Diamantwelt-Mandala

Was ist ein Mandala?

Ein Mandala ist eine geometrische, meist figurale Form, die im Hinduismus und Buddhismus der meditativen Betrachtung dient. Doch auch in der westlichen religiösen Tradition finden sich solch symmetrische Bildformen, etwa als quadratische Ikonen, mit einem Christusbild im Zentrum, an vier Ecken umgeben von den Evangelisten-Symbolen.

Was sich im Zentrum eines Mandala befindet ist von großer Bedeutung. Um dieses nämlich fügen sich heilige Symbole zu geometrischen Mustern zusammen. Sie dienen ihrem Betrachter als visuelle Hilfsmittel zur Meditation, worin er Gottheiten in sakralen Landschaften begegnet und dabei Zeichen komplexer religiöse Zusammenhänge zu verinnerlichen lernt.

Soll sich jemand auf eine innere Erfahrungsreise begeben, kann er sich in kontemplativer Betrachtung auf den Mittelpunkt eines Mandala einlassen und so, durch ein dabei erlebtes spirituelles Erfahren, zu umfassenden Erkenntnissen finden – über sich und über die Welt. Dazu lesen wir im indischen Yajurveda:

Der Sucher fragt: Wer kennt den Mittelpunkt der Welt? Wer kennt den Himmel, die Erde, den weiten Luftraum zwischen ihnen? Wer kennt den Geburtsort des mächtigen Surya (der Sonne)? Ich frage dich nach der äußeren Begrenzung der Erde, ich frage dich, wo ist der Mittelpunkt der Welt? Der Priester antwortet ihm: Ich kenne den Mittelpunkt der Welt um uns herum. Ich kenne Himmel, Erde und den weiten Luftraum zwischen ihnen. Ich kenne den Geburtsort des mächtigen Surya […] Dieser Altar hier ist die äußerste Begrenzung der Erde. Dieses unser Opfer hier ist der Mittelpunkt der Welt.

– Vajurveda 23:60f

Was in der Vorstellung des Meditierenden das kosmische Mandala im Großen ist, dem entspricht symbolisch im Kleinen ein rechteckiger Altar, von dessen Mitte ein geweihter Rauch zum Himmel hin aufsteigt. Daraus formt sich das »geistige Mandala«, dass dem Meditierenden in sich eine Ganzheit des Seins veranschaulichen soll, in Gestalt eines kosmischen Zentrums, um das sich langsam die Wirklichkeiten seines Lebens bewegen.

Symbolische Kraft des Mandala

Kreise und Quadrate bilden seine Grundstruktur. Im tibetischen Mandala der Diamantwelt (siehe Bild) finden wir das veranschaulicht: In einen rechteckigen Rahmen gefasst, befindet sich in der Mitte ein Kreis, dessen Linie ein inneres Quadrat umfasst, an dessen vier Seiten sich jeweils ein Tor befindet. Im Innern dessen erhebt sich auf fünf Stufen eine weitere, quadratische Ebene, wo es sich durch zwei durchkreuzende Diagonalen in vier farbige Dreiecke teilt, die ein innerer Kreis verbindet und in dessen Zentrum alles, sich vereinigend zusammenläuft.

Ziel eines Meditierenden nun sei, sich von der Mitte dieses Mandalas aus, in kontemplativer Betrachtung durch die Peripherie des Bildes zu bewegen, um dabei zunächst die kosmischen Gegensätzlichkeiten zu erfahren, die in ihrer Vielheit letztendlich wieder in das Zentrum des Mandala münden. Alles trifft dort in Einheit zusammen, was im buddhistischen Tantra symbolisiert wird durch die Vereinigung von Vajrabhairava (»Diamant des Schreckens«) und Vajravetali (»Diamanthauch«). Dabei soll der Kenner in seiner Betrachtung ein inneres Initiationserlebnis erfahren. Dabei eröffnen sich dem Betrachter drei Erfahrungswelten:

  1. Die Welt unseres Lebens: Dabei steht er selbst im Mittelpunkt des Mandalas und erfährt sich in seinem Sein, als Teil eines diesen Mittelpunkt umgebenden Kosmos. Wie in einem Bilderbuch voll archetypischer Symbole, lässt sich darin die Verbundenheit alles Seienden ablesen – in einer direkten Sprache, die schon immer und überall in unserer Welt verstanden wird.
  2. Die Welt des Kosmos: Dieses und andere Mandalas bilden Symbole der großen Weltgeheimnisse. Sie sind uns Menschen Wegweiser, auf der Suche nach unserem wahren Ort inmitten des großen, göttlichen Mysteriums, einem Ort an dem wir unserem wahren Selbst begegnen können, inmitten der kosmischen Gesamtheit.
  3. Die Welt des rein Geistigen: Hierin deutet das Diamantwelt-Mandala hin auf die eigentliche Wirklichkeit des Seins. Es gestaltet ein Bild der nach außen gekehrten Gottheit, als Darstellung der transzendenten Wirklichkeit. Doch ist dieses Mandala nicht nur ein kunstvolles Bild, sondern vielmehr ein rituelles Werkzeug, ein »Yantra«, mit dessen Hilfe der Meditierende die Gottheit in sich selbst Gestalt annehmen lässt. Mandalas sind damit Werkzeuge der inneren Anschauung und entsprechend dabei gemachter Erfahrungen. In solcher Betrachtung werden einem die Zusammenhänge seiner Existenz inmitten der Welt bewusst, wo er sich als identisch empfindet mit dem einzigen und unwandelbaren Zentrum des Kosmos.

Im tibetischen Tantra symbolisiert dieses Zentrum der »Bindu«, der Tropfen der reinsten, göttlichen Essenz. Durch ihn erlebt der Initiierte das Absolute in Vereinigung mit dem Göttlichen (wie oben beschrieben in der lustvollen Verschmelzung der Meditationsgottheiten im Zentrum des Diamantwelt-Mandalas). Alle Gegensätze sind darin aufgehoben, Leerheit und Ganzheit sind darin eins. In diesem Erfahren verspürt der Meditierende ein einzigartiges inneres Gefühl in sich aufsteigen, wobei sich sein Bewusstsein gleichzeitig von allen äußeren Bindungen löst, was ihn in tiefer Ruhe das Wesen der Einheit erfahren lässt.

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