Alles was unsere Augen an Licht empfangen, wandelt unsere Psyche um, in erkennbare Darstellungen dessen was wir da sehen. Unsere Wahrnehmung aber neigt dazu das so Gesehene sofort in Formen zu überführen, die bereits bekannten Figuren oder Gesichtern ähneln, damit sie unser Bewusstsein auch einzuordnen vermag.
Kaum zufällig brachte uns diese Fähigkeit dazu, auch am Nachthimmel besondere Muster zu finden. Schon seit mindestens 17.000 Jahren geschieht das überall auf der Welt, wo Menschen versuchen Gruppen von Sternen zu Stern-Bildern zusammenzufügen. Was den Menschen von einst am Himmel vertraut erschien, brachten sie in Verbindung mit Formen von Sachen, Tieren, Menschen, Fabelwesen oder Göttern, die eine Rolle spielten in den kultischen Riten ihrer Gemeinschaft. So auch entstanden die zwölf Zeichen des Tierkreises.
Im Westen kennt man 48 traditionelle Sternbilder, die der griechische Astronom und Astrologe Claudius Ptolemäus (ca. 100-160 n. Chr.) in seinem Almagest (der Name ist abgeleitet vom arabischen Al-Madschisti) zusammengestellt hatte. Es waren darunter damals nur die Konstellationen der nördlichen Hemisphäre. Als europäische Entdecker ab dem 15. Jahrhundert begannen auch die südliche Hemisphäre zu bereisen, kamen 40 weitere Sternbilder hinzu.
Alle Sternbilder nun erzählen eine Geschichte über ihren Ursprung, ihre kultische Bedeutung und ihre Verbindungen zu anderen Konstellationen. Diese Sternen-Geschichten halfen einst den Kulturen der Antike, selbst in unwirtlichen, eher ungewöhnlich gearteten oder in nicht einfach zugänglichen Lebensräumen zu überleben (Wüsten, Eisregionen, Inseln). An ihrem Auf- und Untergehen vermochte man schon in alter Zeit abzulesen, wie sich zum Beispiel die Entwicklung der Natur innerhalb der Jahreszeiten verhielt (wichtig für Sammlerkulturen ebenso wie für die späteren Ackerbaukulturen) oder aber wie man sich an der Position der Sterne am Nachthimmel exakt orientiert. So fanden Menschen über die Jahrtausende hinweg zu einem verblüffend tiefen Detailwissen über die Beziehungen zwischen den irdischen Zyklen und dem Lauf der Gestirne. Daraus schließlich sollten sich auch die Daten für bis heute abgehaltene religiöse Feste ergeben.
Schema der Himmelsscheibe von Nebra, einer kreisförmigen Platte aus Bronze mit vergoldeten Bereichen, die Arrangements von Himmelskörpern wiedergibt (hier im Bild gelb). Dieser etwa 4.000 Jahre alte Fund gilt heute als älteste bisher bekannte Darstellung des Himmels (aus der frühen Bronzezeit Mitteleuropas). Man sieht darauf Abbildungen von Sonne, Mond und vermutlich der Plejaden. Sehr wahrscheinlich benutze man dieses Artefakt für religiöse oder rituelle Handlungen.
Ebenen der Wahrnehmung
Doch wie kam solch Brauch, die Sterne in Konstellationen zu arrangieren, eigentlich zu Stande? Um das zu verstehen, müssen wir zunächst einmal wissen, wie wir Menschen die Welt sehen. Visuelle Wahrnehmung findet eigentlich immer in drei Schritten statt:
- Zuerst erkennen wir im Gesehenen die grundlegenden Elemente, aus denen sich ein Bild zusammensetzt (wie etwa Ecken oder Kanten).
- Dann fasst unser Sehvermögen diese elementaren Bestandteile des Bilds zusammen zu Linien und Flächen.
- Auf einer oberen Wahrnehmungsebene dann, beginnen wir die in Bildern enthaltenen Objekte einzuordnen, was uns ermöglicht, das was wir da sehen, auch zu erkennen, indem wir dem Bild quasi eine sinnvolle Interpretation entlocken.
In diesen drei Schritten erfolgt unsere visuelle Wahrnehmung der Dinge in unserer Umgebung. Daraus lässt sich zunächst einmal ableiten, dass das was wir da im Außen (Nahes und Entferntes) sehen können, sehr wahrscheinlich auch existiert.
Wenn wir uns jetzt einmal den nächtlichen Himmel ansehen, versuchen wir, in der Stellung der Sterne zueinander (Sternkonstellation), auch solche Anordnungen zu finden, aus denen sich gemäß den drei Schritten der Wahrnehmung eben Symbole und Bilder formen lassen – obwohl sie eigentlich nicht da sind. Dennoch verbanden die Menschen alter Zeit diese funkelnden Punkte am Himmelszelt gedanklich zu vertrauten Formen, denen sie in Bezug auf ihre Empfindungen einen tieferen Sinn verliehen:
- Auf der unteren Ebene der Wahrnehmung erkannten sie die Sterne da zunächst einmal als einzelne Lichtpunkte.
- Diese Lichtpunkte sehend, formte man sie auf einer mittlerer Wahrnehmungsebene zu archetypischen Mustern.
- Auf der oberen Wahrnehmungsebene aber assoziierte man dann diese Muster mit Figuren, denen man Namen gab, zumindest damit aber Geschichten verband, womit sie ihre tiefere Bedeutung erhielten.
Die grundlegenden visuellen Bewusstseinsvorgänge auf der unteren und der mittleren Wahrnehmungsebene nun, sind bei den Menschen verschiedener Kulturen weitgehend gleich. Daraus können wir schließen, dass die Art und Weise wie Menschen seit alter Zeit die Sterne zu Konstellationen zusammenfassten, sich in der Regel stark ähneln. Lediglich die damit assoziierten Bilder variieren (so nennt man das nördliche Sternbild des »Großen Wagen« in England auch »Großen Pflug«, in Nordamerika »Große Kelle«, wobei der lateinische Name dafür, »Ursa Major«, einen »Großen Bären« nennt).
Die Sterne die zum Beispiel das Sternbild Orion formen, sind auffällig und bilden so etwas wie die Merkmale eines Menschen. Orion erhielt darum seinen Namen auch von einem Jäger aus der griechischen Sagenwelt. Da gibt es etwa die drei Sterne in der Mitte dieser Konstellation, die man im Westen als den »Oriongürtel« kennt (gebildet aus den Sternen Mintaka, Alnilam und Alnitak). Die beiden »Schultersterne des Orion« bilden der rote »Beteigeuze« links und der rechte, bläuliche Stern »Rigel« (siebthellster Stern am Nachthimmel). Der Stern »Meissa« markiert Orions Kopf und befindet sich vor einem offenen Sternhaufen.
Die genannten Sterne des Orion bilden mit ihren auffälligen Farben ein unverwechselbares Muster, wo das menschliche Gehirn dazu neigt, damit bekannte Bilder zu assoziieren. Auch im alten Rom sah man in Orion einen übernatürlichen Jäger. Zwar war im alten Babylon das dem Orion entsprechende Sternbild, »Sipazianna«, die himmlische Figur eines Schäfers, doch eben eines Menschen, der über das Leben der Tiere wacht. Im mittelalterlichen Arabien galt Al-Jabbar (entsprechend Orion), als Riese, wo der sechsthellste Stern dieser Konstellation (unten links) die Spitze eines Schwerts symbolisiert (womit auch hier, sich durchaus eine Jägerthematik assoziieren ließe). Auch der Stamm der Tschuktschen Sibiriens, sieht in dieser Konstellation das Bild eines Jägers, was im Übrigen auch der Fall ist bei den in Mexiko lebenden indigenen Sepi, die auf Orion deutend von dem Jäger »Hapj« sprechen.
Mit dem was wir bisher beschrieben, scheint es also recht naheliegend, dass solch markante Sternbilder wie Orion im Bewusstsein der alten Menschen ähnliche visuell-geistige Vorgänge auslösen. Denn wenn im besagten Sternbild, alte Kulturen die Figur eines Kriegers oder Jägers erkannten, trotz dass sie Jahrhunderte lang voneinander geografisch getrennt waren, zeigt das doch, dass sich durch diese Sternkonstellationen besondere visuelle Vorgänge im menschlichen Gehirn entfesseln lassen, die einen ähnlichen Sinngehalt wiedergeben.
Das Sternbild Orion mit rot leuchtenden Nebeln (Foto: Rogelio Bernal Andreo; CC BY-SA 3.0).
Sternbilder erzählen Geschichten
Wenn es um den Namen eines Sternbildes geht und die Legende, die ein Volk damit verbindet, spielt für die darin erwähnten Einzelheiten der kulturelle Rahmen natürlich eine wesentliche Rolle. Alles was man sich seit alter Zeit über die himmlischen Konstellationen erzählte, enthielt besondere Muster, die die Menschen eines Volkes aus ihrer natürlichen Umgebung kannten. Die Weitergabe damit verbundenen esoterischen Wissens aber, gab es allein im Kreise der Eingeweihten. Ein Meister deutete da auf ein Sternbild im Nachthimmel und erklärte darauf seinem Schüler die damit zusammenhängenden astralen Mythen – über Jahrhunderte hinweg, nur von Mund zu Ohr. Die dabei erzählten Geschichten enthielten meist ein geheimes Wissen über das Verhalten von Pflanzen und Tieren in Zusammenhang mit einer traditionellen Astronomie. Aber auch moralische Gebote konnten darin enthalten sein, die zum Beispiel die Grundlagen des traditionellen Rechts formten. Damit ließ das Wissen über die Sternbilder einen Erinnerungsraum entstehen, der für das Zusammenleben einmal eine nicht unerhebliche Rolle einnehmen sollte.
Orion, Plejaden und der Stern Sirius
Die Griechen glaubten im Sternhaufen der Plejaden (das sogenannte »Siebengestirn«) die sieben Töchter des Gottes Atlas zu erkennen. Wie uns der griechische Dichter Hesiod (vor 700 v. Chr.) erzählt, wurden sie einst vom lüsternen Jäger Orion verfolgt. Interessant, dass auch die indigenen Stämme der australischen Kokatha und Ngalea (Victoria-Wüste), zu den genannten Sternkonstellationen eine ähnliche Geschichte erzählen. Da nämlich ist die Rede von »Kambugudha« (Sternhaufen der Hyaden, die den Kopf des Sternbildes Stier bilden), der ältesten der sieben Schwestern (Plejaden) der »Yugarilya«, die diese vor den Annäherungsversuchen des Jägers »Nyeeruna« (Orion) beschützt.
Alles was Menschen seit der Antike in ihren Geschichten über erkennbare Merkmale des Nachthimmels an ihre Gefolgsleute und Mitmenschen durch Erzählungen, Gesang und in Tänzen weitergaben, erfüllte seinen Sinn für ein Gelingen des Miteinanders, worin jeder Einzelne lebte und gedieh. Man denke etwa an den Stern Sirius, den man in Europa sehr gut im Winter erkennen kann und der als hellster Stern dem Orion-Sternbild nachfolgt. Sirius spielte im Alten Ägypten eine herausragende Rolle (als Stern der ägyptischen Isis, der mütterlichen Göttin des Lebens, der Genesung und der Magie, so wie Orion als Sternbild des Fruchtbarkeitsgottes Osiris angesehen wurde), dessen erstes Auftauchen in der Morgendämmerung, kurz vor Sonnenaufgang, das baldige Einsetzen der wichtigen Nilschwemme markierte. Erst nämlich durch diese Schlamm-Überflutung erhielten die Äcker im Nildelta ihr Wasser und ausreichend Nährstoffe. Das sicherte das folgende Agrarjahr und damit das Leben der Menschen in ihrer Gemeinschaft.
Sternbilder als Wesenheiten
Wie wir sehen konnten, scheinen so wichtige Sternbilder wie Orion, wie auch andere himmlische Konstellationen, eine ganz und gar universelle Natur zu besitzen. Immer nämlich löste so ein Sternbild ähnliche Assoziationen aus, selbst in weit voneinander entfernten Kulturen. Das wir in unserer westlichen Zivilisation ähnliche Sichtweisen haben auf die astralen Mechanismen, wie etwa die der weit entfernten Ureinwohner Australiens (siehe oben), ließe sich das durchaus als Zeugnis dafür verwenden, dass alle Menschen intuitiv besondere Formen mit einem ähnlichen Sinn versehen, der ihnen zuerst vielleicht der Orientierung dient, doch auch eine damit verbundene Geschichte erzählt (wie etwa die vom Jäger Orion der den Sieben Plejaden nachjagd).
Es scheint, als sei dies allen Menschen angeboren, um in den gewaltig empfundenen Eindrücken dieser funkelnden Sternwesenheiten im unendlichen Raum, sich zu Träumen inspirieren zu lassen, durch die Leitung der nächtlichen Lichter ein Meer zu überqueren oder um damit assoziierte Geschichten zu erzählen.
Wenn Sie also das nächste Mal in einer dunklen, aber warmen Sommernacht draußen sind, schauen Sie unter freiem Himmel nach oben. Vielleicht entdecken Sie dort ganz eigene Formen und Konstellationen, die in Ihnen womöglich neue gedankliche Verknüpfungen schaffen, da sie ihre eigenen Geschichten erzählen. Lassen Sie sich inspirieren!