von Sophia Jilan
Jesus sprach: Ein Seliger ist der Löwe, den der Mensch isst, und der Löwe wird Mensch sein. Und verflucht ist der Mensch, den der Löwe frisst und der Löwe wird Mensch sein.
– Thomasevangelium, Logion 7
Die Sphinx ist ein Fabelwesen das selbst das Rätsel ist, das sie dem Menschen aufgibt. Obiges Jesus-Zitat aber, führt uns bereits näher an die Lösung dieses Rätsels. Einen weiteren wichtigen Hinweis finden wir im ersten Petrus-Brief, in dem es heißt:
Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge.
– 1. Petrus 5:8
In den Mysterien spielt der Löwe eine wichtige Rolle. Ihn assozierten die Alten als sexuelles Symbol der Begierden und Leidenschaften, der ein Unwissender der Welt ausgeliefert ist. Selig nun wird jener, der den Löwen aber überwältigt, ihn also selbst »gefressen« hat und ihm dadurch seiner zerstörerischen Kraft beraubt hat. So steht die Sphinx, die ja den Unterkörper eines Löwen, doch das Haupt eines Menschen hat, für diese Erhabenheit des Geistes über das Körperliche. Doch mehr noch: als man die Sphinx im ägyptischen Gizeh errichtete, schaute sie auf ihr eigenes Sternbild Löwe am Tag der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche – jenem Zeitpunkt in dem man Mysterien abhielt. Zudem aber hütete sie symbolisch die Mysterienfeiern zu Ehren der Göttin Isis, die in der Großen Pyramiden abgehalten wurden.
Thema der Einweihung
Geistige Kontrolle des Körperlichen, der Sieg des Geistes über das Triebhafte im Menschen: das waren zentrale Thema aller Einweihungsmysterien. Der Mensch wird als zweifaches Wesen dargestellt: Einerseits voller Leidenschaften und dem Drang sich selbst zu behaupten, andererseits als denkendes Wesen, das sich nicht auf die Erscheinungen der sinnlichen Welt richtet, sondern auf die Einswerdung mit dem Göttlichen. Damit ist aber nicht die Verleumdung des Sinnlichen gemeint, denn nur durch den Antrieb des Körpers, ist ja ein Leben auf Erden überhaupt möglich. Es ist eher die Rede von der Einheit von Geistigem und Körperlichem, wobei der Geist über den Körper herrscht, jedoch nicht umgekehrt.
Der Kopf der Sphinx ist also das leitende Prinzip, von dem aus die mächtigen Löwenkräfte gelenkt werden.
Drei Pyramiden
Aus diesem Grund steht die Sphinx vor den Pyramiden in Giza, denn sie bewacht diese vor dem Uneingeweihten. Die drei großen Pyramiden sind Symbole für die göttliche Trinität von Isis, Osiris und Horus. Die Mysterienweisheit soll an diejenigen Menschen weitergegeben werden, deren Geist rein und nicht eingetrübt ist, durch unkontrollierte, ausschweifende Handlungen. Diesen Menschen wird die Unsterblichkeit gegeben, denn sie sind nicht mit ihren Sinnen in der Welt des Wahrnehmbaren verhaftet.
Leben, Tod und Unsterblichkeit
Der griechische Schriftgelehrte Plutarch (1. Jahrhundert n. Chr.), der selbst Priester der Mysterienstätte im griechischen Delphi war, berichtete von einem Bildnis der Isis, auf dem geschrieben stand:
Ich bin alles, was war, ist und sein wird, und noch kein Sterblicher hat jemals mein Gewand gelüftet
Also nur das Unsterbliche im Menschen, vermag den Schleier der Isis zu lüften um die Wahrheit des Geistes zu erkennen. Dieses Geheimnis wird durch die zweite Karte im Einweihungsweg des Tarot durch den Archetypus der Hohepriesterin versinnbildlicht.
Die Göttin Isis – Illustration auf einer Tarot-Karte des Künstlers Josef Machynka.
Die Einweihung
Der Einzuweihende gelangt zur Essenz seines Wesens, wenn er sich seiner Aufgabe als Mensch wieder vergewissert hat. Dieses Selbstbewusstsein der Lebensaufgabe wird symbolisiert durch den Falkengott Horus, den Sohn von Isis und Osiris – er verkörpert das Licht in der Welt. Seine Gestalt taucht auch am Anfang des Neuen Testaments als Prinzip des lichtverkörperten Sohnes auf. Ähnlich dem Modell der Triaden im kabbalistischen Lebensbaum, gliedert sich auch die Neunheit der Götter von Heliopolis. Osiris wurde in die Welt gebracht durch die Vereinigung von Geb, dem Erdgott, und der Himmelsgöttin Nut, als der strebende Geist der Menschheit. Ähnlich dem griechischen Pantheon mit dem Göttervater Zeus und seinen fünf Geschwistern, so ist Osiris in der Götterwelt Heliopolis’ der Bruder von Isis, Nephtys und Seth.
Das Geschwisterehepaar Isis und Osiris stehen für das Gute, denn sie kamen am Tage auf die Welt. Nephtys und Seth wurden in der Nacht geboren und verkörpern damit die dunkle Seite der Welt.
Aus dieser göttlichen Hochzeit ging der Lichtgott Horus hervor.
Isis ist die Seele der Menschheit, das Empfangende Prinzip (Binah), welche durch den nach Selbstbewusstsein strebenden Geist (Chokmah), das zeugende Prinzip des Osiris geschwängert wurde.
Das Mysterium von Isis und Osiris
Einst vor langer Zeit herrschte Osiris als großer König über Ägypten. Er schätze die guten Dinge und liebte seine Frau Isis. Seid ihrer Kindheit gaben sich die beiden Schutz und Geborgenheit.
Währenddessen war Osiris’ Bruder Seth schon immer von Hass und Wut getrieben. Er wurde nicht geboren wie sein Bruder, sondern sprengte die Seite seiner Mutter, und viel vom Himmel auf die Erde. Seine Frau war die Nephthys, die Zwillingsschwester der Isis. Seth und Nephtys, das Götterpaar der Dunkelheit, verschworen sich gegen Osiris und Isis und sie begannen sich für sehr lange Zeit zu bekriegen. Doch eines Tages ging Nephtys ihrem Gatten mit seinem größten Widersacher Osiris fremd. Nephtys wurde schwanger und gebar den Anubis, der dann dereinst als Wächter zur Pforte zwischen der Welt der Lebenden und Toten wachen sollte.
Aus Eifersucht wegen des von Nephtys begangenen Ehebruchs, stellte Seth dem Osiris nach und brachte ihn hinterlistig zu Fall. Nachdem Seth die Maße des Osiris genommen hatte, fertigten er und seine 72 Komplizen einen Sarkophag an. Auf einem Gelage bot Seth scherzhaft demjenigen den Sarg als Geschenk, der genau in ihn hineinpasste. Also versuchten sich alle Gäste, doch keiner passte richtig hinein, bis auf Osiris. Er legte sich also tatsächlich in den Sarg und in diesem Moment schlug Seth den Deckel des Sarges zu und seine Mitverschwörer versiegelten ihn mit Blei. Daraufhin ließ Seth den Sarkophag in den Nil werfen. So schwamm Osiris, eingesperrt in seinem eigenen Sarg, des Nachts übers Meer.
Als Isis von der Schandtat erfuhr, machte sie sich auf die Suche nach Osiris. Klagend über den Verlust ihres Gatten irrte Isis verzweifelt umher. Doch schließlich wurde der Sarg in Kupna an Land getrieben, an einer Stelle wo eine große Akazie wuchs, der Baum des ewigen Lebens. Dort fand Isis den Sarg und brachte ihn an einen bestimmten Ort. Seth aber wusste wo sie sich aufhielt, verfolgte sie, fand den Sarg und zerstückelt die Leiche des Osiris in 14 Teile, die er dann über ganz Ägypten verteilte.
Die verwitwerte Isis wanderte in Trauer um die Welt und suchte mit Ihrer Schwester Nephtys alle Teile wieder zusammen. Sie konnten alle Stücke finden, bis auf den Phallus, denn diesen warf Seth in den Nil. Mit Magie bildete die Isis also einen anderen Phallus nach und setzte alle 14 Teile mit Hilfe des Gottes Thoth und des Anubis wieder zusammen, und damit wurde Osiris wieder belebt. Durch die Wiederauferstehung des Osiris entstand das Jenseits, und Isis war die Auserwählte, die es mit dem Diesseits verbinden sollte, während Osiris durch das Totengericht zum Herrscher über das Totenreich erklärt wurde.
Mit ihrem geliebten Osiris zeugte Isis dann ein Kind, welches die Schandtaten des Seth rächen sollte. Als Isis den Horus zur Welt brachte und dieser heranwuchs, erfuhr er, was mit seinem Vater geschehen war und verfiel in große Wut. Sein Vater kam zu ihm aus der Unterwelt und stärkte ihn für den Kampf gegen den Widersacher Seth.
Es kam also zu einem großen Krieg zwischen den Göttern. Dabei riss Seth dem Horus das linke Auge aus und nahm es an sich. Als Horus dann aber schließlich über ihn siegte, nahm er ihm das Auge wieder ab. Mit Hilfe des Thoth, wurde das Auge wieder geheilt und Horus setze es seinem Vater Osiris ein.
Seth wurde von Horus gefangen genommen, und seinem Vater Osiris gefesselt vor die Füße geworfen. Er brachte ihn dann triumphierend seiner Mutter Isis, die Seth aber nicht tötete, sondern wieder frei ließ. Sie wusste, dass auch die Sinnenwelt, verkörpert durch den finsteren Seth, ihre Berechtigung hat, nur aber durfte sie die geistige Welt nicht beherrschen, was durch das Licht des Horus vermieden wurde.
Die Mysterien im alten Ägypten, so sagen manche Gelehrte, sind der Ursprung der Mysterien überhaupt. Daher auch die vielen Verbindungen zur viel jüngeren christlichen Religion, wie wir zu Anfangs sehen konnten.