig auswirken könnte für den, der darüber öffentlich schreibt.

Es ist also ein heikles Thema. Und darum halten sich die Gelehrten der Gnosis auch immer wieder bedeckt. Sonst nämlich laufen sie Gefahr die Akteure des weltlichen Klerus auf den Plan zu rufen und gegen sie aufzubringen. Der Grund dafür aber ist eigentlich nur, dass die soeben angesprochene Thematik noch nicht genügend verstanden und in ihren Wahrheitsbezügen unterschieden werden konnte, so dass sie jeder Gläubige, ihrem Wesen nach auch wahrheitsgemäß verstehen kann.

Über die Gewalt der Offenbarung des Bösen

Wie uns die Gnostische Tradition lehrt, kam es durch das, was wir zuvor über die Emanationen aus dem göttlichen Einen sagten, zu besonders ungewöhnlichen Veränderungen in der Welt. Was sich daraus dann entwickelte, ließ eine Umgebung für die darin ausströmenden Seelenfunken entstehen, die fraglos ihre lebendige Existenz beengen und damit sogar gefährden sollten.

Wer als Interessierter nun zum ersten Mal vom wahren Wesen dieses okkulten Ganges der Dinge erfährt, für den wird sich unweigerlich zwischen ihm und seinem bisherigen Glauben ein Abgrund der Entfremdung auftun. Das wird seine bisherige Sicht auf die Welt und auf Gott in ihren Grundfesten erschüttern. Genau gesagt, wird er selbst zum Fremden, in der für ihn zuvor vertrauten Welt im Außen. Und das hat Folgen auch für sein Seelenleben.

Was aber hat es damit auf sich?

Die besagte Entfremdung führt den, an der gnostischen Lehre Interessierten zu der Erkenntnis, dass sich vor der Erschaffung der Welt ein Unfall ereignete, dessen Nachwehen bis heute wirksam geblieben sind. Die Gnostiker kamen zu diesem Schluss, als sie versuchten die Gegenwart des Bösen in der Welt zu erklären. Wie aber und von wo aus kam hier das Böse ins Spiel, fragte man sich da und warum gibt es das Böse im Menschen? Eine doch sehr wichtige Frage, nicht wahr?

Eine objektive Antwort darauf, ermöglicht uns vielleicht die biblische Geschichte aus dem Garten Eden. Denn das darin erschaffene Menschenpaar erlebte die Welt anfänglich rein spielerisch, als ihnen noch kein Bewusstsein für die Gegensätze zuteil geworden waren und sie damit auch nicht gegen irgendeine Regel ihres Erschaffers verstoßen haben konnten. Wer sie dann jedoch zur Übertretung verführte und sie damit auf die Schattenseite hinüberriss. ließ sie von dort aus den universalen Gegensatz zu der ihnen bisher bekannten Welt erkennen. Das sollte zu dem unglaublichen Unglück des sogenannten „Sündenfalls“ führen, doch sie damit auch ihre eigene Gegensätzlichkeit als Frau und Mann erkennen lassen und sie damit selbst zu Schöpfern neuen Lebens machem, wobei der Zeugungsakt (Genesis) und die Erkenntnis (Gnosis) im ersten mosaischen Buch ja als identisch gelten, heißt es darin doch:

Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain […] – Genesis 4:1

Was daraus folgte war dann ja eine unglaubliche Katastrophe, als doch der Mord an Abel durch seinen Bruder Kain geschah. Dieser Fall war von solch erschütternder Tragweite, dass offensichtlich der gläubige Mensch, den man daran erinnert, noch immer darunter leidet.

Was aber wäre, wir würden von diesem Glauben unserer biblischen Ahnen einmal Abstand nehmen? Könnte es da nicht passieren, dass sich die Erscheinungen all der Übel und Unvollkommenheiten in unserer Welt und in unserem Leben, in einem völlig neuen Gewand präsentierten?

Wenn wir andererseits unseren Blick auf eine Weltanschauung richten, die gekennzeichnet ist durch das Prinzip einer göttlichen Einheit, stellt sich uns dabei eine wichtige Frage. Denn wenn alles aus der Einheit des einigen guten Gottes kommt und alles in seinen unzähligen Erscheinungen ein Teil von ihm ist: Was ist dann die Ursache dafür, dass in ihm und seiner Schöpfung so viele Übel und Böses wirkt?

Es scheint, als hätte auf diese Frage kaum jemand eine plausible Antwort, nicht wahr?

In keiner der monotheistischen Religionen, sei es das Judentum, das Christentum oder der Islam, gibt es eine objektiv gefasste Definition dafür, was das Böse wirklich ist. Einen Versuch das Böse zu erklären, machen die Gnostiker mit der Annahme, dass einst ein großes Unglück geschah. Selbst wenn von einer überirdischen Güte einst ein Urimpuls des Wohlwollens, der Gunst und der Liebe in das Erschaffene ausstrahlte, bedeutet das nicht, dass in der weiteren Entwicklung des Erschaffenen sich nicht auch ein Fehlschlag ereignen konnte. Und das ist ja eigentlich eine Tatsache, der doch jeder von uns zustimmen dürfte. Auch wenn wir die besten Absichten haben bei dem was wir tun, bedeutet das nicht, dass daraus nur Gutes resultiert. Betrachtet man den biblischen Sündenfall oberflächlich, sieht es ja so aus, als ob mit des Menschen Kosten vom Baum der Erkenntnis von Gutem und Bösem, selbst dem Schöpfergott ein Missgeschick passierte.

Man könnte also auf die Idee kommen einmal zu fragen, ob es einst vielleicht zu der „universalen Entfremdung“ des Wesens einer besonderen Bewusstseinsform kam, das, sich in den Fluss des Göttlichen ergießend, einfach vergaß, was sein wahrer Ursprung und seine wahre Funktion in der Welt gewesen ist. Wenn sich so ein Wesen nicht mehr erinnert an seine wahre Aufgabe, nämlich von selbst aus zu handeln und damit auch selbst erschaffen zu können, verkörpert solch Wesenheit doch eigentlich das Unvollkommene. Und so ist das von ihr Getane und Erschaffene entsprechend unvollständig und fehlerhaft. Was aber hat es damit dann auf sich? Nun, auch wenn solch ursprünglich göttliche Wesenheit ihre Wurzeln vergaß, bedeutet das trotzdem nicht, dass sie keinen Ursprung hatte.

Die weibliche Personifikation der Weisheit und ihr spirituelles Gegenstück

Das Werk des Kirchenvaters Irenäus von Lyon (130-200 n. Chr.) ist eine wichtige Quelle zur Deutung gnostischer Konzepte, auch wenn dieser Mann ganz vehement gegen die Mitglieder der Gnostischen Tradition seiner Zeit vorging.

Irenäus schrieb über die weibliche Figur der „Sophia“ (griech. für „Weisheit“), sie sei eine Gnostikoi, eine „Wissende“. Als solche gilt sie den Gnostikern seit damals als eine Analogie zur Seele des Menschen sowie gleichzeitig als weiblicher Aspekt Gottes. Damit galt sie den Gnostikern als Zwillingsschwester Jesu und als Braut Christi, während man sie dabei mit dem Heiligen Geist der Dreifaltigkeit gleichsetzte.

Es war Sophia nun ein Unfall geschehen, was das kosmische Urchaos verursachte und wodurch es zur Geburt der materiellen Welt kam. Laut dem Gnostiker Valentinus (100-160 n. Chr.) ereignete sich das Unglück, als Sophia versuchte, die Barrieren des unerkennbaren Uranfang des Seins zu durchbrechen. So stürzte sie aus dem glänzenden Lichtmeer des Göttlichen, dem was die Gnostiker als das „Pleroma“ bezeichnen (griech, für „Fülle“). Das bereitete Sophia Angst, da sie in diesem Unfall das „Licht des Einen“ verloren hatte. Während ihrer Verbannung aus dem Lichtmeer, trat der Sophia gegenüber ihr spirituelles Gegenstück. Es war die zuvor beschriebene Wesenheit, die sich ihrer selbst nicht bewusst war und die die Gnosis den „Jaldabaoth“ nennt: Den Sohn des Chaos – Sohn jenes Zustandes also, in dem sich die Welt vor der Schöpfung befand und die man im 1. Kapitel der biblischen Genesis als „wüst und leer“ (hebr. „tohu va vohu“) bezeichnet.

Als der „Demiurg“, als Weltbaumeister, soll Jaldabaoth nun das materielle Universum erschaffen – die Welt in die unsere Körper geboren wurden sowie die Körper aller anderen physischen Lebewesen.

Wie Sophia den ersten Menschen zum göttlichen Leben führte

In den Schriftrollen von Nag-Hammadi ist die Rede von bösen Geistwesen, die zwar von Gott abstammen, ihn aber nicht kennen und darum auch nicht in seinem Sinne handeln. Die Gnosis nennt sie die „Archonten“ (griech. für die „Herrschenden“), die dem Geheiß Jaldabaoths folgen.

Jaldabaoth erblickte in den höheren Himmelsregionen das göttliche Bildnis dessen, wie der irdische Mensch aussehen sollte. Der ähnelt ein wenig dem, den die Kabbala den „Adam Kadmon“ nennt – den „ursprünglichen Menschen“. Und so kam es, sagen die Gnostiker, dass er diesem Bild entsprechend, aus Erde den ersten irdischen Menschen aus Lehm erschuf. Doch was Jaldabaoth dort gesehen hatte war nicht vollkommen. All das beobachtete die gnostische Sophia und erschrak. Es war ein Unfall der da geschehen war. So aber kam es, dass sich die Sophia vom Himmel auf die Erde begab, um dem, vom Demiurgen Jaldabaoth erschaffenen Menschen eine Seele einzuhauchen, die die Kabbala „Ruach“ nennt, die dem göttlichen Geist entstammende Seele. Darauf begann der Adam, der erste irdische Mensch zu atmen, richtete sich auf und ging umher.

Die gnostische Schlange mit dem Löwenkopf: Der Weltenerbauer Jakdabaoth.

 

So also hatte der erste Mensch seine fleischliche Form von Jaldabaoth erhalten. Doch die Sophia verlieh ihm göttliches Leben und damit seine menschliche Intelligenz. Es ist darum kaum verwunderlich, dass das, was Adam durch die Sophia verliehen bekam, mit dem identisch ist, was das Neue Testament den Heilgen Geist nennt. Laut der Gnosis war dieser Heilige Geist auch das göttliche Medium („Mercurius“) durch den der ursprünglich spirituelle Kosmos erschaffen wurde. Das jedoch geschah in einer ganz und gar positiven Erscheinung und lange bevor das materielle Universum entstand.

In der Raumzeit des Kosmos kam es nun zu einer Trennung, die durch die dämonischen Archonten vollzogen wurde, so die gnostische Überlieferung. Dies ereignete sich in der psychologischen Umgebung, in der sich der menschliche Geist befand. Diese Umgebung jedoch betrachten die Gnostiker als eher ungünstig dafür, dass der Mensch seine spirituelle Natur und die mögliche Verwirklichung seines spirituellen Potenzials darin wirklich entfalten kann. Und daraus folgerte man, dass wir Menschen uns darum nicht bewusst sind, wer wir wirklich sind und worum es in unserem Leben eigentlich geht. Deshalb haben die meisten von uns auch kein großes Verlangen und keine Motivation, ihre wahre Rolle im Leben zu ergründen und ihr eigentliches Wesen zu erkennen. Das heißt jedoch keineswegs, dass das nicht trotzdem möglich ist, doch befinden wir uns in einer spirituell gesehen eher feindseligen Umgebung. Das gilt sogar in physischer Hinsicht, sodass es für den Menschen nicht so einfach ist, in dieser Welt seinem Wesen entsprechend zu funktionieren.

Der Mensch hat viele Schwierigkeiten. Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist er bestrebt, eine komplexe Zivilisation zu schaffen, weil er so viele Widrigkeiten gegen sich hat und nur durch ein gemeinsames Leben im Miteinander, diese Widrigkeiten zu überbrücken lernen kann. Tiere hingegen brauchen sich keine Zivilisation zu schaffen, weil sie die Werkzeuge für ihr eigenes Überleben, bereits in sich tragen.

In der Gnostischen Tradition heißt es, dass der Mensch in seinem geistig-seelischen Leben gegen ein ganzes spirituelles System der Finsternis kämpft, dass er jedoch erst durch Bewusstwerdung und dann durch eine spirituelle Arbeit in sich überwinden kann. Wer aber ist dazu in der Lage?

Menschen schlafen auch im Wachzustand

Für den gnostisch gesinnten Menschen gleicht das Universum einem riesigen Gefängnis. Den Menschen versklaven die grundlegenden physikalischen Gesetze der Natur (Gravitation, Verfall). Es sind die bestehenden Begrenzungen in unserem menschlichen Leben, die uns an so vielem hindern, dass wir gerne tun und das wir gerne ändern würden. Wir alle unterliegen dieser Kraft, die von den dämonischen Wesenheiten der Archonten ausgeht, so die Gnostiker, weshalb Begrenzung leider ein wichtiges Merkmal unserer Existenz in unserem Körper ist. Und aus dieser Tatsache rührt des Menschen Veranlagung zur Frustration, über die Ereignisse seines Schicksals.

Schauen wir jedoch einmal genauer hin, so scheint es, als befände sich der Mensch in Wirklichkeit in einem Tiefschlag der Unwissenheit. Das fällt einem auf, wenn man etwa in die Welt schaut all jener, denen man leider niemals die hier im Vorfeld beschriebene, spirituelle Perspektive auf das seelisch-menschliche Sein im Kosmos eröffnete. Denn ihr spirituelles Bewusstsein scheint wie betäubt von ihrer Identifikation mit ihrem Körper, wo sie sogar ihr seelisches Empfinden als physiologisch-medizinische Funktion erleben. Auch das Buch Genesis deutet auf diesen, oben besagten Tiefschlaf hin, wenn es darin heißt:

Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen (Adam), und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch.
– Genesis 2:21

Und so kam sein geschlechtliches Gegenstück zur Welt, die ja die Bibel „Eva“ nennt, die „Lebendige“ und eben jene, die dann auch, noch vor Adam, von der Frucht der Erkenntnis von Gutem und Bösem kostete.

Aber eigentlich befindet sich jeder von uns in seinem Alltagsleben in solch Tiefschlaf der Unwissenheit. Allein durch ein achtsames Gewahrsein könnten wir uns allmählich über diesen Zustand der Unbewusstheit erheben, um schließlich zu erwachen. Nur: Wer weiß darum? Die meisten von uns leben unter einer Art Hypnose, was sie daran hindert, ihr wahres, spirituellen Bewusstseins zu erleben. Das rührt her von den existentiellen Bedingungen des Erdenlebens von uns Menschen und es ist das von ganz wesentlicher Bedeutung in unserem Leben, da es uns immer wieder daran hindert, die Wahrheit des Seins zu erkennen und darüber zu einem Wissen zu finden, durch das wir aus unserem wachen Schlafwandel endlich zu uns kommen.

Zu einem Wissenden werden

Es geht in der Gnosis um ein esoterisches Wissen, dass einen Menschen zur Erkenntnis seiner Selbst und damit zu seinem Erwachen führt. Solch Bestreben sollte stets die Erinnerung daran unterstützen, dass in der Gnosis die Vorstellung von einer ursprünglichen, wunderbar erhabenen Einheit existiert.

Mit mit dem Zerfallen dieser uranfänglichen Einheit sollte das Entstehen, nach dem der darin erschaffene Mensch dann all das Negative erlebte – von dem, wovon wir hier ja immer wieder sprachen. Und wieder sollten wir uns da vor Augen führen, dass diesem Zustand nur dann weiterhin ein Pessimismus zugrunde liegt, wenn alles das es gibt einfach bleibt.

Zwar entspricht dieser Zustand, den die Gnostiker als negativ und für den Menschen frustrierend beschreiben, der Wirklichkeit, doch das bedeutet nicht gleichzeitig, dass er sich nicht auch abmildern ließe. Auch wenn das menschliche Leben, ständig neue Probleme und Leiden begleiten – was eine unverrückbare Tatsache ist -, lassen sie sich vom Individuum dennoch überbrücken. Dann beginnt jemand zu erkennen, wodurch in ihm das Traurige ausgelöst wird und in ihm eine gewisse Hoffnung aufkommt, dass er erkennt, erwacht und damit sein Leben neuen, ganz wunderbaren Perspektiven öffnet. So jemand ist sich seines „Inneren Menschen“ gewahr geworden, worauf schon der Apostel Paulus hinwies, wenn er im zweiten Brief an die Korinther sagt:

Darum werden wir nicht müde (schlafen nicht ein), sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert.
– 2. Korinther 4:16

Was sich da täglich erneuert, das ist der, aus der göttlichen Substanz auf die Erde gefallene Seelenfunke, durch den sich die Inkarnation eines Menschen im Mutterleibe vollzog und er so diesen Funken in seinen Körper kleidete, womit er auf die Welt kam und womit er auf Erden lebt und handelt.

Niemals sagten die Gnostiker, dass der menschliche Leib schlecht sei. Sie aber wussten, dass der physische Körper das Göttliche im Menschen limitiert und damit auch die Erkenntnisfähigkeit, die als Bewusstseinsfeld jenen Göttlichen Funken umgibt. Keineswegs aber hält diese Begrenzung einen bewusst werdenden Menschen davon ab, sich zu erkennen und damit aus seinem Schlaf zu erwachen. Denn da ist etwas im Menschen, dass ihn dazu befähigt, was wir als „Samen der Erweckung“, als „Samen der Gnosis“ bezeichnen könnten.

Was solch Erweckung auslöst, jedoch ist nicht irgendwelch religiöser Gehorsam oder eines Menschen Streben gute Werke zu tun. Der Auslöser ist das richtige Wissen! Das mag für die eine oder den anderen zu verkopft oder sogar arrogant klingen. Niemals wird einen aber religiöser Gehorsam aus den Fängen der besagten Übel erlösen. Darum auch wird ein Mensch, der sich im Erwachen seines Inneren Menschen bewusst werden möchte, sicherlich unruhige Zeiten durchstehen müssen, die vielleicht dpgar albtraumartige Züge annehmen können und dabei sein Weg scheinbar durchs Feuer führt.

Sobald sich das Erwachen aber ereignete, scheinen sich all die unüberwindbaren Probleme in Nichts aufgelöst zu haben. Jeder von uns kennt dieses Gefühl, wenn er einmal ein schwieriges Problem im Leben oder ein Leiden überwunden hatte: Was unlösbar und unüberwindbar erschien, das verlor ganz und gar seine Wichtigkeit und war nicht mehr im Geringsten von Bedeutung. Es war etwas, das sich der Verstand zusammengesponnen hatte, dass er sich ausgedacht hatte und einen in Sorge und Angst gefangen hielt. Doch dann auf einmal verschwanden diese Grenzen und wir waren befreit.

Was sich mit dem damit einhergehenden Erwachen ereignete, kam nicht durch das Lernen von Informationen oder intellektuellem Wissen, sondern durch die dabei gemachte Erweckungserfahrung, die das gesamte Wesen des Erlebenden verwandelte. Was jedoch ist gemeint mit dem Wissen, von dem wir oben sprachen? Sicherlich hat es nichts mit Informationen zu tun. Es ist dieses Wissen vielmehr etwas, dass einen Menschen zu einem „Wissenden“ macht und demzufolge zu jemandem, der Wissen erfuhr und nicht etwa aus Büchern oder vom Hörensagen. Nein. Ein Wissender zu werden, ist die Erfahrung einer ganz wesentlichen Wirklichkeit unserer Wesensessenz und damit ein magischer Teil unserer Existenz. Man lernt dabei nicht über diese Wesensessenz, sondern man hat die erlebte Erfahrung kennengelernt.

Eine Rekonstruktion der Abbildung eines Ggnostischen Kreuzes im Bruce-Codex, die als Frontispiz gedacht gewesen sein könnte (zwischen dem 3. und 10. Jahrhundert). Vorbild dafür ist vermutlich das sogenannte „Koptische Kreuz“ (Ägypten).

Durchbruch in eine tiefere Wirklichkeit

Jeder von uns hat in seinem Innern ein verborgenes Organ. Es ist verborgen, da wir es nie oder nur ganz selten gebrauchen, so dass uns seine Existenz einfach nicht mehr bewusst ist. Sobald wir dieses verborgene Organ jedoch zu verwenden wissen, wird es sich uns dabei gleichzeitig enthüllen – und die Erfahrung die wir dabei machen gleicht einer plötzlichen religiösen Offenbarung, einem „Spirituellen Aha.Monent“, den wir plötzlich und vollkommen unerwartet erleben, wie als sei es ein sexueller Höhepunkt – ein kleiner Tod.
Die Konfrontation mit unserem innersten Kern, der Wesensessenz unseres Selbst, wird uns dabei eine vollkommen neue Form des Seins offenbaren. Das jedoch hat nichts mit intellektuellem Verstehen oder dem Finden zu neuen Gedankengängen zu tun, als dass uns hierbei die Erfahrung eines Durchbruchs in eine tiefere Wirklichkeit zuteil wird.

Der oben erwähnte Valentinus, der wohl wichtigste Lehrer der christlich-gnostischem Schule, sprach von dieser Erfahrung, als von der Vision eines neugeborenen Kindes, dass sich ihm darin selbst als der Logos vorstellte. Es war das eine Vision des Christus, die Valentinus dabei schaute, eines Christus, der ihn, als Offenbarung eines in ihm enthüllten Geheimnisses, eine Gottesgeburt in seinem Herzen erfahren ließ und er dabei in sich die Einheit des Kosmos erlebte.

Valentinus schrieb darüber in seinem Gedicht mit dem Titel „Die Ernte“:

Alles sehe ich als vom Pneuma (göttlich-geistiges Prinzip) getragen:
Fleisch an Seele gehängt,
Seele an Luft gebunden,
Luft an Äther gehängt,
Aus der Tiefe Früchte hervorgebracht,
Aus dem Mutterschoß ein Kind hervorgebracht.
– Aus Hippolytus‘ Fragment 8, VI, 37:6-8

Als ein Wissender erlebte er in seiner Einheitserfahrung, dass er als geistiges Wesen in das kosmische Ganze aufgenommen wurde. Von da an fühlte er sich nicht mehr vom Grund des Seins getrennt, sondern erlebte sich als mit ihm identisch.

Erweckung durch das Erlangen von Gnosis

Wer solch neue Realität wie Valentinus, durch sein Erwachen erlebt, der verändert sich und ist nicht mehr der selbe Mensch. Dabei kann es geschehen, dass so jemand sich nicht nur innerlich verändert, sondern man es ihm sogar äußerlich ansieht, dass er eine wahrhaft staunenswerte Erfahrung durchlebt haben muss. Natürlich kann jemand auch sehr viel lernen und Wissen aus Büchern gewinnen und doch änderte es ihn kein bisschen.

Ein „Erwachter“, der die besagte Erfahrung machte, der wurde in ein universales Bewusstsein erlöst und veränderte dabei nicht nur das eigene Sein, sondern erfuhr diesen Vorgang als ein kosmisches Ereignis, in dem sich nicht nur er selbst, sondern mit ihm seine gesamte Umwelt und darum auch ein klein wenig der gesamte Kosmos verändert wurde. Denn durch seine dabei gemachte tiefe Einsicht, sah die die ganze Welt anders aus und fühlt sich auch anders an.

Nun könnte einer sagen, dass das nur ein subjektiver Eindruck war und es nicht bedeutet, dass der Erwachte sich wirklich verändert hatte. Für ihn aber hat sich die Welt aber auf jeden Fall verändert, denn er weiß, dass die Art und Weise, wie sich etwas für ihn anfühlt und ist, für ihn wirklich wichtig ist. Für jemand anderen mag es nicht wichtig sein. Aber für den Erfahrenen, den „gnostisch Erwachten“ ist es das ganz sicher. Das soll gleichzeitig nicht heißen, dass der Kosmos, in dem wir leben, unser eigenes Werk ist. Nein. Aber es ist eine Tatsache, dass sich das Leben verändert, wenn man sich selbst verändert. Wenn man sich zum Besseren verändert, verändert sich das Leben zum Besseren. Und wenn man eine tiefere Einsicht nutzt, um eine tiefere Gnosis zu erfahren, verändert sich die Struktur des Kosmos selbst in irgendeiner Weise.

Die Gnostiker, wie etwa Valentinus, sagen, dass jedes Mal, wenn ein Mensch Gnosis und damit also Erkenntnis erlangt, der beschriebene universale Makel im Kosmos dadurch ein klein wenig vermindert wird. Und so werden auch die Dinge in der Welt ein wenig besser.

Die Position den die Gnostiker zu dieser Haltung einnehmen war immer die, dass das Befolgen von Geboten – wie zum Beispiel die 613 Gebote des mosaischen Gesetzes – einen Menschen nicht einfach so befreien können. Jesus sagte im Johannes-Evangelium:

[..] und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
– Johannes 8:32

Damit meinte er aber sicherlich nicht, dass so etwas nur durch Gottesgehorsam möglich ist. Denken Sie daran, dass das Befolgen von Geboten und ein gut erzogener, moralischer Mensch zu sein, nichts mit dem besagten Erwachen zu tun hat, durch das ein Mensch zu einem Wissenden wurde, jemandem der sich des Lichtes der Erleuchtung gewahr wurde. Wer diese Erweckunserfahrung machen und so zu wahrer Freiheit finden will, der muss in eine größere Realität eingedrungen sein und dabei das Wissen um die Dinge erlangt haben – die Dinge die sind. So jemand muss Gnosis erlangt haben.

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