Symbol für das Tengristische Sonnenkreuz im Zeltdach einer Jurte - ewigeweisheit.de
Ein von den Tengristen verwendetes Symbol, das die Struktur des Universums, den Gott Tengri, die Dachöffnung einer Jurte und eine Schamanentrommel darstellt. Die vier Symbole sind heilige Runen der Alten Türken.

Tengrismus: Eine Religion zwischen Himmel und Erde

Bei vielen Nomadenstämmen der eurasischen Steppen, steht der Himmelsgott Tengri im Zentrum spiritueller Verehrung. Die Alten Mongolen sahen in Dschingis Khan (1155-1227) gar eine Verkörperung seines Willens. Wieder andere erklärten ihn einst zum »Gott der Türken«.

Schaut man aber auf die Überlieferungen, die mit dem Namen »Tengri« in Verbindung stehen, erfährt man dabei sowohl von einer alt-mongolischen und alt-türkischen Religion. Beide haben ihren Ursprung in den »Goldenen Bergen« des zentralasiatischen Altai. Im Zentrum dieser Religionstraditionen steht der Animismus schamanischer Riten und Gebräuche. Da glaubt man, dass alles was in der Welt existiert, Belebtes wie auch Unbelebtes, seine eigene Seele besitzt.

Das man seit alter Zeit Tengri als Himmelsgott verehrte, ist ähnlich dem, was uns etwa auch aus der Geschichte den Indoeuropäer als Himmelsgott »Dyaus« begegnet. Interessant dabei zu erkennen ist, dass dieser Name den Ursprung des späteren griechischen Götternamens »Zeus« bildet, das seinerseits die etymologische Wurzel von »Deus« ist, dem lateinischen Namen für Gott.

Ursprünge des Tengrismus

Auch wenn das, was man heute unter dem Begriff Tengrismus versteht, bereits im 12. bis 13. Jahrhundert als überwiegend monotheistische Religion in Zentralasien entstand, praktizierten sie ihre Anhänger undogmatisch. Das mag sich von der Tatsache her ableiten, dass man die Tengri-Religion damals nur auf kaiserlicher Ebene und in aristokratischen Kreisen ausübte. Seit dieser Zeit aber existieren ihre traditionellen Riten fort, die heute, unter anderem von den sibirischen Turkvölkern, eine organisierte Wiederbelebung erfährt. Auch in bestimmten Kreisen der Mongolei, wie auch in den von einer turko-mongolisch geprägten Kultur Russlands, besteht diese uralte Religionen neben anderen spirituellen Traditionen fort.

Zwar wird diese Religion nun meist als monotheistischer Kult praktiziert, doch war der Tengrismus nach Ansicht vieler Gelehrter ursprünglich polytheistisch. Sehr gut möglich, dass man hierzu fand, da sich anscheinend damit eine dynastische Staatsform einfacher realisieren ließ.

Als man im Westen begann, sich mit der alten Religion der Türken und Mongolen zu befassen, wurden die sich damit öffnenden Themenbereiche einfach unter dem Begriff »Schamanismus« zusammengefasst. Es scheint, als unterscheide sich die Tradition des Tengrismus von dem, was man heute als »Schamanismus« bezeichnet. Und das aus dem einfachen Grund, dass der Tengrismus eine stärker organisierte Religion war, was den Schamanismus damit aber keineswegs zu einer minderwertigen Form der Spiritualität macht (man denke etwa an die mündliche Tradition der abrahamitischen Traditionen, die dem sehr nahe kommen, was auch an grundsätzlicher und vor allem praktischer Spiritualität im Schamanismus gelehrt wird).

Nun ist aber interessant, dass in dem was man Schamanismus nennt, kaum oder gar keine schriftlichen Überlieferungen existieren. Im Tengrismus hingegen gibt es Texte, auf die man sich in seiner religiösen Tradition bezieht. Vor allem zwei davon sind von Bedeutung:

  • Die sogenannten »Orkhon-Inschriften« – alte, in alt-türkischer Runenschrift in Stein gemeißelte Gedenkinschriften aus dem frühen 8. Jahrhundert, wie man sie am Orchon-Fluss (in der Mongolei) findet sowie

  • die »Geheime Geschichte der Mongolen« aus dem Jahr 1227.

Was in den Jahrhunderten nach dieser Zeit, im Kontext des bisher Gesagten als Tengrismus erhalten geblieben ist, sollte später auch eine Synthese mit dem tibetischen Buddhismus erfahren.

Vom Wesen der tengristischen Religion

Wie auch andernorts, entwickelte sich diese Religion aus den verschiedenen türkischen und mongolischen Volksreligionen, die sich anfänglich aus einem Pantheon vieler Gottheiten und Geister zusammensetzte. Somit ähneln sich die Ursprünge dieser, verschiedenen anderen religiösen Traditionen, denen wir in Sibirien, Zentralasien und Nordostasien begegnen. Die sogenannte »Ahnenverehrung« spielt da eine wichtige Rolle. Kaum verwunderlich, wenn der Tengrismus damit in der Vergangenheit auch eine Rolle spielen sollte, als primäre »staatliche Spiritualität«. Der große Dschingis Khan und die Generationen seiner Nachfahren, waren eben auch Anhänger des Tengrismus geblieben. Manche sprachen da von den »Schamanen-Königen«.

Es war damals also durchaus eine Religion mit einer festen Struktur, in der es Gebete gab, eine eingeweihte Priesterschaft und sogar Propheten, wo manche dann von Dschingis Khan sprechen. Die Anhänger der Religion um Tengri glaubten ihre Existenz gestützt von

  • dem »ewig leuchtend-blauen Himmel« – Tengri,

  • dem »fruchtbaren Mutter-Erde-Geist« – Yer, und

  • einem, durch Tengri auserwählten Herrscher.

Diese fundamentale Dreiheit bestand im Zusammenwirken mit den Welten der Naturgeister und der Ahnen, die, gemäß tengristischer Lehre, für die Bedürfnisse aller Menschen zuständig sind. So wie Tengri, aber wurde auch Yer, Mutter-Erde, in der schamanischen Kunst Zentralasiens niemals menschenähnlich dargestellt. Denn Yer stellt die fruchtbare Muttererde dar, an deren Brust sich die Menschen geborgen fühlen, da sie sie ernährt.

So begann man darum jedes Ritual mit der Ehrwürdigung Tengris, Yers und der Ahnengeister. Die oberste Gruppe, des dem Tengri untergeordneten Pantheons, setzt sich manchmal aus 99 heiligen Wesenheiten zusammen, wovon 55 als wohlwollend oder »weiß«, 44 jedoch furchterregend oder »schwarz« genannt werden. Und dann sind da die sogenannten »77 Erdgeister«.

Hierüber wissend, soll ein Mensch durch ein respektvolles Verhalten gegenüber anderen, seine Welt im Gleichgewicht halten können und sein persönliches »Windpferd« vervollkommnen. Dieses Windpferd, dass den Namen »Chiimori« trägt (manchmal auch »Hiimori« oder »Himori« geschrieben), wird Synonym verwendet für die innere, seelische Kraft des Menschen (auch »Buyan« genannt). Es ist das, was einem tengristischen Gläubigen die Kraft verleiht sein Gleichgewicht zwischen dem himmlischen Vater (Tengri) und Mutter Erde (Yer) zu finden und zu bewahren.

Astralsymbolik im Tengrismus

»Tengri« ist der alt-türkische Name für den Himmel, von dem sich auch die beiden alt-türkischen Wörter »Tenk« für den Tagesanbruch und »Tan« für das Morgengrauen ableiten. Damit beginnt unsere Lebensspenderin Sonne ihren Tagesbogen über den Südhorizont. Kein Zufall, wenn der Türrahmen der traditionellen Jurte immer gen Süden weist. Zur anderen Himmelsrichtung hin, im Norden, so wissen die Weisen der alten Tengri-Tradition schon immer, dreht sich unaufhörlich das Sternbild des Großen Bären (bei uns auch »Großer Wagen« genannt) um den Polarstern, dass man dort bei klarer Nacht ja auch bei uns sieht. Es ist das Sternbild das man im Türkischen als die »Yedi Kardeşler« bezeichnet, die »Sieben Brüder«.

Im Tengrismus nun heißt es, dass die ganze Welt am Nordpolarstern befestigt ist. Diese astronomische Konstellation im Zusammenspiel mit den Zyklen von Sonne und Mond, war im Tengrismus schon immer von Bedeutung. Der Gott Tengri nämlich gilt da als der Erschaffer und Hüter des kosmischen Gleichgewichts und dem zu Folge eigentlich aller natürlichen Kreisläufe. Wie in der westlichen Tradition, findet sich auch im nomadischen Kult des Tengrismus das Symbol des Kreuzes im Kreis – einem Sinnbild für alle Kreisläufe. Es ist fester Bestandteil jeder Jurte und bildet den Rahmen ihrer kreisförmigen Dachöffnung (→ Abb. zeigen).

Zeit und Ort spielen im Tengrismus nur eine nebensächliche Rolle, ganz im Gegensatz zu unserer heutigen Kultur im Westen. Das mag wohl auf der einfachen Tatsache beruhen, dass es eben der religiöse Kult von Nomadenstämmen ist. Darum wird Zeit nicht als linear, sondern als endloser Kreislauf empfunden, während sich eine Mitte des Universums jederzeit und überall auf der Erde platzieren lässt – eben in Form einer Jurte. Es ist gut möglich, dass viele Weltbilder und Symbole anderer Religionen (wie etwa der Semiten) sich auf die besagte, uralte Volksreligionen Zentralasiens zurückführen lassen – sind ihre eindeutigen Formen doch bis heute überall gültig.

Ein weiteres wichtiges Sinnbild des Tengrismus ist sicherlich der Berg. So etwa zählt der Gipfel des über 7.000 Meter hohen Khan Tengri in Kirgistan, zu einem wichtigen Symbol dieser Religion.

Khan Tengri in Kirgisisthan
Der Khan Tengri – Heiliger Berg im Tengrismus.

Die Himmelskörper Sonne und Mond verkörpern im Makrokosmos des Tengri-Kultes eben solche Gegensätze wie Feuer und Wasser im Mikrokosmos (was identisch ist mit Anschauungen der Alchemie). In diesem Zusammenhang begegnet man dem oben bereits erwähnten Buyan. Es ist eine Segenskraft, die einem Menschen Glück verleiht, als eine Art gottgegebene Stärke. Buyan ist etwa vergleichbar mit dem alt-griechischen Konzept vom »Pneuma«, dem mit der Atemluft von einem Menschen aufnehmbares Lebensprinzip, was wiederum ja an den chinesischen Begriff des Chi oder Ki erinnert. Im Tengrismus meint Buyan aber vor allem eine seelische Kraft, die in einem Menschen durch seine guten Taten entsteht. Sie gewährt einem Menschen ein gesundes Leben, wozu ein Tengrist durch eine gebetsartige Praxis findet, wo die Verhältnisse von Sonne und Mond im Himmel eine Rolle spielen. So etwa soll man bei Neu- oder Vollmond das meiste Buyan erhalten.

Im Tengrismus nun sind die wichtigsten Feiertage abgestimmt auf die Tage der Sonnenwenden (im Winter und Sommer) und die der beiden Tagundnachtgleichen (im Herbst und im Frühling). Das tengristische Jahr aber beginnt mit dem »Weißen Mondfest«, dass nach dem ersten Neumond nach der Wintersonnenwende gefeiert wird. Mit dem Vollmond nach der Sommersonnenwende begeht man im Tengrismus das sogenannte »Rote Sonnenfest«.

Als drittes großes Himmelslicht, dem Morgenstern und Abendstern, stellt man sich Venus vor als »Stern der Feuerpfeile«. Denn es heißt, dass »Ärklik Han«, dem türkischen Namen für die Venus, die leuchtenden Sternschnuppen über den Himmel sendet.

Eines der bedeutendsten Sternbilder im Tengrismus sind die Plejaden, die auch als »Siebengestirn« bekannt sind. Auf türkisch sagt man »Ülker«, einem Namen dessen Ursprung auf das türkische Wort für einen Adelsherren zurückgeht, einem Stammesführer, dem »Uluk« – wobei die Etymologie dieses Wortes uns wiederum zum türkischen »Ilk« führt, dem »Eigentlichen«, »Anfänglichen«, dem »Ersten«. Diese Tatsache ist insofern interessant, als dass man im Tengrismus das Siebengestirn als Heimstadt mächtiger Himmelsgeister ansieht, die sich einst versammelten, um den ersten Schamanen auf die Erde zu senden. Der landete einst auf der Erde, so der Tengri-Mythos, in Gestalt eines wunderschönen Adlers an dem oben genannten Fest des Weißen Mondes.

Die drei Welten

Im Glaubenssystem des Tengrismus unterteilt den Kosmos eine Hierarchie dreier Weltreiche:

  • das Himmelswelt, dem Wohnort Tengris, der von dort aus mit den Schutzgottheiten und den Seelen der Rechtschaffenen wohnt;

  • die mittlere Welt, von den Menschen bewohnt;

  • die Unterwelt, dem Wohnort der bösen Seelen, im Tengrismus »Ifrits« genannt.

Ein Tengri-Schamane kann sich in allen drei Reichen bewegen, entlang der Äste eines Weltenbaums im Zentrum dieser Welten. Über diesen mythischen Baum kommen laut tengristischer Tradition auch die Seelen auf die Erde, um sich dort in einen menschlichen Körper zu kleiden.

Ein echter Schamane nun kennt die Wege, über die er aus der Menschenwelt zu den Eingängem zur Himmelswelt und zur Unterwelt findet. Er gelangt zu ihnen in Ekstase und tritt durch sie ein in seinen dabei erfahrenen »Traumreisen«, wo ihm auf dem Weg dann die Wesen dieser Welten begegnen. Da ihres, dem Leben der Menschen auf der Erde sehr ähnlich ist, kann er mit ihnen in Dialog treten, um etwa aus der Himmelswelt Segnungen auf die Erde zu leiten. Es soll auch vorkommen, dass diese Wesen auch die Mittlere Welt, also die irdische Menschenwelt besuchen, bleiben dem gewöhnlichen Menschen jedoch unsichtbar. Gewiss lassen sich da deutliche Parallelen erkennen zu den abrahamitischen Traditionen, in denen man von Dschinn oder Genien spricht. Nur ein Schamane kann sie ausmachen, wenn er das typische Zischen ihres Feuer vernimmt.

Ein Schamane unternimmt solche Traumreisen, indem er sich manchmal in ein Pferd, manchmal in einen Vogel oder einem Hirsch verwandelt oder aber auf diesen Traumwesen reitet, wie etwa auf dem Windpferd Chiimori.

Entsprechend der beschriebenen drei Welten, besitzt jeder Mensch, laut tengristischer Lehre, auch drei Seelen. Diese drei Seelen befinden sich darin innerhalb des ihnen zugehörigen Energiefeldes, als die

  • Özüt-Seele, die nach dem Tod eines Menschen, als Ahnengeist in der Natur verbleibt, um seinen Nachfahren in ihrem Leben zu helfen, die

  • Ami-Seele, die die Eingeweihten als roten Lichtpunkt wahrnehmen, der als Teil dieses seelischen Feldes in einem Menschenkörper inkarniert, und die

  • Suns-Seele, die ebenfalls inkarniert, wobei sie dem Schamanen als strahlend weiße Sonne erscheint und später einem Menschen, der allmählich seine Schatten zu überwinden lernt, seine Ausstrahlung verleiht.

Jeder Mensch ist laut der Tengri-Religion frei, doch trägt damit gleichzeitig die volle Verantwortung in seinem Leben. Das bedeutet, dass nichts, aber auch gar nichts in seinem Leben durch die Schuld anderer verursacht wird, als durch sein eigenes Handeln. Die Tengristen aber sagen, dass sich ein Mensch, der sich seines Windpferdes und seiner Lebensenergie (Buyan) bewusst ist, immer ein Leben in Glück verbringen kann.

Im Einklang

Mit dem Gesagten, dürfte an der einen oder anderen Stelle im Text durchgeschimmert sein, dass der Tengrismus eine Religion der Steppen Zentralasiens ist, die ohne Dogma auskommt. Es bedarf eben keines besonderen Buches, an dessen Regeln sich einer halten muss, auch wenn die besagten Bücher über die Ursprünge der tengristischen Tradition für diese von Bedeutung sind.

Der Tengrismus wird in Teilen Eurasiens und Zentralasiens langsam wiederbelebt, als eine Art rekonstituierter nationaler Vergangenheit – und das in jenen Ländern, wo die Altaischen Sprachen (mongolische, tungusische, türkische) von über 200 Millionen Menschen gesprochen werden.

Es existiert, in den dazu zählenden Regionen der Welt, eben eine Erinnerung an die Vorfahren die diese Religion ausübten in ihren Bräuchen und Riten. Sicherlich zählt dazu das ursprüngliche Nomadentum, das durch ein Leben ist in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Himmels und der Natur auf unserem Planeten Erde.

1 Kommentar
  1. Ich bedanke mich sehr für diesen Artikel. Es ist das erstemal, dass ich zufällig auf den Tengrismus stosse. Aber sofort kam mir das Wort bekannt vor und zwar aus einer Zeit vor mehr als 30 Jahren, als ich noch TV schaute und ein Spielfilm zu Dschengis Khan gesendet wurde. Tengri wurde darin erwähnt, ich erkannte es als einen Naturgeist, Naturgott, der zwischen zwei grossen Felsen lebte.
    Es ist ein faszinierendes Wissen und ich werde Ihren Ausführungen weiterhin folgen.
    Elvana Indergand, Schweiz

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