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Der Aufstieg der Seele zur Verschmelzung mit dem Einen

Plotin (205-270) war ein Philosoph der hellenistischen Tradition, der seine Ausbildung im ägyptischen Alexandria erfuhr, als Schüler des autodidaktischen Philosophen Ammonius Saccas (†243). Er verstand sich als Platoniker, als solcher er auch bis ans Ende seines Lebens lehrte.

Plotin betrachtete sich also nicht als Verkünder einer neuen Wahrheit, sondern leitete seine bis dato ungenannten Darlegungen konsequent aus den Lehren Platons ab. Sein in diesem Zusammenhang entstandenes Werk aber begann man erst ab Anfang des 19. Jahrhundert als »Neuplatonismus« zu bezeichnen, um damit explizit auf Plotins Philosophie zu verweisen und ihn gleichzeitig von älteren Auslegung der Schriften Platons abzugrenzen.

Plotins Abhandlungen inspirierten die Denker bereits seit der Spätantike. Besonders dann im Mittelalter bis in die Renaissance hinein befanden sich unter den Lesern seiner Schriften Metaphysiker aus Kreisen des sogenannten »Heidentums«, doch zählten zu seinen Rezipienten auch Juden, Christen, Gnostiker und Muslime. Von ihm definierte philosophisch-religiöse Grundkonzepte beeinflussten die gängigen theologischen Vorstellungen innerhalb solcher religiöser Gemeinschaften.

Über das Wesen des Einen

Seine zwischen 253 bis 269 n. Chr. entstandenen »Enneaden« (griech. für »Neunheit«), einer aus sechs Büchern bestehenden Textsammlung, woraus sich jede aus jeweils neun themengleichen Abhandlungen (Kapiteln) zusammensetzt, enthält Betrachtungen woraus wir im Folgenden jene besprechen wollen, die sich mit dem Weg der Seele befassen, das heißt dem, was Platon die Seelenwanderung nannte. In den Enneaden beschreibt Plotin das Eine (griech. »To Hen«) als »Überseiendes« und weist dabei ganz klar auf dessen eigentliche Unerkennbarkeit hin, da sein Name lediglich auf einen alles Sein transzendierenden, absoluten Urgrund hindeutet.

Es gibt endlos viel Seiendes (griech. »To On«), das jeweils Werden und Vergehen bestimmt und erkannt werden kann. Das Eine indessen bleibt an sich unerkennbar, lässt sich jedoch über sein Wirken im Seienden als existent identifizieren. Doch es wirkt gleichzeitig auch jenseits des Seienden wie auch jenseits allen Vernünftigen. Gleichzeitig aber heißt das auch nicht, dass das Eine im Widerspruch zum Sein steht, denn es ist ebenso wenig das Nicht-Seiende. Vielmehr transzendiert das Eine sowohl das Sein als auch das Nichtsein. Es lässt sich auch nicht als das Un-Vernünftige erkennen, sondern bildet hingegen ein über-vernünftiges Gutes, das von Gott kommend in allem wirksam ist und damit sowohl eine Einheitlichkeit im Kleinsten ist, wie auch in der Einheit des gesamten Alls.

Aus dem Einen ist Alles hervorgegangen; doch dabei ist nicht Alles in ihm. Denn wäre Alles in ihm, dann setzte sich das Eine aus der Vielheit von Allem zusammen und wäre damit ja geteilt, und somit dann auch nicht mehr das Eine. Plotin beschrieb das Eine daher als Überfülle, aus der Alles hervorgegangen ist, das heißt: Die Gesamtheit aller Dinge ist nicht das Selbe wie das Eine, aber Alles ist auch nicht losgelöst von dem Einen. Gewiss steckt hinter dieser Vorstellung vom Einen und dem Sein eine gewisse Paradoxie, was damit aber dennoch auf die Einzigartigkeit und Unerkennbarkeit des Einen hinweist.

Das rein Geistige

Während das Eine für sich selbst weder Positives noch Negatives ist, erscheint es aber in Hinsicht des hierarchisch direkt unter ihm liegenden Anderen, des rein Geistigen (griech. »Nous«), doch als gut, da es ein Höchstmaß an Vollkommenheit aufweist. Denn die Überfülle des Einen ergießt sich in das rein Geistige, das göttlich ist, und bildet damit ein Abbild des Einen. Doch es ist gleichzeitig auch nicht göttlich, weil ja auch der Geist, wie das Eine, in seinem Überfluss etwas hervorzubringen vermag, ohne aber dabei das Eine selbst sein zu können. In diesem rein Geistigen nun ist dabei der gesamte Kosmos (griech. »Kosmos Noetos«) abgebildet:

  • Der übersinnliche Kosmos, entstanden aus der Ebenbildlichkeit mit dem Einen und
  • der sinnliche Kosmos, entstanden als eigenes Produkt des Geistigen.

Zwar ist das rein Geistige seinem Wesen nach einheitlich, doch da es eine Vielzahl von Ideen umfasst, ist es zugleich eine Vielheit. Und es sind diese Ideen, welchen das eigentliche Sein zukommt, was den Nous, zugleich die Gesamtheit aller wirklich seienden Dinge sein lässt.

Die Seele

Als ein Erzeugnis des rein Geistigen nun entstand die Seele (griech. »Psyche«, ursprünglich den Atem bezeichnend). Zwar ist die Seele göttlich, weil sie über den reinen Geist aus dem Einen hervorgegangen ist, aber ist sie darum keineswegs mit dem Einen identisch, da aus ihr sich ja das Körperliche ergeben sollte. Wenn Plotin den Begriff der Seele in diesem Zusammenhang verwendet, meint er damit gleichzeitig das, was allgemein als die Weltseele bezeichnet wird, doch ebenso auch die individuellen Seelen der auf Erden inkarnierten Geschöpfe.

Er unterschied da nun drei Arten des Seelischen:

  • Eine intellektuelle Seele, das heißt, ein göttliches Leben.
  • Eine vernunftbegabte Seele, die das menschliche Leben bezeichnet, da sie über einen sterblichen und irdischen Leib verfügt.
  • Eine nicht-denkende, vernunftlose Seele, in der Tiere und Pflanzen leben (wobei hiermit natürlich keine Wertung sondern eine Eigenschaft beschrieben werden soll).

Doch waren diese wiederum Bestandteile der universalen »Gesamtseele« (griech. »He Hole Psyche«), die einerseits einer Weltseele entspricht, andererseits aber auch als Legionen der Seelen der Sterne, wie auch der irdischen Lebewesen. Und so wie die Weltseele den gesamten Kosmos belebt, entsprechend die Einzelseele den Körper mit dem sie verbunden ist.

Die Materie

Alles das in physischer Form im Kosmos existiert, das heißt also, alles Greifbare, Materielle, ist vergänglich. Plotin unterschied dabei jedoch zwischen zwei Arten von Materie (griech. »Hyle«):

  • Der »Ersten Materie«, die allem physisch Seiendem zugrunde liegt, und
  • der »Zweiten Materie«, die sich in den Formen physischer Körper verdichtet hat.

Für ihn glich die Erste Materie einem geistigen Prinzip, das heißt, nur durch den Intellekt, doch nicht durch die sinnliche Wahrnehmung erkennbar. Er meinte damit also eine Materie, die nur durch den Geist »begreifbar« ist. Sie stammt aus einer Welt der Ideen, als rein-geistiges Prinzip, das bereits auf der Ebene der Formen und des Geistes vorhanden ist und damit allem Gegenständlichen in Form von Ideen zugrunde liegt.

Auf der Erde nun entsteht daraus die zweite Materie, in Form von Abbildern der Ideen der ersten »geistigen Materie«. Der Seele aber erscheinen diese irdischen, körperlich-greifbaren Formen verlockend, da sie sie an ihre Heimat erinnert: Die geistige Welt. Im Gegensatz zu den zeitlosen Ideen, aus denen sich die Seele auf Erden verkörpert, ist diese Materie, als Abbild geistiger Urbilder aber unvollkommen und vergänglich.

Der Mensch

Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich das von Plotin entwickelte Bild eines dreigliedrigen Menschen, der sich zusammensetzt aus:

  • dem Geistigen (Nous),
  • der Seele (Psyche) und
  • der Materie (Hyle).

In Kreisen spirituell interessierter Menschen gelten heute diese drei Elemente als Grundlage menschlichen Seins. Allerdings verbirgt sich die menschliche Seele gemäß neuplatonischer Lehre nicht im Leib, sondern erstreckt sich in die Welt des Geistigen, von wo aus aber ein Teil an den menschlichen Körper gebunden ist. Darum auch ist es der Seele möglich wahrzunehmen, ohne dabei abhängig zu sein von den Eindrücken, die sie über die Sinnesorgane des Körpers erhält. In Verbindung mit dem Geistigen (Nous) bekommt die Seele damit ihre Denkfähigkeit, denn ihr höchster Teil verbleibt immer in der geistigen Welt. Dadurch hat sie, auch wenn ihr an den Leib gebundener Teil Unglück erfährt, ständig Anteil an der ganzen Fülle der geistigen Welt. Hiervon ausgehend meinte Plotin, dass wenn sich die Seele auf die geistige Welt hin ausrichte, sie dorthin auch aufzusteigen vermag.

Stirbt der Körper, verlässt ihn die Seele gemäß platonischer Seelenwanderungslehre und sucht sich bald darauf einen neuen Körper. Ursache für diesen folgenschweren Abstieg ist die Anziehungskraft des Körpers, der die Seele veranlasst, sich zwar freiwillig, aber doch zu ihrem Verhängnis, der Welt des Materiellen zuzuwenden und sich zu verbinden mit einem fleischlichen, sterblichen Körper. So folgt sie quasi einer unnatürlichen Veranlagung. Plotins wichtigster Schüler, der Neuplatoniker Porphyrios (233-305) schilderte diese Freiwilligkeit und zur selben Zeit die Unbeständigkeit dieser Verbindung damit, dass sich Körper und Seele zueinander wie ein Liebespaar verhalten. Diese Neigung sich mit einem irdischen Körper zu verbinden rührt von früheren Erfahrungen der Seele her.

Nun aber hat die Seele die Möglichkeit diesen Kreislauf zu verlassen, um aus der Körperwelt in ihre geistige Heimat zurückzukehren.

Sieben Stufen des Aufstiegs zum Einen (Göttlichen)

Wenn wir uns nun im Folgenden den Aufstieg der Seele eines Menschen ansehen, folgen wir dabei einer von Plotin umgekehrten Reihenfolge des Seelenweges, wobei das Bewusstsein des Menschen da aus der Welt der Materie ins Allbewusstsein des Einen hin aufzusteigen versucht. Um diesen Weg zu gehen, muss sich der Philosoph aber zuerst einmal darüber im Klaren sein, dass das, dem er sich darauf zu nähern versucht, seiner Seele ganz ähnlich ist.

Ziel des Aufstiegs ist dann mit dem Einen zu verschmelzen, sich in ihm aufzulösen. Dazu kommt ein Mensch aber nur, wenn er eben Stufe um Stufe die Eigenschaften des Einen kennenlernt, als was es sich zu erkennen gibt, nämlich als:

  • Einheit,
  • Unbeweglichkeit,
  • Licht und
  • Ewigkeit.

Wenn dabei das Eine dem reinen Sein entspricht, bedeutet das letztendlich den Ausschluss aller Aspekte des Nichtseins. Wie aber soll sich das an endliche Materie gebundene Seelensein des Menschen da mit dem Ewigen, Allumfassenden verbinden?

Wie bereits angedeutet, kehrte Plotin dazu die Reihenfolge der Emanation aus dem Einen um. Daraus entstand das spirituelle Konzept des Aufstiegs von der Welt der Materie, über die Seelenwelt ins rein Geistige des Einen, womit dieser Aufstieg eine Beschreibung der Weltentstehung in umgekehrter Reihenfolge ist: Von dem was entstand zurück zu dem woraus es entstand. Plotins legte dafür sieben Stufen der Bewusstwerdung fest, auf die wir unsere Betrachtungen im Folgenden konzentrieren.

1. Das Erwachen

Der Aufstieg der Seele beginnt in der Welt des gewöhnlichen, nicht-spirituellen Lebens. Um sich da zu erheben, muss ein Mensch dafür zu vier wichtigen Eigenschaften kommen, die er, in ihrer wahren Bedeutung erkannt, in sich zu verwirklichen hat:

  • Entschlossenheit,
  • Gerechtigkeit,
  • besonnene Gelassenheit und
  • Milde.

Hierbei entwickelt der Philosoph eine Sehnsucht das Gute zu erleben und dabei eine Liebe zu erfahren, die seine Seele dazu veranlasst den Aufstieg zur nächsten Ebene zu wagen. Dies geschieht weil der Gott Eros, in seiner Erscheinung als irdische Liebe, die Seele mit sich reißt – wie beschrieben in Plotins 5. Kapitel der 3. Enneade, »Über den Eros«. Da wird die Seele zur Begehrenden. Eros aber ist das »Auge der Seele« und folglich damit ihre »Tätigkeit« (griech. »Energeia«), mittels derer sie zu ihrem eigentlichen Ursprung strebt: dem Intellekt, mittels dem sie sich dem Höchsten, das heißt also dem Einen zu nähern vermag (vergleiche auch mit der von Apuleius in seinen Metamorphosen erzählten Geschichte von Amor und Psyche).

2. Reinigende Klärung

Ab dieser bis zur vierten Stufe geht es nun darum, die Seele dem Einen ähnlicher zu machen, damit sie den schwierigen Weg sich zu ihm hin zu erheben auch tatsächlich meistert. Es geht dabei zunächst um die Entwicklung menschlicher Qualitäten (Tugenden im eigentlichen Sinne), durch die spirituelle Energie nach innen und nach oben hin konzentriert wird. Gegenstand dieser zweiten Stufe ist, die von Plotin so genannte »Unvernünftige Seele« genau zu beobachten, um aus diesen Betrachtungen ihr Wesen zu verstehen und damit beherrschen zu lernen.

Alle Aufmerksamkeit gilt dabei dem Spirituellen. Ein Mensch wendet sich darum von der körperlichen Welt alltäglicher Angelegenheiten ab, damit die Seele nicht durch diese Einflüsse abgelenkt werde. Sowohl nämlich Vergnügungen als auch Schmerzen lenken die Seele ab. Wenn sie auftreten, versucht ein Mensch darum, so gut es ihm gelingt, ihnen keine weitere Bedeutung beizumessen. Er versucht sie lediglich zur Kenntnis zu nehmen, als Signale für den Zustand seines Körpers (der ja nicht völlig ignoriert werden kann), mit dem die unteren Teile der Seele in Kontakt stehen um diese dabei zu beruhigen. Geringfügige Störungen werden hierbei durch ein aktives, bewusstes Einströmen des Geistes verdrängt. Ebendarum sollte ein nach Weisheit Strebender versuchen, gesund zu leben, sich ausreichend zu bewegen, gut zu ernähren und ausreichend zu schlafen, um seine Praxis nicht von Störfaktoren beeinträchtigen zu lassen. Dies gelingt ihm am besten, wenn er seine Empfindungen, seine Leidenschaften und seinen Appetit zu kontrollieren vermag, um damit einen Zustand innerer Ruhe zu erreichen und entsprechend nur daraus zu handeln:

  • mit Gelassenheit, in Anbetracht des eigenen Schicksals,
  • in der Erkenntnis der eigenen Fehler,
  • durch die Fähigkeit diese zu korrigieren, wie auch
  • ein Pflichtbewusstsein zu entwickeln und Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

3. Vollkommene Ruhe erlangen

Ab diesem Entwicklungsstadium sollte der Mensch dazu fähig geworden sein nicht mehr zuzulassen, dass seine Seele irgendwelche Leiden beeinträchtigen. Dafür müsste der höhere Teil seiner Seele, der vernunftbegabte Teil, stets unverletzlich, autonom und in ruhiger Gelassenheit weilen. Dies wird durch die Vorwegnahme von möglichem zukünftigen guten und schlechten Schicksal erleichtert, was den Sucher vorbereitet angemessen zu reagieren.

Es geht da um die »Vernunftbegabte Seele« die auf dieser Stufe zu vollkommener Ruhe gebracht wird. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die »intellektuellen Prozesse« (Erkennen beziehungsweise Begreifen geistiger Vorgänge, »Noetik«) der darüber liegenden Stufen ja eher intuitiv, als nach einem System geordnet oder logisch sind.

Für Plotin war diese Stufe zwar nur einen kleinen Schritt von den darunter liegenden entfernt, doch dazu bedarf es entsprechender Fähigkeiten geistig zur Ruhe zu kommen, um den inneren, in Gedanken geführten Dialog mit den Phantomen des Geistes zu stoppen, kurz: Nichtdenken zu erlernen.

4. Erweckung des Intellekts zu selbstbewusstem Sein

Hier nun tritt der individuelle Aspekt der Seele in Kontakt mit dem intellektuellen Bereich des bewussten Seins: Das was der griechische Philosoph Platon beschreibt als die Welt der Ideen, eine Welt unveränderlicher, ewiger Urbilder, die den unsterblichen und göttlichen Teil der Seele bilden. Bei den meisten Menschen jedoch befindet sich dieser Teil in einer Art Schlafzustand; seine Erweckung lässt sich allerdings erreichen, indem dem sich ein Mensch der göttlichen Gegenwart hin öffnet, während er sich gleichzeitig immer stärker auf den inneren Teil seines seelischen Seins konzentriert, so dass ihm dort spirituelle Energien zuzufließen vermögen.

Doch kann dies nur erfolgen, wenn der nach Weisheit strebende Mensch, sein Wünschen und Wollen beiseite lässt. Hier gilt es, sich der göttlichen Gegenwart des Einen auf eine Weise hin zu öffnen, die ihr erlaubt sich zu offenbaren und es erst damit möglich wird sich ihrer verborgenen Allgegenwart zu nähern. Es geht da also nicht um ein Suchen, sondern um ein Sichfindenlassen. Die Seele wird gesucht. Etwas kommt auf sie zu, wenn sie dazu fähig geworden ist es zuzulassen, damit sie sich eben diesem intellektuellen Seelenteil auf eine Weise nähert, um vom Einen quasi entdeckt zu werden.

Was an Willen dafür aufgewendet wird, dient nicht dem eigentlichen Erreichen der genannten Ebene, sondern soll eher dazu verwandt werden Gott in sein intellektuelles Seelensein einzuladen. Plotin beschreibt diesen Vorgang mittels zweier Metaphern:

  • Man poliert seinen »Seelischen Spiegel«, damit sich in ihm das Göttliche für das innere Sein der Seele zu reflektieren vermag.
  • Oder aber, dem ähnlich, geht es um die Reinigung eines symbolisch-geistigen Tempels, in den man Gott einlädt das heilige Licht seiner Gegenwart spürbar werden zu lassen.

Was an Fähigkeiten dem Philosophen da zur Verfügung steht, überlässt er dem Zustrom göttlicher Kräfte, denen er sich durch seine nach innen gekehrte Wahrnehmung, in Form eines inneren Sehens oder inneren Hörens, gewahr wird. Auf diese wundersame Art und Weise entdeckt die Seele ihre Freiheit und eigentliche Unabhängigkeit von dem ihr umhüllenden Körper. Sie wird dabei von aller Materie entledigt (gereinigt) und damit in ihre ursprüngliche Form zurückversetzt. Alles was da nicht mehr ihrem wahren Selbst entspricht, fällt von ihr ab.

Wie gesagt, überlebt die intellektuelle Seele den Tod. Darum eben soll sie gegenüber der Alltagswelt zu einer Haltung finden, die sie nach dem Tod behalten will. Im Sinne Platons ist das eine »philosophische Vorbereitung auf den Tod« – ein »Sterben, bevor man stirbt« (was in der Initiatischen Tradition »Einweihung« bedeutet). Dabei werden die niederen Teile der Seele in einen Zustand der Stille versetzt, die Seele wird gereinigt, nach innen gekehrt und auf ihr Zentrum konzentriert, um ebenso einfach zu werden wie »das Eine«.

5. Schauen der Welt der reinen Formen

Erste Phase des Zustands der Erleuchtung

Wir sagten, dass die Vorstellungen der Intellektuellen Seele sich zum einen auf den Bereich des göttlichen Geistes bezieht, wie auch auf die Welt der Formen. Hier halten sich sowohl die intellektuellen Seelen der Menschen auf, wie auch die traditionellen Gottheiten, mit ihren archetypischen Eigenschaften (wovon einer etwa der griechische Gott Apollon sein könnte, Gott des Lichts, der Heilung und der Weissagung).

Plotin charakterisierte diesen Weltenbereich als die von Platon beschriebene Region jenseits des Himmels, in dem unsere Seelen schon lange vor unseren Körpern lebten. Dabei vermochten sie die darin befindlichen Formen direkt kennenlernen. Wie Platon jedoch in seinem »Dialog Kratylos« beschreibt, können diese Formen nicht sinnlich erfahren werden, da sie sich eben nicht in der physischen Welt befinden. Das Wissen von diesen Formen bildet sich vielmehr aus einer Erinnerung unserer Seele an ihre erste Bekanntschaft mit ihnen. Daher ist das, was unsere intellektuellen Seelen zu lernen scheinen, in Wirklichkeit nur Erinnerung, worin diese Formen lebendige, bewusste Gedankenstrukturen bilden. Sie befinden sich dabei in einem Zustand gegenseitiger Vergegenwärtigung, bilden so zusammen ein lebendiges, bewusstes Ganzes. Dieses Ganze umfasst alle seine Bestandteile, und jeder einzelne Bestandteil wiederum umfasst das Ganze.

Alle die in diesem eben beschriebenen Weltenbereich existierenden Formen nun sind transparent, durchdringbar und eben nicht in irgendeiner Art stofflich. Sie entstehen hingegen aus allen unsterblichen, geistigen Gestalten des Göttlichen. Wenn zuvor nun aber die Rede war von einem »Intellekt«, meint das weniger die Fähigkeit des menschlichen Geistes logisch und reflektiert zu Denken, als dass dieser eher einem »Intuitiven Fließen« gleicht. Was bedeutet das? In den vorangegangenen Stufen hat die Seele ihre individuelle Identität bewahrt. Auf dieser Stufe jedoch erkennt sie ihren soeben beschriebenen intellektuellen Teil als integralen Bestandteil des Einen. Deshalb muss die Seele auf dieser Stufe, sich von dem Bewusstsein trennen, selbst ein Individuum zu sein, was ihr doch Endlichkeit und ein Getrenntsein vom Göttlichen als Glauben auferlegt. Um zum Ewigen, zum Universalen, zum Einen aufzusteigen, muss sich die Seele aber von jeglichem Bewusstsein gelöst haben.

Dies gelingt am ehesten der Seele eines Stoikers, heißt es, da sie die spirituelle Übung des »Blicks von oben« beherrscht. Die stoischen Philosophen hellenistischer Zeit nämlich stellten sich hierfür vor, sich im Himmel zu befinden und auf die Erde hinunterzuschauen. Das Ziel dieser Übung bestand darin, das Bewusstsein in die Unendlichkeit von Zeit und Raum zu versetzen, um damit die gegenseitige Verflechtung eines jeden Dinges darin, mit allen anderen Dingen zu erkennen. Erst da kann des Menschen Seele die Welt so sehen wie sie wirklich ist, sich über alles darin wirkende Leid erheben, um sich damit selbst helfen zu können und folglich fähig wird, aus dieser Erfahrung Nutzen zu schaffen für die übrigen Seelen seiner Mitmenschen.

Im Aufsteigen auf diese Ebene des Seins beginnt die Seele sich in ihrer Wahrnehmung nicht mehr als Beobachterin der ihr gewahr gewordenen Formen wahrzunehmen, sondern wird ihnen gleich. Die Seele verliert da ihr Bewusstsein (in etwa zu vergleichen mit solch alltäglichen Erfahrungen in denen wir von einer Tätigkeit völlig absorbiert werden, so dass alles um uns nicht mehr wahrgenommen wird, bis auf die Aktivität in der wir uns befinden). Dieser Zustand allerdings kann nicht lange aufrechterhalten werden. Die menschliche Seele ist eben von Natur aus bewusst und wird darum in diesem Schritt noch, sofort wieder auf eine niedrigere Ebene zurückfallen.

6. Die Liebe zum Göttlichen

Zweite Phase des Zustands der Erleuchtung

Nun besteht das nächste Ziel darin das Selbst der Betrachtung des Intellekts zu entziehen. Die ganze Aufmerksamkeit wird ab jetzt hin auf das Göttliche gerichtet, in dem die Neuplatonikern keinen Teil des Dualen sehen, sondern das für sie eine universale Einheit repräsentiert. Es befindet sich ganz jenseits aller Form, ist die Welt der Formen doch eben nur durch die Dualität erlebbar, da sie ja erst etwas ist eben dadurch, dass sie ein Gegenteil besitzt, das all das ist, was die Form nicht ist. Das Eine – das Göttliche also – aber hat kein Gegenteil. Um sich also dem Einen zu nähern, muss die Seele jegliche Form aus ihrem geistigen Gewahrsein eliminieren, um sich damit über die Vielfalt der Formenwelt zu erheben, sie zu transzendieren.

Hier nun kommt erneut die Liebe des Verlangens ins Spiel, repräsentiert durch Eros (vergleiche erste Stufe). Dieser Gott aber führt auf dieser Stufe zu etwas jenseits des zuvor beschriebenen Intellekts der Seele. Er zieht ihre Geistigkeit hin zum Göttlichen (was das genannte Verlangen überhaupt erst erweckte), so wie durch Eros der Liebende zum Geliebten hingezogen wird. In dieser Liebe beginnt der Seele Geist, das Eine zu umkreisen.

Wenn da aber die Rede von der Liebe ist, meint es eine der Schönheit der Welt der Formen überlegene Liebe. Sie ist erfüllt vom Licht der Einheit des Göttlichen, bewegt sich voll Anmut, als Ergebnis eines Gnadenakts des Einen. Alles muss die Seele hier also ignorieren, bis auf die leuchtende Energie dieser vom Einen hervorstrahlenden Liebe.

Indem sie die Dualität allen Denkens und aller Intuition transzendiert, wächst der ruhige, nüchterne Intellekt der Seele über sich hinaus und tritt ein in einen Zustand, der als Rausch erlebt wird: trunken vom göttlichen Nektar, von der Liebe zum Göttlichen. Die Seele kommt durch die Identifikation mit diesem Geistigen des Einen in unmittelbaren Kontakt mit dem Göttlichen, obwohl sie weiterhin getrennt davon weilt, da sie als Liebhaberin (Seele) und Geliebter (Göttliches) sich zwar sehr nahe kommen, aber noch immer nicht vereinigt sind.

Dieser Zustand tritt plötzlich auf und hält gewöhnlich nur ganz kurz an, da er nur für eine Dauer aufrechterhalten werden kann, solange sich die Seele ihrer noch nicht wieder bewusst wurde, was aber eben dann erfolgt, wenn sie sich im Liebesaktes mit dem Einen erkennt.

7. Einswerdung mit dem Göttlichen

Hiermit nun wurde das vollkommenste Stadium erreicht: Die Auslöschung aller Dualität, das Beenden allen Getrenntseins der liebenden Seele vom geliebten Göttlichen. Da hat sich alles Verlangen der Seele in vollkommener Ekstase erfüllt: Sie ist eins Geworden und vereinigt mit ihrem göttlichen Ursprung, ganz und gar von ihm erfüllt, doch gleichzeitig auch selbst ergossen ins Göttliche. Da erfährt sie wahren Frieden, absolute Gewissheit, glückerfülltes Wohlbefinden, göttliche Liebe, unbeschreibliche Freude.

Und wie wir sagten: Da das Eine (das Göttliche) frei ist von Bewegung (Handlung), Form und Gedanken, so musste, um dieses Stadium zu erreichen, auch der Philosoph sich befreien von allem Wollen, lösen aus aller Gestalt und jeglichen Gedanken aufgeben, um sich mit dem Einen identifizierend zu vereinigen. Dann wird der Mittelpunkt des seelischen Seins des Philosophen sich mit dem Zentrum des Göttlichen verbinden.

Fest steht bei alle dem, dass weder die Erfahrung auf dieser Stufe noch die in den vorangegangenen Stufen gemachte Erfahrung, durch den Willen herbeigeführt werden. Es geht hier vielmehr um eine Art Gnade, auf die man sich nur vorbereiten kann und in Geduld empfänglich darauf wartet.

Licht in die Welt bringen

Ziel eines Menschen, der ein philosophisch-spirituelles Leben führt, könnte die ständige Hinwendung zum Einen sein, um damit tatsächlich eine Metamorphose zu erleben, wo ihn das Göttliche von innen her erfüllt, ja er sich damit selbst zu einem vergöttlichten Wesen entwickelt. Solange der übende Philosoph sein Dasein aber noch zu sehr in seiner Körperlichkeit wahrnimmt, kann er die Konzentration und Spannung dieser Vereinigung nicht aufrechterhalten. Er muss daher wieder in die physische Welt umkehren. Dennoch kommt er dann stets zurück mit zunehmender Milde, Sanftheit und Empfänglichkeit. Als Ergebnis einer erfolgten Vereinigung wird er die Kenntnis seines wahren Selbst damit verbessern können, um dem Licht des Einen allmählich auch in der alltäglichen Welt gewahr zu werden. Auch sein Erscheinen gegenüber seinen Mitmenschen beginnt sich damit zu wandeln, da er dieses Licht mit sich in die Welt bringt, um auch andere zur Erleuchtung zu führen.

Nachdem der Philosoph die göttliche Vereinigung erfahren hat, ist er bestrebt zu ihr zurückzukehren. Er bereitet sich darauf vor, indem er die Tugenden und andere spirituelle Praktiken übt. Das philosophisch-spirituelle Leben eines so Übenden ist darum »amphibisch«, ein Doppelleben halt, das sich mal dem Licht, mal der Erde zuwendet. Der Philosoph ist da wie der Mond auf seiner Umlaufbahn, der sein Gesicht zuerst der Erde zuwendet (Vollmond), dann der Sonne (Neumond). Wenn der Mond sich der Sonne ganz nahe kommt (aus geozentrischer Sicht), wenn sie in Konjunktion stehen, kommt es zur Finsternis. Das ist wie die Vereinigung des Philosophen mit der Quelle des Lichts, wenn die irdischen Bereiche in völliger Dunkelheit gelassen werden. Kehrt der Philosoph zurück und wendet sein Gesicht wieder der Erde zu, dann erleuchtet er sie mit dem Licht, das er in sich von der Quelle empfangend reflektierte und so zum Wohle Aller ausstrahlt.

 

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