Der Legende nach gab man den Leib Christi in die Obhut zweier Männer, auf die in den Evangelien nur kurz hingewiesen wird: Nikodemus und Joseph von Arimathäa. Zwar zählten die beiden Frommen nicht zu den zwölf Aposteln, doch auserkoren waren sie zu Hütern der heiligen Überreste ihres Herrn.
Joseph von Arimathäa sollte zu einem der eingeweihten Brüder werden und erster »Bischof der Christenheit«. In seine Obhut gab man die Symbole des heiligen Bundes: Einen immer vollen Kelch des Lebens und einen »blutenden«, wundheilenden Speer. Damit wurde er zum Hüter dieser heiligen Reliquien Christi und man vertraute ihm dadurch die geheime Macht des Glaubens an. So sollte sich um Joseph von Arimathäa dereinst die »Geheime Kirche des Heiligen Grals« gründen.
Von der Fahrt des Grals
Die apokryphen Acta Pilati aus dem 5. Jahrhundert berichten über die Verhaftung Josephs von Arimathäa. Als nämlich der Leichnam Jesu nach seiner Auferstehung aus dem Grab verschwunden war, verurteilte man Joseph, wegen Grabraubs zu 40 Jahren Kerkerhaft. Dort im Gefängnis jedoch erschien ihm der Christus, übergab ihm den Kelch des Letzten Abendmahls Jesu und bestimmte ihn zu seinem Hüter. Allein durch die Kraft des Kelches überlebte der heilige Joseph seine Haft im Kerker. Jeden Tag flog eine Taube zu ihm und legte ein Stück Brot darauf.
Später soll ihn der Heilige Apostel Philipp dazu aufgefordert haben, mit ihm und zwölf Missionaren Palästina zu verlassen, um jene beiden heiligen Reliquien nach England zu bringen.
Nach vielen Entbehrungen erreichten schließlich der heilige Joseph, der Apostel und die Missionare die südenglische Stadt Glastonbury, von der manche glauben, dass sie auf dem Boden der einst sagenhaften Insel »Avalon« gegründet wurde (durchaus war diese Region in der südenglischen Somerset Grafschaft immer ein Marschland gewesen, wo der größte Hügel dort – der »Glastonbury Tor« – einst ein von Wasser umgebenes Eiland bildete).
In Glastonbury nun erhielt Joseph einen Platz zugewiesen, um dort den Bau einer Klosterkirche zu leiten: Die Abtei zu Glastonbury entstand. Am Tag seiner Ankunft dort, rammte er seinen hölzernen Stab in die Erde auf dem Wearyall Hill. Dieser schlug dort tatsächlich Wurzeln und wuchs zu einem schönen Weißdornbaum heran. Über zweitausend Jahre sollte er dort zweimal im Jahr blühen. Man nannte ihn den »Glastonbury Thorn« (deutsch: Dorn von Glastonbury). So also gründete Joseph dort die erste christliche Gemeinde Europas.
Wann Joseph von Arimathäa starb, weiß niemand. Einige glauben, dass er wie Henoch entrückt wurde, andere, dass man ihn in der Abtei zu Glastonbury beigesetzt hatte. Immer wieder begaben sich Menschen auf die Suche nach diesem Heiligen Gral, von dem manche glauben, er sei in einer Krypta unter der alten Abtei, gemeinsam mit dem Leichnahm Josephs von Arimathäa verborgen.
Die heilende Kraft des Grals
Wo und wann der Ursprung des Gralsmythos seinen Anfang nimmt, ist heute nur schwer fassbar. Man findet aber zu Ausgangspunkten in der Volkskunde der Inseln Großbritanniens und Irlands. Darin stößt man auf viele Legenden über magische Kessel, Becher, Trinkhörner und Kelche. Manche davon beschreiben das Gefäß, als einen Kessel der niemanden, der aus ihm trank, je sich von ihm entfernen will, da er ihm auf allen Ebenen des Seins größte Zufriedenheit und Erfüllung spendet. Sein Inhalt sei unerschöpflich und jene, die ihn bedienen, leiden niemals Hunger noch Durst.
Auf solch wundersames Trinkgefäß verweist auch eine aus dem 15. Jahrhundert stammende literarische Komposition verschiedener Erzählungen aus der altfranzösischen und mittelenglischen Artus-Epik: »Le Morte d’Arthur« (deutsch: Der Tod König des Artus) zusammengestellt von dem englischen Ritter Sir Thomas Malory (1405-1471). An etlichen Stellen ließt man darin vom »Sangreal«, einem Wunderkelch der Hunger stillt und Wunden heilt, womit sich Sir Malory an anderer Stelle des Werks auf den Heiligen Gral bezieht.
Und so kam eine weiße Taube herein, und sie trug ein kleines goldenes Gefäß in ihrem Mund, und es gab allerlei Speisen und Getränke; und eine Maid trug den Sangreal […] Und dann knieten sie nieder und hielten ihre Andacht, und es war ein solcher Duft, als ob alle Gewürze der Welt dort gewesen wären. Und als die Taube ihren Flug antrat, verschwand die Jungfrau mit dem Sangreal, wie sie gekommen war.
[…]
So zog das heilige Gefäß des Sangreal mit allerlei Süße und Wohlgeruch vorüber; aber sie konnten nicht ohne weiteres sehen, wer das Gefäß trug, aber Sir Parzival warf einen flüchtigen Blick auf das Gefäß und auf das Mädchen, das es trug, denn er war ein vollkommen reines Mädchen; und sogleich waren sie beide so gesund und munter, wie sie es je in ihrem Leben waren
– Aus Le Morte d’Arthur, in Kapiteln 4 und 14
Der französische Name Sangreal steht für das »Blut des Königs«. Andere bringen mit dem Namen in Verbindung »Le Saing-Réal«, das »wahrhaftige Blut«, was sicherlich beides Anspielungen sind auf das Blut Christi (vergleiche Lukas 22:20).
Im Versroman »Parzival«, des deutschen Ritters Wolfram von Eschenbach (1160-1220), wird beschrieben, dass ein Mensch, ganz gleich wie schwer krank er auch sein mag, mit dem Anblick dieses Kelches geheilt sei, ja nicht einmal mehr sterben könne, sofern er ihn innerhalb acht Tagen wieder anblickt.
Als Gefäß fließender Lebenskraft, bildet der Gral also eine unerschöpfliche Quelle des Heils und eines natürlichen Lebens.
Zumal man aber Erwähnungen eines solchen heiligenden und heilenden Gefäßes auch in antiken Kulten Erwähnung findet, wäre es unangebracht die Gralssymbolik allein im christlichen Kontext zu betrachten. Solch heilige Kelche nämlich gibt es auch in den alt-griechischen Mythen um den Gott Dionysos oder Bakchos, der als Bacchus im alten Rom die Gottheit des Weines und der Ekstase personifizierte. Als Dionysos, durch die Bedeutung seines Namens, aber ebenso wie der Christus einen »Zweimalgeborenen« meint.
Halb Mensch, halb Dämon
In der Legende um den sagenhaften König Artus von England, begegnen wir einem rätselhaften Magier, über dessen Geburt man eine geheimnisvolle Legende erzählt: Als Gott den Christus Jesus gesandt hatte, um die Welt von der Knechtschaft des Bösen zu befreien, da beschloss der Widersacher, einen Antichristen zu schicken. Er sollte die Arbeit des Messias wieder zunichte machen. Da überschattete der Teufel in Gestalt eines schrecklichen Drachens, eine Jungfrau. Dieser Drachen hatte alle in ihrer Familie getötet, und spähte nun aus, auch nach ihr. Da flüchtete sie sich in ein Heiligtum, um dem Bösen zu entkommen.
Eines Tages aber brachte die junge Frau ein Kind zur Welt, dem sie den Namen »Merlin« gab. Er nahm von seiner Mutter menschliche Eigenschaften an, doch auch jene seines dämonischen Vaters. Merlin jedoch diente nicht den Mächten der Finsternis. Vielmehr hatte er sich dem Licht der Wahrheit zugekehrt, auch wenn er über zwei magische Stärken verfügte, die ihm sein Vater vererbt hatte: Die Macht der Prophezeiung und das Vermögen zur Wundertätigkeit.
Diese Geschichte über Merlins höllischen Vater, muss eigentlich allegorisch verstanden werden. Es ist nämlich eine Anspielung auf die Tatsache, dass er als »philosophischer Sohn« der Schlange (oder des Drachen) zur Welt kam – ein Titel, der auf alle Eingeweihten der Mysterien angewandt wird. Sie nämlich erkennen die Natur ihrer sterblichen Mutter an, so wie auch das, was man ihnen gab als die Weisheit ihres unsterblichen Vaters, symbolisiert in der Form eines sakralen Reptils. Was wir nämlich aus dem Buch Genesis erfahren, dass auch im Garten Eden eine Schlange die Kost vom Baum der Erkenntnis nahelegte, ist durchaus eine Tatsache, die bei anderer Auslegung überhaupt nicht allein mit den Mächten des Bösen verwechselt werden darf.
Ein himmlisches Schwert
Dieser Magier Merlin nun, war Ziehvater des kleinen Artus, den man ihm als Säugling in die Obhut übergab. In seiner Jugend bereits weihte ihn Merlin ein in die Geheimlehren der natürlichen Magie. Mit Hilfe Merlins sollte Artus zum führenden Ritter von Britannien aufsteigen: Einer dem Königtum ebenbürtigen Würde. Nachdem Artus ein Schwert aus einem Amboss gezogen hatte (andere sagen, er zog es aus einem Felsen), und auf dieser Tat seinen göttlichen Führungsanspruch gründete, half ihm Merlin dabei, von der sogenannten »Herrin vom See« das heilige Excalibur zu erlangen – ein Schwert, verfertigt aus dem Metall eines Meteors (»Himmelseisen«), dem magische und wundertätige Kräfte zugeschrieben wurden.
Eines Tages dann, sollte Artus einen auserkorenen Kreis zwölf edler Ritter um sich scharen, aus denen sich die sagenhafte Tafelrunde gründete. Nachdem Merlin dem Artus bei alle dem geholfen und seine Pflicht erfüllt hatte, verschwand er für immer. Einer Erzählung zufolge, entwich er in die Luft, wo er noch immer als Schatten existiert und nach Belieben mit den Sterblichen zu kommunizieren vermag. Einer anderen Legende nach, zog er sich aus eigenem Antrieb in ein großes steinernes Gewölbe zurück, das er jedoch von innen her verschlossen hatte – von dem wiederum einige behaupten, Nimue, die Herrin vom See (eine der avalonischen Priesterinnen) hätte ihn damit gefangen genommen.
Vier Ebenen der Zwölfheit: Ein Symbol für den Gral?
Astrale Aspekte der arthurischen Tafelrunde
Es ist ziemlich sicher, dass man Legenden über Karl den Großen später mit Artus in Verbindung brachte. Gemeinsam mit ihm steht er in einer Linie idealen Rittertums, wie das Anfang des 14. Jahrhunderts der lothringische Dichter Jacques de Longuyon, in einem Versepos festlegte. Er nämlich verband die Ahnenlinien jener Ritter der Tafelrunde Artus’, mit Heldenfihuren der heidnischen (Hektor von Troja, Alexander dem Großen, Julius Caesar) und jüdischen Antike (Judas Makkabäus, König David, Prophet Joschua).
Welchen Zeremonien und Einweihungsritualen die Ritter der Tafelrunde unterzogen wurden jedoch, darüber gibt es keine verlässlichen Quellen. Legenden nach soll jener runde Tisch, mit sagenhaften Fähigkeiten ausgestattet gewesen sein: Er vermochte sich auszudehnen und zusammenzuziehen, und je nach Bedarf fünfzehn oder fünfzehnhundert Personen um sich herum Platz bieten. Gängige Überlieferungen sprechen über die Anzahl der Ritter der Tafelrunde, von zwölf, andere von vierundzwanzig. Als Zwölf aber halten Manche einen magischen Einfluss der zwölf Tierkreiszeichen für möglich, die manche christliche Esoteriker ja auch in Verbindung bringen mit den zwölf Aposteln Jesu. Auch waren es zwölf Missionare die mit Joseph von Arimathäa nach England kamen.
Die Namen der Ritter und ihre Wappen waren auf den Stühlen abgebildet. Saßen nun vierundzwanzig an der Tafel, so Stand jedes der zwölf Tierkreiszeichen über ihm in je einem seiner zwei Aspekte geteilt: einem lichten und einem dunklen, um damit die nächtlichen und täglichen Phasen eines jeden Zeichens zu kennzeichnen.
Da jedes Tierkreiszeichen jeden Tag zwei Stunden lang aufsteigt, lassen sich die vierundzwanzig Ritter mit den Stunden des Tages assoziieren, wie auch mit den vierundzwanzig Ältesten, die in der Offenbarung des Johannes vor dem Thron Gottes warten. Oder aber gibt es vierundzwanzig Gottheiten aus dem Alten Persien, die die Geister der Tagesabschnitte repräsentierten. Im Zentrum des Tisches befand sich ein Symbol der Rose: Sinnbild der Passion Christi und für seine Auferstehung von den Toten.
Auch soll da an diesem runden Tisch, sich ein geheimnisvoller leerer Platz befunden haben. Den nannte man den »Gefährlichen Sitzplatz«. Auf Anweisung Merlins, musste dieser Platz leer bleiben. Niemand durfte sich dort setzen, außer jenem, der eines Tages kommen und erfolgreich die Suche nach dem Heiligen Gral abschließen würde: Parzival.
Die Geheimbruderschaft der Artus-Runde
In der Erscheinung König Artus’ findet sich eine in der Geschichte der Mythen immer wiederkehrende kosmische Symbolik. Als Herrscher von Britannien repräsentiert er ein durch die Sonne symbolisiertes sakrales Königtum. In seinen Rittern aber verkörpert sich die Kraft des Tierkreises. Sein glänzendes Schwert Excalibur aber ist Sinnbild für den hellen Sonnenstrahl, mit dem Artus die Drachen der Finsternis besiegt. Artus’ Tafelrunde versinnbildlicht auf diese Weise also das Universum, der gefährliche Sitzplatz aber ist der Thron des Menschen, der auf der Suche nach dem Gral seine Vollkommenheit fand.
König Artus stand im Zentrum der Ritter der Tafelrunde, als Großmeister einer geheimen christlich-mystischen Bruderschaft. Fragte man sie aber danach was sie sind, wohl hätten sie geantwortet »Ritter« zu sein. Die erhabene Position des Großmeisters dieser Ritter, erhielt Artus deshalb, weil er den Rückzug des Schwertes (seines Geistes) vom Amboss der unedlen Metalle (seiner niederen Natur) getreu vollzogen hatte.
Schon so oft aber, wurde auch der historische Artus mit den Mythen seines Ordens verwechselt, bis die beiden untrennbar miteinander verschmolzen. Mit dem anscheinenden Tod König Artus’, in der Schlacht von Camlann, endeten auch seine Mysterien.
In seinem Le Morte d’Arthur erzählt Malory von der geheimen Entrückung König Artus’ nach Avalon:
Und als sie am Wasser waren, fuhr ein kleiner Kahn mit vielen schönen Frauen am Ufer, und unter ihnen war eine Königin, und sie hatten alle schwarze Kapuzen, und sie weinten und schrien, als sie König Artus sahen. Nun setzt mich in den Kahn, sagte der König. Da empfingen ihn drei Königinnen in großer Trauer, und sie setzten sie nieder, und in einen ihrer Schöße legte König Artus sein Haupt. Und diese Königin (Morgan le Fay) sagte: Ach, lieber Bruder, warum seid ihr so lange von mir weggeblieben? leider hat die Wunde an eurem Kopf zu viel Kälte abbekommen. Und so ruderten sie vom Land weg, und Sir Bedivere sah, wie all diese Frauen von ihm gingen. Da rief Sir Bedivere: Ach, mein Herr Artus, was soll aus mir werden, jetzt wo ihr von mir geht und mich hier allein unter meinen Feinden zurücklasst? Tröste dich, sprach der König, und tue, was du kannst, denn auf mich ist kein Verlass; denn ich will in das Tal von Avilion (Avalon), um mich von meiner schmerzlichen Wunde zu heilen; und wenn du nie mehr von mir hörst, so bete für meine Seele.
Auch das große Schwert Excalibur, so Malory, wurde von dem edlen Ritter Sir Bedivere in die Wasser der Ewigkeit zurückgeworfen, was als Symbol gesehen werden kann für den Niedergang der kosmischen Nacht, am Ende des Tages universeller Manifestation.
Der Leichnam des historischen Artus wurde wahrscheinlich im Garten der Abtei zu Glastonbury beigesetzt, dem Gebäude, das eben ganz eng mit den mystischen Riten des Heiligen Grals, sowie des Artus-Zyklus verbunden ist.
Ziemlich sicher waren Rosenkreuzer-Bruderschaften der Vergangenheit im Besitz des wahren Geheimnisses des Artus-Zyklus und der Gralslegende (wo etwa zu nennen wären zwei französische Orden »L’Ordre de la Rose+Croix Esthétique du Temple et du Graal« oder »L’Ordre de la Rose Croix Catholique et Esthetique, du Temple et du Graal«).
Aber selbst wenn die Gralslegende von manchen Einweihungs-Orden, als offensichtlicher Schlüssel des westlichen Christus-Geheimnisses erkannt wurde, kennen sie heute die meisten Menschen – wenn überhaupt – leider nur aus Darstellungen moderner Popularliteratur.