Wie wir im Gesagten zeigen wollten, scheint der Monomythos und der sich darin bewegende Held, ein universales Instrument zu bilden. Trotzdem kann es nicht als abschließendes, letztgültiges System bezeichnet werden, weshalb diese »Anleitung« in zwölf Schritten, auch kein Nonplusultra zur Findung des eigenen Glücks darstellt. Und das ist auch ganz recht.
Denn Campbells Werk, »Der Heros in Tausend Gestalten«, beziehungsweise das hier vorgestellte Modell Voglers, hatte wohl nie das Ziel Lösungsansätze zu liefern. Vielmehr sind die darin beschriebenen Schlüssel zum Monomythos, Angebote von Mitteln. Eigentlich aber wollen sie die Stationen im ewigen Lebenskreislauf derer veranschaulichen, die in der Menschheitsgeschichte als Gesandte, Propheten oder anders geartete Heldengestalten auftraten, im Dienste an der Menschheit, in ihrer Rolle als perfekte Vorbilder.
In dieser Funktion als Mittler, zwischen Himmlisch-Göttlichem und der Menschheit, erfüllten diese Schlüsselpersonen ihr Werk auf Erden im Übergeben besonderer Weisheiten. Was sie aber weitergaben, dürfte den Einzelnen, je nach kulturellem Standpunkt, immer wieder in anderer Gestalt erschienen sein, woraus sich viele Deutungsmöglichkeiten ergaben.
Als Folge dessen führen sie nicht unbedingt zu direkter Welterkenntnis, als sie eher dem Erleben eines Gruppentraumes gleichen, der jedoch keineswegs nur Illusion ist.
Da fragt sich womöglich, wie sich die in diesen Mythen anklingenden Weisheiten, in ihrer Funktion dem einzelnen Menschen heute erkenntlich zeigen?
Bei der Suche nach der Antwort auf diese Frage, wäre zuerst einmal wichtig anzuerkennen, dass der Monomythos dem Einzelnen schon deshalb nicht als Universalsystem dienen kann, da er immer nur als Teil einer Gemeinschaft seine gesellschaftliche Rolle einnehmen und dabei auch den Weg zu seiner Lebensaufgabe finden muss. Darum gelingt auch der zuvor geschilderte Wegweiser, der auf dem Heldenmythos basiert, immer dann, wenn diese Funktion des Einzelnen in der Gruppe herausgearbeitet wird. Die Rollen, die das Individuum in den Stationen der Heldenreise annimmt, lassen sich in ihm nicht alle vereinigen. Vielmehr geht es darum einen Weg zu finden, der einen Menschen in die Gemeinschaft integriert, als wesentlichen Teil der Mitmenschen seines Umfeldes.
Darum existiert die Totalität, des Menschen Fülle, nicht im einzelnen Mitglied, sondern im Gesamtkörper der Gesellschaft. Das Individuum kann nur eines ihrer Organe sein. Aus der Gruppe der er (der Mensch) zugehört leitet er die Techniken ab, mit denen er sein Leben meistert, die Sprache in der er denkt, die Ideen die ihn Erfolg haben lassen […]
Wenn er glaubt sich davon trennen zu können, gleich ob in Taten oder in Denken und Fühlen, untergräbt er nur seine eigene Existenz.
– Aus Joseph Campbells »Der Heros in Tausend Gestalten«
Die Gruppe bildet wie es scheint also die unsterbliche Einheit eines universal lebendigen Leibes, worin Individuen immer wieder eben ihre Rolle in der Gemeinschaft erfüllen, doch daraus irgendwann auch wieder verschwinden – ein Vorgang der sich immer und immer wiederholt, und das seit Menschen auf Erden leben.
Erkennt man sich selbst in dieser Rolle, mag es recht hart erscheinen und die Frage aufkommen, wieso man dann überhaupt zu etwas beiträgt, woraus man dereinst ja selbst in die Nebel der Geschichte schlichter Bedeutungslosigkeit entschwindet.
Menschliches Sein war eben schon immer etwas, das mit der Erfüllung dieser Rolle in der Gemeinschaft zu tun hatte. Dabei war ganz gleich welchen Zweck man darin nun erfüllte. Es ist unbedeutend ob das Individuum als Handwerker, Kaufmann, Putzfrau, Dieb, Pfarrer, Politiker, Künstler, Mutter, Arzt, Gattin oder Nonne in der Gesellschaft lebte.
Die Unterschiede des Geschlechts, Alters und Berufs sind unserem Wesen äußerlich, bloße Kostüme, die wir auf der Weltbühne für eine Zeit anlegen, die aber nicht mit der Idee des Menschseins verwechselt werden dürfen.
– Aus Joseph Campbells »Der Heros in Tausend Gestalten«
Jeder Mensch nämlich erfüllt seine Lebensaufgabe – einer geschickt, ein anderer weniger glücklich. In allen Riten der Völker aber, wo man die Mitglieder in die Bräuche und Mysterien der Gemeinschaft einweiht, gemeinsam die Feste des Jahreslaufs begeht, wo man sie in den Übergangsriten ins Erwachsensein begleitet, sie zeremoniell verheiratet oder dann eben irgendwann bestattet: immer und in jeder Hinsicht, weisen diese Riten hin auf eine ureigene Einheit von Individuum und Gemeinschaft.
Darin aber befindet sich die Menschenseele als Ebenbild des Kosmos, die im Gebäude eines Miteinanders, auf eine eigentlich metaphysische Harmonie des Individuums im Kosmos verweist. Alle die sich darin auf dem Weg der Heldenreise bewegen, wenn auch zeitweise im Verborgenen, können schließlich zur Vollendung ihrer eigenen Glückseligkeit finden.
Jene aber, die als Asketen, Yogis oder als Einsiedler leben, vermögen durch besondere Praktiken und kontinuierliche Meditation, aus ihrer gesellschaftlichen Rolle den eigentlichen Kern des individuellen Bewusstseins quasi herauszulösen. Da geht es eben nicht mehr um eine Identifikation, sondern wie es einmal der italienische Psychologe Roberto Assagioli nannte, um eine Desidentifikation, die einer in seinem Meditieren allmählich erlangt, wo er Schicht um Schicht seines gesellschaftlich angenommenen Kostüms ablegt, um dabei die wahre Tiefe seines Selbst zu erkennen.
Es wäre jedoch vermessen zu glauben, dass das das Ziel des Leben sei. Beides will da ja vollendet sein: das Leben im Außen der Gemeinschaft und die Erkenntnis, die einer in zurückgezogenem Innewerden gewinnt.
In der heutigen, durch und durch digitalisierten Welt unserer Zivilisation im Westen, sollte man sich jedoch in Acht nehmen, sich mal eben zu vergleichen mit jenen, hier angedeuteten, in Klausur zurückgezogen lebenden Asketen. Denn keineswegs sind das Menschen, die vor dem Einschlafen noch nach neuen Emails oder Kommentaren in den sozialen Medien sehen.
Teil der Gemeinschaft ist man ebenso wenig, wenn man den größten Teil seines Umgangs mit anderen, meist über die eben genannten Kommunikationsmedien hat. Und genau da liegt der entscheidende Punkt: Unsere regelrechte Überindividualisierung, durch jene so häufig und zu stark aufgewertete Freiheit der Wahl, führt weg davon, worauf wir uns zuvor bezogen und was sich mit dieser Frage zusammenfassen lässt:
Welche Rolle die mich mit Glück erfüllt, spiele ich in der Gemeinschaft, und mit welchem Nutzen trage ich hiermit zum Leben aller bei?
Sicher bietet das, was man heute umgangssprachlich einfach »Das Netz« nennt, eine Vielzahl an Möglichkeiten, um sich mit anderen Menschen zu verbinden und Anschluss zu finden. Doch das geht nur, indem man auch in Wirklichkeit, physischen Umgang pflegt. Nur in lebendiger, direkter Gemeinschaft lässt sich Individualität so leben, das sich daraus auch das eigene, wahre Glück verwirklicht.