Latihan: Die spirituelle Praxis der Subud-Bruderschaft

Es gibt eine spirituelle Praxis, die in einem Menschen eine besondere Haltung formt und mit der er sich der Welt des Heiligen Geistes zu öffnen vermag. Dabei gibt sich der Übende dem göttlichen Sein in einer Weise hin, was einer Erwartungshaltung gleicht, mit der Absicht, damit in seinem Innern etwas zur Entfaltung zu verhelfen.

In einer Meditation der Subud-Bruderschaft, die sie als „Latihan“ bezeichnet, harren die Mitglieder dabei in leichter Bewegung, einer inneren Erfahrung, die sie ein Wirken Gottes, in ihnen spürbar erfahren lässt.

Der spirituelle Lehrer John G. Bennett (1897-1974), ein Schüler von George I. Gurdjieff (†1949), beschrieb das Wesen dieser spirituellen Praxis der Subud-Bruderschaft folgendermaßen:

Es gleicht einer Handlung, so als drehte man den Zündschlüssel in einem Auto, damit ein lebendiger Funke gezündet wird. Hat man keinen Schlüssel zu dem Auto, lässt es sich auch nicht starten. Man braucht dazu allerdings keine Theorie, über das Wesen von Autos und wie sie funktionieren, um den Motor zu starten.

Das ist der Weg des Subud. Er, so Bennet, führt den Sucher zu einem Schlüssel der ihn ermächtigt, sich mit der göttlichen Kraft zu verbinden: Dem Heiligen Geist, aus dem alles Leben auf Erden hervorging. Immer schon gab es Menschen, die diese Kraft in ihrem Inneren zu empfinden vermochten.

Was bedeutet Subud?

Das etwas ungewöhnlich klingende Wort „Subud“ setzt sich aus drei Sanskrit-Begriffen zusammen:

  • Suschila,
  • Buddhi und
  • Dharma.

Suschila steht für einen Menschen mit gutem Charakter.

Buddhi meint die transpersonale geistige Fähigkeit des menschlichen Verstandes – die Kraft des höheren Selbst, womit ein Mensch zu einem Wissenden wird und damit zu jemandem der recht zu entscheiden und entsprechend recht zu handeln weiß.

Der Begriff des Dharma ist vielschichtig: Er steht für das ethische und religiöse Gesetz, Recht und Sitte einer bestimmten Tradition. Auch bezeichnet er darin ausgeübte rituelle Handlungen und Methoden. Dharma ließe sich ebenfalls als „Wille Gottes“ bezeichnen und alles was in diesem Willen an praktischen Handlungen ausgeübt wird. So stehen die Begriffe Dharma und Religion gewissermaßen ebenbürtig nebeneinander.

Zusammengefügt nun, steht der Name Subud für etwas, das der Aussage Christi im Evangelium entspricht:

[…] ihn (Gott) lieben aus ganzem Herzen und aus ganzem Denken und aus ganzer Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst

– Markus 12:33

Könnte man jetzt nicht einfach dem entsprechend sein Leben führen oder den Weisheiten anderer heiliger Schriften folgen? Wozu bräuchte man nun noch eine weitere Lehre?

Nun, es bedarf weit mehr, als nur heilige Schriften zu lesen und damit zu wissen, was ein Mensch tun sollte, um ein rechtschaffenes Leben zu führen. Er sollte sich auch dazu befähigen. Eine erlernte Lehre vom Sein – ganz gleich welcher Religion entstammend – muss auch wirklich gelebt werden. Angehörige der Subud-Bruderschaft glauben das ihren Mitgliedern vermitteln zu können.

Ursprünge

Subud ist eine spirituelle Gemeinschaft die aus der Sufi-Bruderschaft der Naqshbandiyya hervorging, gegründet in den 1920er Jahren von dem Indonesier Muhammad Subuh Sumohadiwidjojo (1901–1987). Er, von seinen Schülern kurz „Bapak“ genannt, hatte erkannt, dass in der Moderne zunehmend äußere Einflüsse das Bewusstsein der Menschen beanspruchen, in einem Ausmaß, dass kaum Raum mehr bleibt für ein Innenleben. Dabei weisen alle Religionen auf dieses Innere des Menschen hin und mahnen, dass Gläubige es erkennen müssten, um darin eigentliches Wohlergehen zu erfahren.

Moderne und Materialismus

Besonders in unserer heutigen, schnelllebigen Gesellschaft, deren Umstände uns regelrecht dazu zwingen, immer auf dem Laufenden sein zu müssen, halten die Menschen davon ab, sich mit dem zu befassen, was die heilgen Schriften über das gute Menschsein zu sagen haben.

Was den meisten Menschen heute wichtig erscheint, ist gänzlich anders von dem, was vor etwa 250 Jahren noch überall auf der Erde existierte: Ein Bewusstsein für das eigene Innenleben und eine daraus erwachsende Erkenntnis, was ein jeder auf seiner Ebene des Seins, zum Wohl der Menschen seiner Gemeinschaft zu tun hätte. Welche Ursachen unsere Vorfahren davon abgebracht hatten, so dass es im 18. Jahrhundert dann zu all den Revolutionen kam (Französische, Industrielle und Amerikanische Revolution), darauf kann hier nicht weiter eingegangen werden.

Fest steht jedoch, dass wir uns heute zusehends von unserem Menschsein entfremden. Sexuelle Freizügigkeit soll unübertroffenes Glück versprechen, womit jeder von uns aber reisige Mengen an Energie verausgabt, die ihm für sein feines Empfinden – geschweige denn sein inneres Empfinden – dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

Technik – digital oder mechanisch – soll darüber hinwegtäuschend dieses Empfinden sogar noch simulieren zu können. Allerhand Technologie existiert hierfür bereits. All das aber unterwirft uns zunehmend den Anforderungen der materiellen Welt und ihrer scheinbar unbezwingbaren Mächte. Wir glauben zwar, wir verfügten über diese Mächte mit all unseren unzähligen Applikationen und Endgeräten, hätten sie unter Kontrolle. In Wirklichkeit aber sind wir längst Diener der Maschinen geworden, ohne dass uns das überhaupt bewusst wäre.

Gibt es einen Weg zurück? Wohl kaum. Jede Generation erfährt ein zunehmendes Tempo bei der Entwicklung neuer Technologien. Wer will da noch überleben, ohne ein durch und durch strukturiertes Leben zu führen?

Diese Strukturen zu organisieren, werden von digitalen System übernommen und mehr und mehr von dem, was als Künstliche Intelligen bereits zur Realität geworden ist. Damit stehen wir vor der großen Herausforderung, uns nicht selbst in alle dem zu verlieren. Wer weiß schon noch von seinem Innenleben, wenn ihn nicht gerade schwere persönliche Probleme plagen oder er zum Beispiel einen Psychologen aufsuchen muss? Zudem steigt die Tendenz emotionaler Verstimmtheit und neurologischer Krankheiten gegenwärtig rasant an.

Die Suche

Doch bei all solchem Pessimismus, dürfen wir nicht vergessen, dass in uns tatsächlich ein Selbst verborgen liegt, dass wahrhaftiger ist, als alles, dem wir uns gewahr sind. In unserer allgemeinen Vergessenheit, scheint es sich unserem Bewusstsein entzogen zu haben, durch Unwissenheit verschlossen in unserem seelischen Innern. Den meisten von uns fehlt die Kenntnis, dass es einen Schlüssel gibt, diesen unzugänglichen Bereich zu eröffnen. Wem aber gelingt, diesen Schlüssel zu finden, der vermag in sich etwas zur Entfaltung zu bringen, dass allen Zwängen und Bedrängnissen der modernen Welt gewachsen, ihr sogar erhaben ist.

Die Bruderschaft des Subud beteuert Menschen bei dieser Suche helfen zu können. Es soll da das wahre menschliche Selbst erweckt werden, damit es Kontrolle über das niedere Selbst erlange. In diesem Bewusstsein, so die Subud-Bruderschaft, gelingt es einem Menschen, nach einer gewissen Zeit, sich der Wahrheiten seiner Religion (wie auch jeglichem anderen spirituellen Weg) innerlich zu vergewissern und damit ein Leben zu führen, dass den Lehren seiner Religion entspricht.

Suche nach der Quelle der geistigen Welt

Um nun tatsächlich in Kontakt zu treten mit solch göttlichem Lebensborn, wie er von den Mitgliedern des Subud beschrieben wird, sollte sich ein Mensch darüber ganz und gar im Klaren sein. Das heißt, dass nur er sich auf diese Verbindung ausrichten und nicht etwa jemand anderen nachahmen kann, um diese Verbindung herzustellen. Wir neigen nämlich sehr oft dazu, irgendwelchen fremden Sichtweisen gemäß, entsprechend auch über unser Selbst irgendwelche Theorien zu spinnen. Es geht auch nicht darum zu versuchen, sich „mal eben“ mit diesem heiligen Born des Geistes zu verbinden, nur weil es einem gerade schlecht geht.

Was aber soll dieses Fragen dann sein? Vielleicht ließe sich darüber sagen, dass wir aus einem echten inneren Bedürfnis heraus fragen sollten, dessen wir uns jedoch voll bewusst sein müssen. Es ist Bewusstsein, dass nicht etwa aus materieller Not entstand, sondern etwas wozu man sich tatsächlich entschieden hat und wonach er wirklich sucht.

Wir Menschen, jeder Einzelne von uns, kamen in die Welt durch unsere Willenskraft, mit der wir uns durch den Geburtskanal pressten. Und als wir da geboren waren und heranwuchsen, blieb uns immer die Freiheit – und das gilt auch heute noch – uns einem göttlichen Willen hinzugeben oder eben nicht hinzugeben. Solange wir auf Erden wandeln, verfügen wir über diese Freiheit.

Wenn es um solch eine spirituelle Suche eines heiligen, göttlichen Lebensquells geht, mag einem vielleicht der berühmte Satz aus dem Matthäus-Evangelium in den Sinn kommen:

[…] suchet, so werdet ihr finden […]

– Matthäus 7:7

Leider aber ist das nicht so einfach in die Tat umzusetzen, wie man diesen Satz mal eben gelesen hat. Denn wohin, beziehungsweise wonach ist diese Suche ausgerichtet?

Das wahre Selbst

Die meisten unter uns sind weit entfernt von einem Bewusstsein für ihr wahres, einiges Selbst. Was sie als ihr inneres Bewusstsein erfahren, ist gespalten in mehrere Teilselbste, die im Laufe der Jahre ihrer Reife entstanden waren, durch all die Regeln und vielen Lebenshaltungen und Meinungen anderer, die ihnem, wenn auch in ganz alltäglicher Form, regelrecht eingeredet worden sind.

Ein Teil ins uns zumindest fragt nach unserem wahren inneren Lebenszweck. Ein anderer Teil aber will festhalten an dem, was ein Mensch in seinem äußeren Leben an Werten – materiell, emotional oder verstandesmäßig – gesammelt hat und entsprechend als wertvoll erachtend hütet. Diese innere Teilung macht den modernen Menschen aus.

Die Initiation

Kommen wir aber wieder zurück, zu der vorhin gestellten Frage nach unserem wahren Selbst und wie wir mit ihm in Kontakt treten.

Unsere Unfähigkeit mit ganzem Herzen uns nach etwas im Leben zu erkundigen, und sei es eben dieses Wesen unseres individuellen und wahren Selbst, rührt eben von der hier oben angedeuteten Teilung. Auch Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) schrieb bereits davon, in seinen berühmten Faust:

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.

Diese Schwäche, die in uns heute – bei dem einen mehr, beim anderen weniger – veranlagt ist, hindert uns daran mit ganzem Herzen um etwas zu bitten oder eine Frage so zu stellen, dass wir eine ganz eindeutige Antwort erhalten, eine Antwort auch aus der geistigen Welt.

Im Subud ist die Rede von einem „Wahrhaftigen Fragen“, das vom wahren Selbst kommen muss, dem Innersten unserer Seele. Nur leider scheint im Wandel der Moderne der Zugang dazu verschüttet. Es kann aber ein Kanal dazu geöffnet werden, durch den man dieses Innere unseres Selbst erreichen kann.

Hiermit verbunden sind besondere Bemühungen, die, so die Subud-Bruderschaft, jedoch durch die Hilfe eines anderen Menschen überwunden werden kann. So jemand muss den Zugang zu seinem Selbst allerdings bereits gefunden haben. Sie oder er kann dann selbst als Kanal wirken, was dem Sucher hilft, sich mit seinem inneren seelischen Wesenskern zu verbinden. Im Subud ist da die Rede von der Initiation, durch die sich dieser Kanal in jemandem öffnet und er dadurch Zugang zu seinem wahren Selbst findet.

Um nun das zu Anfangs, von John G. Bennett zitierte Beispiel hier noch einmal zu nennen, geht es in diesem Vorgang darum, dem Sucher den Schlüssel zu seinem Wagen zu überreichen, so dass er ihn entsprechend starten und selbst fahren kann. Ohne diesen Schlüssel aber kommt er nicht weiter.

Ab dem Zeitpunkt, wo diese Initiation stattfand, kommt jener Sucher zum Finden seines Zuangs zu seinem wahren Lebenskern. Die andere Person die ihm dabei half, ihn also einweihte in das Geheimnis in ihm, ist ab diesem Zeitpunkt eigentlich überflüssig geworden.

Allerdings darf so jemand den Intianden auch noch dabei begleiten, wenn dieser sein Seelenfahrzeug entsprechend zu fahren übt, das heißt, ihn dabei unterstützen, sich in diesem Erwachen durch die Welt zu bewegen. In unserer modernen Menschheitszivilisation nämlich ist es gar nicht einfach, solch Erwachen ins Wirkliche auch tatsächlich in das alltägliche Leben zu integrieren. Immer noch werden da wohl in einem Hindernisse sein, die man nach und nach aus dem Weg räumen kann. Und bei dieser, nicht ganz leichten Aufgabe, kann uns eben diese Person, die uns auch den Schlüssel überreicht, behilflich sein.

Es geht hier also um einen wichtigen Läuterungsvorgang, den der Initiand vollziehen muss. Was da an Hindernissen entsprechend ausgeräumt und an dem durch sie entstandenen Schaden repariert werden muss, kann damit erreicht werden. Auf körperlicher und geistiger Ebene, wurde dieses innere, wahre Selbst empfangen und geboren. Es muss daher entsprechend geformt werden.

Was jemand dabei erfährt ist eine ganz einzigartige Transformation seines Daseins auf Erden. Doch man braucht Geduld und ist angewiesen auf die Unterstützung einer entsprechend geschulten Person, so die Subud-Mitglieder, die uns mit der inneren Quelle zu verbinden weiß, jener geistigen Ursache, durch die unsere Seele auf diese Erde kam.

Latihan Kejiwaan

Bapak, der Gründer des Subud, bezeichnete die spirituelle Praxis seines Weges als „Latihan Kejiwaan“ (Latihan, „die Übung“, Kejiwaan, „spirituell“). Diese spirituelle Übung scheint einer tatsächlichen Einweihung zu ähneln, wo ein gewisser Teil aus dem Übenden herausgelöst wird, und dieser dabei eine Vorwegnahme der Todeserfahrung erlebt. Was die Mitglieder des Subud erfahren, ist für sie darum teils überwältigend, zumal sich dabei ein seelischer Reinigungsprozess ereignet, dessen Erfahren für das Mitglied jedoch wirklich befreiend wirken soll.

Aus Sicht der Neurotheologie (eine moderne Wissenschaft, die religiöse Empfindungen auf Ebene der Neurobiologie des Gehirns erforscht), spricht man hier gar von einem Auseinanderfallen psychischer Funktionen, die eigentlich miteinander zusammenhängen – das, was die moderne Psychologie als „Dissoziation“ bezeichnet.

Im Latihan-Erlebnis tritt der Übende bewusst in einen veränderten Wahrnehmungszustand ein, in dem er ein bestimmtes Lebensthema (vielleicht auch Trauma) verstehen lernt, was teilweise mit starken Emotionsäußerungen einhergeht. Dabei trennen sich Denken und Fühlen, und bilden eigene, für sich abgeschottete Bereiche. Das heißt, dass im Latihan ausgelöste Emotionsschübe, sich für das Bewusstsein getrennt ereignen, wo damit verbundene mentale Erinnerungen in den Hintergrund treten.

Wenn wir zuvor nun von einem Reinigungsprozess im Latihan sprachen, wird dieser jedoch entsprechend vorbereitet, mit einem eingeweihten Mitglied des Subud. Da hilft also jemand dem Sucher, eine schwierige Erfahrung, die er vielleicht als Kind durchgemacht hat, durch solch Reinigungsprozess aus den tiefen Schichten seines Unterbewusstseins zu lösen. Es gleicht dem Abwerfen eines schweren Ballasts, was sich beim Sucher oft als heftiger Gefühlsausbruch äußern kann. Dieser aber befreit sich dabei von niederen Kräften seiner Nafs (im Sufismus steht der Begriff der „Nafs“ für die seelischen Triebkräfte eines Menschen).

Jeder von uns bringt in seinem Leben ein Instrumentarium mit (das Bennett im Eingangszitat als „Schlüssel“ bezeichnet), das ihn dazu befähigt, solch numinose Erfahrungen zu machen. Die Praxis des Latihan öffnet dem Sucher dabei die Türen zu den inneren, unbewussten Bereichen seiner Seele. Wer diese Praxis des Latihan als psychisch stabiler Mensch übt, auf den wirkt diese Meditation entspannend und wohltuend. Wie aber bei allen spirituellen Praktiken ist es wichtig, jemanden als Lehrer zu haben, der echte Fähigkeiten besitzt, um einen Menschen in das esoterische Repertoire seiner geistigen Tradition einzuführen.

 

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