Wie kaum ein anderes Symbol beinhaltet das der Schlange einen ganz reichen Schatz an Bedeutungen, dessen Inhalte mindestens ebenso vielfältig sind wie die der Sonne. Auch wenn der deutsche Genus sowohl für Schlange und Sonne feminin ist, ist ein Großteil ihrer symbolischen Bedeutungen oft eher maskulin.
Wichtig bei der Betrachtung des Sinnbildes der Schlange sind da zuerst einmal ihre Struktur und ihre physiologischen Eigenschaften. Doch dieses Feld ihrer Bedeutungen erweitern natürlich die unzähligen Legenden und Mythen aus den religiösen und folkloristischen Überlieferungen aus West und Ost.
Die ihr zugeschriebenen symbolischen Eigenschaften differieren da; in manchen religiösen Traditionen steht der Begriff der Schlange mal für etwas Positives, ein andermal für etwas Negatives, so wie etwa als Schlange der Verführung im biblischen Buch Genesis. In anderen Kulturen hingegen verehrte man die Schlange als Fruchtbarkeitssymbol. Die nordamerikanischen Hopi etwa zelebrierten jedes Jahr den Schlangentanz, um die Vereinigung von Schlangenjüngling (einem Geist des Himmels) und Schlangenjungfer (einem Geist der Unterwelt) zu feiern. Damit erhoffte man sich eine Erneuerung der Fruchtbarkeit der Natur. Man hantierte dabei mit lebenden Schlangen, die nach dem Tanz auf den Feldern freigelassen wurden, um gute Ernten zu garantieren.
Als durchaus positiv empfand man das Bild der Schlange auch im alten Griechenland, wo man sie als Symbol für das Therapeutische verehrte, als Attribut des Asklepios, des Gottes der Heilkunst. Wenn wiederum der alt-griechische Gott Hermes sie auf Abbildungen als doppelt-gewundene Schlange um seinen Stab gewunden trägt, ist sie da ein Symbol für die geheime Verbindung der Gegensätze wie auch den Weg von einem Ort zum anderen und damit ein Symbol für die Überbringung von Nachrichten.
Auch in China ist die Schlange sowohl positiv wie auch negativ konnotiert, mal als Symbol für Schlauheit, doch gleichzeitig als Sinnbild für die List – was ja durchaus auch dem ähnelt, wofür die innere und äußere Bedeutung der Schlange in den semitischen Traditionen steht.
Ein Wesen der Unterwelt
Wichtige Symbole der Schlange stehen in Verbindung mit Sexualität, Verführung, mit dem Männlichen wie auch dem Unbewussten. Doch ebenso ist die Schlange ein Symbol der Erde (Erdboden, Gestein), denn darin lebt sie in ihren Höhlen, Gruben und Felsritzen. Insbesondere ihre Wohnstätten machen aus ihr ein Wesen, das symbolisch für das »Austreten aus dem Irdischen« steht. Letzteres korrespondiert darum auch mit dem, was Spiritualität bedeutet als eben eine Form geistiger Kräfte, die sich aus dem Materiellen der Erde »veräußern« (wie sie auch aus der Erdspalte aufstiegen, unter dem Tripod der Hohepriesterinnen der Schlange, im Orakel von Delphi). Als solche, taucht die Schlange (oder der Drachen) auch in Mythen und Märchen auf als Wesen, das die sagenhaften Schätze der Erde bewacht (insbesondere als im Erdgrund gediegen Gold).
Ein Bergen von Schätzen aus dem Erdreich geht einher auch mit Gefahren und Erdgewalten. Die damit verbundene Symbolik lässt sich aber ebenso übertragen auf das innere menschliche Sein, wo sich ja jeder – wenn er mit seinen inneren, verborgenen Kräften erstmals in Berührung kommt – mitunter in Acht nehmen muss, vor dort »lauernden« Eindrücken, die in sich mitunter gefährliche Ambivalenzen bergen.
Symbol sowohl des Bewussten, wie auch des Unbewussten
In ihrer körperlichen Gestalt stellt sie in ihren Formen aber wiederum sowohl Männliches (zur geraden Linie ausgestreckt) wie auch Weibliches dar (zum Kreis geschlossen, sich »in den eigenen Schwanz beißend« als Ouroboros). In ihrer Wellenform aber (quasi einer Mischung aus Linie und Kreis) bewegt sie sich fort und bildet damit die Gestalt des Vermittelnden, wie sie ja auch als solche ein Symbol des griechischen Götterboten Hermes ist.
Doch sie war in den griechischen Asklepios-Tempeln auch ein Wesen, dass dem Träumenden half, über sich und die inneren Aspekte des Seins zu erfahren und sich damit zu heilen.
Das besondere an der Körperform der Schlange ist, dass sie nur Kopf und Schwanz besitzt. Sie hat nur zwei Enden, womit sie deren Verbindung auch symbolisch darstellt, wo der Kopf für das Bewusste, der Schwanz für das Unbewusste steht, für die Kräfte der Heilung, die in den verbogenen Kräften des Seins ihrer Freisetzung harren.
Als Tier, dessen Bisse tödliche Wunden zu schlagen vermögen, ist sie aber auch ein Symbol für alles Abscheuerregende, Widerliche, Abstoßende. Als Wesen, das den Fluch Gottes repräsentiert, bezeichneten manche das Symbol der Schlange als Zeichen des Fürsten des Unglücks.
Der Ouroboros (alt-griechisch für »der Schwanzverzehrende«) ist ein seit dem Alten Ägypten belegtes Bildsymbol für die Ewigkeit.
Kosmische Weltenschlange
Wir hatten uns bereits das Symbol des Ouroboros angesehen: Die Schlange, die sich in ihren Schwanz beißend einen Ring bildet. Damit ist sie ein Sinnbild für die Gesamtheit der Existenz, für die Unendlichkeit und das Zyklische der Welt (im Mikrokosmos, wie auch im Makrokosmos). In ihrem Wesen versinnbildlicht sie das Lösen von Altem, so das sich Anderes, Gewünschtes, Ersehntes zu entbinden vermag (nämlich weiterzuleben), wo sie sich selbst doch immer wieder aus ihrer alten Haut windend von Neuem beginnt.
Der aus dem alten ägyptisch-griechischen Kulturkreis stammende Ouroboros galt den damaligen Menschen als Symbol für die Milchstraße, da in alten Texten die Rede von einer »Lichtschlange« ist, »die am Himmel wohnt«. Als solche assoziierten sie die Alten Ägypter mit der alten Schlangengottheit Wadjet.
Als solch »Schwanzfresser« umkreist sie in der alt-nordischen Mythologie auch das Midgard-Reptil, als Weltenschlange (auch als »Jörmungandr« bekannt) einen eigenen Kosmos im tiefen Grund des Ozeans.
Bei den Indern schlummert der Hindu-Gott Vishnu auf der siebenköpfigen Schlange Schescha. Auf ihr bewegt er sich über die Gewässer eines kosmischen Weltenozeans. Die ältesten Schriften der Hindus, die heiligen Puranas, beschreiben Scheschas Häupter, die die Planeten des Universums krönen, während sie unablässig aus all ihren Mündern singend den Ruhm Vishnus verkündet.
Als ein Wesen das Himmel und Milchstraße versinnbildlicht, begegnet man einem dem Ouroboros ähnliches Mythengeschöpf auch im präkolumbianischen Mittelamerika in Form des »Quetzalcoatl«.
Auch der westafrikanische Aidophedo, eine Götterschlange des Stammes der Ashanti, ist solch ein Wesen, das als sich selbst in den Schwanz beißend dargestellt wird.
Es scheint, als ob ohne dass damals offensichtlich ein kultureller Austausch bestanden hat (einen atlantischen Ursprung der Menschheitsgeschichte an dieser Stelle einmal außer Acht gelassen), man an verschiedenen Orten der Welt die Symbolform des Ouroboros in ähnlicher Weise verehrte.
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2 Kommentare
Die Doppelschlange, die den Menschen frißt und gebiert, wäre auch ein kräftiges Symbol für das, was hier läuft.
Ja, da schreiben Sie Rechtes. Unsere Zivilisation hat dringend eine “Verdauung” nötig, in der wir einen Transformationsprozess durch”leben” uns häuten wie das Reptil.