Seit alter Zeit gibt es in Indien ein ganzheitliches System der Medizin: Der Ayurveda. Es dient gleichermaßen der Erhaltung, wie auch der Wiederherstellung der Gesundheit. Wie die Sanskrit-Silbe »veda« bereits andeutet, steht der Name für ein »heiliges Wissen«. Ayurveda ist auch eine Wissenschaft vom »Leben«, im Sanskrit »ayus«. Man könnte sagen: Ayurveda ist das Wissen vom Leben an sich.
Auf dem indischen Subkontinent akzeptiert die Bevölkerung Ayurveda als vollkommene Heilswissenschaft. Es gilt dort als traditionelle Heilkunst und ist wohl auch das weltweit älteste System der Medizin. In alt-vedischer Zeit entstand das, was man heute als medizinisches System des Ayurveda kennt und anwendet.
Bei uns im Westen, assoziieren die meisten den Begriff Ayurveda eher mit Wohlfühlen und Ganzheitlichkeit. Genau letzteres, nämlich das Ganzheitliche des Ayurveda, führte es bei uns ein, als traditionelles Systems der Alternativmedizin. Mit naturwissenschaftlichen Konzepten ist Ayurveda weniger vereinbar, im Vergleich zur westlicher Heilkunst ist es jedoch einzigartig. Ayurveda umfasst ein ausführliches Wissen über vier essentielle Teile menschlichen Lebens: Geist, Körper, Sinne und das, was man als die Vorgänge der Seele betiteln könnte. Gemäß dieser vier Kernpunkte ayurvedischer Lehren, lässt sich das Wesen dieser uralten Wissenschaft folgendermaßen umreißen:
- Es ist keine allgemeine, diagnostische Methode, sondern kommt entsprechend der Voraussetzungen einer Person zur Anwendung, je nach individueller Verfassung eines Menschen.
- Alles was man im Ayurveda bewertet, erfolgt durch Beobachten, Fragen und über direkte Untersuchung, die mittels besonderer Gesetzmäßigkeiten erfolgt, die in alt-vedischen Schriften zu finden sind.
- Man geht im Ayurveda zudem davon aus, dass überall in der Natur und im Menschen feinstoffliche Kräfte wirken, die die Befindlichkeit eines Menschen beeinflussen. Das sind die Tridoshas, die sich aus Vata, Pitta und Kapha zusammensetzen. Wichtigstes dieser drei ist das Vata-Dosha.
Befindet sich Vata über lange Zeiträume hinweg im Ungleichgewicht, werden dadurch auch Pitta- und Kapha-Dosha negativ beeinflusst. Durch das Vata-Dosha erfolgt die Menstruation, die Aussonderung des Fötus, des männlichen Samens, sowie auch die Schweiß-Sekretion und die Ausscheidung von Urin. Es ist damit auch für den Stoffwechsel im menschlichen Körper verantwortlich. Auch Atmung, Herzschlag, sowie alle Körperbewegungen regelt das das Vata-Dosha. Außerdem erfolgt durch das Vata-Dosha die Übermittlung der Nerveimpulse von den Wahrnehmungsorganen an das Gehirn. - Aufgabe des Pita-Dosha ist die Regelung von Stoffwechselvorgängen, der Körpertemperatur und Sehfähigkeit. Auch für das Verständnis von Informationen, ihre Verarbeitung und Bewertung, ist das Pita-Dosha verantwortlich.
Kapha-Dosha ist für die Kraft im Körper verantwortlich, die ein Mensch aufwenden muss, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Es ist außerdem für die sogenannte »Erdung« des Körpers, wie auch für die Stabilisierung geistiger Vorgänge verantwortlich. Auch fallen in den Wirkungsbereich des Kapha-Dosha Fortpflanzungsfähigkeit und Fruchtbarkeit. - Im Ayurveda ist außerdem die starke Verbindung zwischen Geist und Körper wichtig.
Ayurveda als Therapie-Form
Als ganzheitliches Weisheitssystem, ist Ayurveda gewiss eine Wissenschaft über Gesundheit und Langlebigkeit. Es unterstützt den Menschen bei seiner Gesundung und der Herstellung inneren Gleichgewichts.
Dabei arbeitet die ayurvedische Wissenschaft nicht allein auf Erfahrungswerten, sondern ist so universal anwendbar, dass bei jedem konkreten Fall entschieden werden kann, welche Behandlungsmethode sich am geeignetsten erweist. Das heißt, dass das ayurvedische System, individuell auf das biologisch-physiologische Befinden eines Menschen abgestimmt, einen stabil wirksamen Gesundheitszustand herzustellen weiß – für jeden spezifischen Fall. Hierbei hilft dem Ayurveda-Therapeuten eine individuelle Anamnese beziehungsweise eine Analyse der Verfassung eines Hilfesuchenden. Man weiß nicht nur Symptome zu erkennen, sondern hat insbesondere auch verstanden, wie sich eine bestimmte Krankheit manifestiert.
Somit bildet das Ayurveda-Heilungssystem ganz konkrete Therapie-Empfehlungen, die sich aus dem Lebensstil eines Hilfesuchenden ergeben. Nicht allein wird nur von außen, mittels direkter Behandlung, etwa mit Aroma- und Pflanzentherapie oder der Verabreichung von Arzneien gearbeitet, sondern außerdem bestimmte Diäten empfohlen oder auch die Praxis besonderer Yoga-Übungen. Außerdem kann ein Ayurveda-Therapeut auch spirituelle Anleitungen geben, damit ein Hilfesuchender durch bestimmte Gebete und Meditationen, seine innere Balance, insbesondere während einer Therapie, selbst aufrechterhalten kann.
Ayurveda bildet ein Therapiesystem, dass ganz stark die Individualität eines Menschen hervorhebt und fragt: Warum wird jemand krank, und wieso reagiert sein Geist oder Körper dabei anders, als bei anderen?
Ursprünge des Ayurveda
Auf der Suche nach den Ursprüngen dieser ganzheitlichen Wissenschaft, bewegt man sich in eine Zeit, als Philosophie und Heilkunst noch ein einheitliches Gesamtsystem bildeten, und die Denkweise ayurvedischer Behandlungsmethoden prägten. Niemand aber kann genau sagen, wo und wann in der Vergangenheit dieses universale Therapie-System entstand. Laut alt-indischer Legenden, stammt die Wissenschaft des Ayurveda gar aus einer Zeit, in der der Schöpfergott Brahman seinem Sohn Daksha im Ayurveda unterwies, der seinerseits der Lehrer der himmlischen Ärzte Dasya und Nasatya war (vergl. Castor und Pollux in der griechischen Mythologie). Sie waren die ersten Heilsgötter der Menschheit, die ihr Wissen dann an den vedischen Gott Indra weitergaben.
Als sich vor sehr langer Zeit unter den Menschen die verschiedenen Krankheiten verbreiteten, kam laut Legende der Gott Indra und zeigte dem Weisen Bharadvaja, wie man Arzneien und Medizin herstellt. Nach und nach erweiterte sich die Gelehrsamkeit des Bharavaja zu einem riesigen Wissensschatz über die Heilkünste, der später in verschiedenen Wissenzweigen den Erkenntnishorizont seiner Nachfahren immer mehr erweiterte.
Man weiß zwar kein exaktes Datum, wann die Ayurveda-Wissenschaft entstand, Historiker gehen aber davon aus, dass Heiler bereits vor 5000 Jahren Ayurveda praktizierten und in dieser Zeit auch die ersten Ayurveda-Schriften entstanden. Darauf verweisen älteste vedische Texte, wie etwa das Rig-Veda. Darin werden über 60 Präparate erwähnt, die zu Heilzwecken zur Anwendung kommen.
Doch wie mehrfach angedeutet, handelt es sich beim Ayurveda um weit mehr, als ein medizinisches Therapiesystem. Vielmehr ließe sich Ayurveda, als Wissenschaft vom Leben beschreiben. Und da wir alle Teil der Natur sind, zu der ja auch die Tier- und Pflanzenwelt gehört, die auf natürliche Weise versuchen im Einklang mit den Naturgesetzen zu leben, so kann auch der Mensch in sich diese natürlichen Prinzipien befolgen.
Man kann darum sagen: Ayurveda bildete schon in uralter Zeit ein ganzheitliches System, dass den Menschen half Gesundheit aus sich selbst heraus, gemäß den Gesetzmäßigkeiten der Natur herzustellen.
Dhanvantari
Die indischen Puranas gehören zu den ältesten Schriften des Hinduismus. Darin ist insbesondere die Rede von einer Gottheit, die die hohe Weisheit des Ayurveda an sich repräsentiert: Dhanvantari. Ihn sandte der Gotterkönig Indra auf die Erde. Die Puranas sprechen von ihm als Gott der Heilkunst. Anhänger des Hinduismus beten zu Dhanvantari, um von ihm heilende Segnungen zu empfangen. Er gilt als Arzt der Götter und Ursprung aller Heilkunst. Er inkarnierte als Königssohn und kam zur Welt im indischen Varanasi am Ganges – der heiligsten Stadt der Hindus.
Die indische Ikonographie zeigt diesen Gott des Ayurveda stets als schönen jungen Mann. Er trägt manchmal ein gelbes Kleid, dass an das Fell eines Löwen erinnern soll. Seine vier Hände halten je ein Gefäß. Darin befindet sich unter anderem der Trank der Unsterblickeit (Amrita), in seinen anderen Händen sieht man auf verschiedenen Darstellungen mal ein Heilkraut, mal ein Muschelhorn, einen magischen Diskus oder auch Blutegel. Da manche ihn auch als Sohn des Vishnu betrachten, wird seine Haut in der Ikonographie manchmal blau dargestellt.
Geist, Körper und die Sinne
Es ist normal, dass sich die meisten von uns allein über ihren Körper wahrnehmen. Zwar scheint dieser im Spiegel wider, fühlt sich schwer an oder leicht, schmerzt oder verspürt Lust: in Wirklichkeit aber sind wir mehr als das, was unsere Sinnesorgane wahrnehmen. Andere würden sagen, sie seien ihr Denken. Doch auch das ist nicht vollkommen richtig, besitzen wir doch eben auch unseren physischen Leib.
Auch wenn er selbst kein Ayurveda-Spezialist war, brachte einst der italienische Psychologe Roberto Assagioli ganz klar auf den Punkt, was hier gemeint ist:
Ich habe einen Körper, aber ich bin nicht mein Körper.
Ich habe Gefühle, aber ich bin nicht meine Gefühle.
Ich habe einen Verstand, aber ich bin nicht mein Verstand.
Jeder weiß, dass seiner physischen Erscheinung eine geistige Struktur zu Grunde liegt, womit man denkt, spricht, schreibt und alle nur erdenklichen Objekte erschafft – kurz: alles was durch den Intellekt an Kreativem aus einem hervorgebracht wird. Doch auch Alltagshandlungen, führen wir aus mit Hilfe unseres Geistes. Ebenfalls unsere Atmung, unser Kreislauf und unsere Verdauung, hängen zusammen mit unseren Denkprozessen. Geist und Körper wirken gemeinsam in unserer Physiologie und sind doch unabhängig von unserem wahren Sein, das rein, das ewig ist.
Damit unser Denken die Körpervorgänge unterstützt und ihnen nicht entgegenwirkt, ist es wichtig, dass wir unsere Sinne zur Sammlung von Eindrücken und Informationen angemessen anwenden. Über unsere Sinnesorgane, strömen unserem Denken positive und negative Eindrücke zu. Eben so, wie auch unser Mund gesunde oder ungesunde Nahrung zu sich nehmen kann. Wer seinen Geist also überwiegend mit positiven, entspannenden und lebensbejahenden Eindrücken nährt, der wird mit seinem Körper entsprechende Handlungen vollziehen, beziehungsweise eine Lebenshaltung haben, die auch seiner Physiologie zu Gute kommt. Denn ein ständig belastender, stressfördernder Informationsfluss, wirkt sich indirekt auf unsere körperliche Befindlichkeit aus. Ich denke die meisten Menschen wissen das aus Erfahrung.
Geruch und Geschmack
Unser Geruchs- und Geschmackssinn wirkt direkt auf unseren Körper und hilft dem Verdauungsprozess. Drum sind wohlriechende und wohlschmeckende Speisen bevorzugt einzunehmen. Wieso? Unser Denken registriert, was wir zu uns nehmen und führt demgemäß unseren Körper dazu, besondere Verdauungsvorgänge anzustoßen und dabei wichtige Enzyme und Körpersäfte freizusetzen.
So dürfte es kaum verwundern, dass jemand der immer nur Nahrung sehr intensiven Geschmacks zu sich nimmt, oder auch zu viele Süßigkeiten isst, die Wahrnehmungsfähigkeit seines Geschmacks- und Geruchssinns beeinträchtigt. Die Sinne stumpfen dabei ab, was aber letztendlich dazu führt, dass Körperfunktionen nicht mehr entsprechend in Gang gesetzt werden können. Es fehlen einfach die entsprechenden Reizmechanismen.
Wer darum seine Sinne rein hält und Überreizung durch bestimmte Gerüche oder Geschmäcker (und auch visuelle Eindrücke) vermeidet, unterstützt Körper und Geist dabei gemeinsam effektiv zu arbeiten.
Die Seele im Ayurveda
Bevor der Mensch in einem physischen Körper auf die Welt kommt, so die Weisen des Ayurveda, existiert seine Seele bereits in einer feinstofflichen Form. Die alten Seher Indiens glaubten, dass wir in uns eine besondere, seelische Essenz tragen. Zwar nimmt sie immer wieder einen physischen, sterblichen Körper an, sie selbst aber bleibt unverändert und ist unsterblich.
Im Augenblick des Todes dringt die Seele aus dem Körper und verliert dabei all ihr Wünschen, ihre Ängste und ihr leidenschaftliches Verlangen. Die Seele lebt jetzt nicht mehr im Irrglauben, sie sei identisch mit jenem körperlichen Gewand, in das sie zu Lebzeiten eingeschlossen war. Mit dem Tod lösen sich alle Begierden vollkommen auf. Nicht zufällig berichten Menschen, die sogenannte Nah-Tod-Erfahrungen machten, dass sie sich außerhalb ihres »engen Körpers« befanden, sich frei und ungebunden fühlten.
Ayurvedische Grundprinzipien
Jeder Mensch ist einzigartig. Sein Körper ist ganz individuelle aus den fünf grundlegenden Elementen zusammengesetzt: Äther (Raum), Luft, Feuer, Wasser und Erde. Sicher sind diese Elemente den meisten Lesern bekannt, als die fünf alchemistischen Elemente. Aus ihnen bilden wir unser irdisches, körperliches Dasein. Je nach dem wie stark wir von einem oder mehreren dieser Elemente umgeben sind, wirken ihre Eigenschaften auf uns. Auch die aufgenommene Nahrung setzt sich aus diesen Elementen zusammen. Das selbe trifft zu auf das Wetter.
Im Zusammenwirken dieser Elemente, ergeben sich, gemäß ihrer Konzentration und Beschaffenheit, die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers.
Wir hatten Eingangs bereits hingewiesen auf die Kräfte der drei Doshas (Tridosha). Sie entstehen im Zusammenwirken dieser fünf Elemente:
- Das Vata-Dosha bildet sich aus Äther und Luft (siehe Abb. unten), denn Vata regiert die Prinzipien der Bewegung. Durch dieses Dosha werden die elektronischen Impulse durch Nerven geführt, durch Vata erfolgt die Atmung, wird der Kreislauf angeregt und die Ausscheidung angetrieben.
- Das Pitta-Dosha bilden Feuer und Wasser. Pitta beschreibt die Prozesse der Stoffwechsels (in Organen, Gewebe und Körperzellen) und der Umwandlungsvorgänge im Körper (zum Beispiel durch die Verdauung).
- Schließlich bilden Wasser und Erde das Kapha-dosha. Durch das Kapha erfolgt das Körperwachstum eines Menschen. Auch die natürlichen Schutzmechanismen des Körpers, hängen mit dem Wirken des Kapha-Dosha zusammen. So etwa schützt es den Fluss des Gehirnwassers im Kopf und im Rückgrat. Auch die Funktionen der Schleimhäute, werden durch die Wirkung des Kapha geschützt.
Aus Perspektive des Ayurveda nun, kann man die Herausforderungen, die uns unser biologisches Fahrzeug (Körper) durch Krankheiten oder bei Verletzungen stellt, mit dem Wissen über die Doshas behandeln. Je nach dem, welches der Doshas besonders ausgeprägt oder andererseits eher schwach ist, gibt es im Ayurveda besondere Empfehlungen. Das kann sich zum Beispiel ausdrücken in einer Ernährungsumstellung, die bewirkt, dass ein Mensch ein Dosha, das zum Beispiel besonders im Vordergrund steht, etwas abzuschwächen weiß.
Auch die Anwendung von Heilkräutern zu diesem oder anderen Zwecken, spielt im Ayurveda eine wichtige Rolle. Denn auch Pflanzen wirken auf die Beschaffenheit der Dosha-Zusammensetzung im Körper. Überwiegen andererseits Giftstoffe im Körper, können diese ausgetrieben werden, mit einer Methode die sich Pancha Karma nennt.
Das System der Dosha-Pentagramms und mit den Elementen und wie sie zusammen wirken (die verwendeten Farben haben keine Bedeutung und dienen lediglich der Darstellung).
Ayurveda als ganzheitliches Heilungs- und Weisheitssystem
Wie mehrfach erwähnt, ist im Ayurveda insbesondere wichtig, jeden Menschen als individuelles, lebendes Wesen zu betrachten. Im Westen ist diese medizinische Herangehensweise etwas ins Hintertreffen geraten. Der Grund dafür ist einfach: Zeitmangel – etwas, das mit der Industrialisierung zunahm. Eine individuelle Anamnese und Behandlung war also immer weniger möglich. Wahre Heilung ist aber nur möglich für einen, der auf einen Hilfesuchenden auch wirklich eingeht.
Heute scheinen Menschen wieder dazu bereit, mehr Zeit in das Wissen vom Wohlbefinden und die Pflege ihres Daseins zu investieren. Das bedeutet jedoch auch, dass man sich etwa mehr auf alternative Heilverfahren einstellt, wie etwa das Ayurveda.
Wenn im Ayurveda nun also nicht nur nach den Befindlichkeiten oder nach Beschwerden gefragt wird, ist die Herangehensweise eine ganz andere. Es ist insbesondere wichtig, dem Klienten Methoden und Erklärungen zu liefern, wie er sich selbst wieder gesund macht und ins Gleichgewicht bringt.