Kabba des Herzens - ewigeweisheit.de

Die Kaaba des Herzens

Das Zentrum der arabischen Stadt Mekka markiert eines der berühmtesten Bauwerke der Welt: Der schwarze Quader der Kaaba – geografischer Pol für die Ausrichtung der Gebete von mehr als zwei Milliarden Muslimen. Aus dem Sinnbild der Kaaba als universales Zentrum aber, lässt sich auch eine esoterische Bedeutung ableiten.

Die Sufis versuchen mittels Kontemplation über die Bedeutung dieses Bauwerks, in ihrem Innern zu einem mystischen Erfahren zu gelangen. Darüber schrieb der persische Dichter Dschallaladin Rumi (1207-1273) einmal:

Umkreise die Kaaba des Herzens
wenn Du ein Herz besitzt.
Das Herz ist die wahre Kaaba,
die andere ist nur ein Stein.

Gott hat das Ritual vorgeschrieben
die förmliche Kaaba zu umrunden
damit Du ein Herz finden kannst.

Aber wenn deine Füße
tausendmal um die Kaaba laufen,
und ihr dennoch ein Herz verletzt,
erwartest du dann, dass du angenommen wirst?

– Aus Rumis Masnawi

Alle Muslime wissen von der Kaaba. Doch nur wenige können sich dorthin auf Pilgerfahrt begeben. Gleichzeitig ahnen manche von einem mystischen Herzen in sich, doch nur wenige besuchen es, um sein heiliges Strahlen direkt zu erfahren.

Und ja, es ist auch nicht ganz einfach diesen geheimnisvollen Ort in uns zu finden. Man muss sich dazu, wie auch zu der physischen Kaaba in Mekka, auf eine längere Reise begeben – einer Reise nach innen. Findet ein Sufi dabei jene mystische Kaaba im Innern seines Herzens, so soll er sie ebenso umrunden, wie es die Gläubigen im saudi-arabischen Mekka tun.

Gewöhnlich heißt es, die Kaaba sei siebenmal zu umrunden. In der Kontemplation über die Kaaba seines Herzens vollzieht ein wahrer Sufi diese Umrundung aber unaufhörlich, in einer Reise, könnte man sagen, die er wie auch alle anderen ganz allein unternehmen muss, in Abgeschiedenheit, auf einem einsamen Weg zum Ungewöhnlichen (gewiss erinnert solch meditative Übung an das Herz-Jesu-Gebet der orthodoxen Mönche).

Die innere Arbeit des Mystikers

Es lebte einmal ein Sufi im historischen Reich von Chorasan. Das war der persische Gelehrte Abu Said Abu Al-Chair (967-1049). Eines Tages kam ein Neugieriger zu ihm und fragte, warum er sich weigere die Pilgerreise nach Mekka zu machen, da er doch schließlich als vorbildlicher Muslim lebe. Da antwortete ihm Abu Said:

Es ist gar kein großes Ding, dass einer auf tausend Meilen Boden tritt, um ein steinernes Haus zu besuchen. Der echte Gottesmensch sitzt an dem Ort wo er ist. Da kommt das Bayt Al-Mamur (»Himmlisches Haus«) mehrmals täglich und nächtlich hernieder, um ihn zu besuchen und die Umrundung über seinem Kopf auszuführen. Schaut und seht!

– Zitiert nach Muhammad ibn Munawwar

Da schauten alle Anwesenden auf und staunten, denn sie sahen vor ihren eigenen Augen vor sich gehen, wovon ihr Meister sprach.

Für Abu Said, fand einer zur wahren, mystischen Wahrheit Gottes, eben nicht durch äußerliches Tun und Handeln, sondern konnte sich dem letztendlich nur innerlich nähern. Er versuchte damit die Paradoxie mancher religiöser Rituale zu veranschaulichen, die sich nur im Außen abspielten, vielleicht damit einer einen dabei sehe und glaube er sein ein Frommer.

Andererseits wusste Abu Said, dass es letztendlich keinen Ort auf der Erde gibt, der »heiliger« sei als ein anderer, und man sich deshalb auch nicht im Innern selbst näher kommt, wenn man einfach nur an solch physischen Ort reist. Im Gegenteil. Laut Abu Said ist es nur möglich das Göttliche über die oben bereits angedeutete innere Reise zu finden, wobei man sich der eigenen Seele bewusst geworden, dem Höheren, dem Heiligsten langsam nähert.

Der geistige Thron

Im verborgensten Zentrum eines jeden Menschen, in seinem spirituellen Herzen, befindet sich ein geistiger Thron, so die Sufis, auf dem man den Platz seiner wahren Lebensrolle einnehmen kann. Und so wie sich die mekkanische Kaaba in der Welt befindet, so lässt sich auch solch heiliges Herz in uns finden. Hierin vermag der wahre Mensch (arab. Insan) dem Göttlichen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Die Sufis wissen das. Für sie ist das dies geheime Zentrum ganz eng verbunden mit der Kaaba zu Mekka. Es gibt da nämlich eine Kaaba, die als geistiges Prinzip existiert, als, man könnte sagen »Spiritueller Kristall«, der dem geläuterten Herzen in der Brust des Mystikers entspricht.

Wenn ein Sufi gelernt hat von diesem Zentrum aus bewusst zu beten, so ist dieses Gebet identisch mit einem, dass er leibhaftig von der Kaaba in Mekka aus beten würde. Diese spirituelle Kaaba ist ein Zentrum das sich überall befindet, mit dem sich der Mystiker auf Erden nach Mekka hinwendet, doch ebenso seine Gebete nach einer himmlischen Kaaba, die einem astralen Tempel gleicht, den der Sufi in seinen Gebet umkreist.

Jedes Gebet nun, dass wir inniglich im Stillen sprechen, geht aus vom Herzen. Darin befindet sich eine spirituelle Kaaba die jeder von uns in sich trägt. Doch nur die wenigsten Menschen wissen davon. Und: All das ist hier schnell geschrieben und wohl noch schneller gelesen, doch bedeutet damit kaum, das der Antritt solch innerer Reise einfach wäre.

Wir alle kommen im Leben irgendwann an einen Punkt, wo klar ist, dass es anders weitergehen muss. Und daraus ergäbe sich ein Grund solch Reise ins Innere anzutreten. Denn wer sein Leben von innen heraus verändert, merkt schnell, dass sich dem im Außen alles angleicht. Noch bevor wir uns aber auf solch einen Weg begeben wollen, müssen wir unseren Ausgangspunkt kennen. Das heißt, dass wir uns voll bewusst werden der gegenwärtigen Position, auf der wir uns in unserem Leben befinden. Ohne solch Ausgangspunkt kann keine Reise angetreten werden, ganz gleich welche.

Manch einer vielleicht befindet sich bereits recht nahe dem, wo sich das beschriebene mystische Zentrum im Innern des Herzens befindet. Dorthin aber findet nur, wer auf seiner Suche einen eigenen Weg geht. Es ist doch eine Reise, die von einem Seelen-Passagier nur durch eine Läuterung angetreten werden kann. Denn  so ist es möglich uns des Ballasts des Vergangenen zu entledigen.

Wie aber gehen wir dabei vor?

Das Licht Allahs

So wie die Gläubigen in Mekka die Kaaba umkreisen, so zirkuliert das Blut durch die Adern um das menschliche Herz.

So wie die Pilger die Kaaba zu Mekka umkreisen, so kreisen die Gedanken des Mystikers in der »Arena« seines geistigen Herzens.

Dieses geistige Zentrum im Menschen gleicht einem spirituellen Bauwerk, dass von Allah erbaut auch sein Besitz ist. Aber es ist damit auch ein Ort wahrer Erkenntnis, denn durch das Gewahrwerden dieser inneren Verbindung des Herzens mit Allah, strömt der Seele eines Sufi darin alles Gute, Heilsame und Heilige zu. Auch zählt dazu alles wahre Wissen, das eben nicht intellektuell begreifbar, sondern durch mystisches Erfahren erlangt wird. Wer sich darum diesem spirituellen Herz in sich nähert, der lernt bald, dass er sich darüber – und nur darüber – jederzeit mit Allah verbinden kann.

Hierfür bahnt ein Sufi sich seinen Weg entlang der Goldenen Kette der Kraftübertragung (arab. Silsila), über die er mit dem spirituellen Herzen seines Sheikhs, aller seiner Vorgänger und schließlich mit dem Herzen des Propheten Mohammed (as) verbunden ist und damit eben auch mit dem Licht Allahs (arab. »Nur Allah«), dass ihm hierüber zufließen kann.

إن شاء الله.‎

Inscha’allah.

Wenn Gott will.

All das lernen wir auch aus den Schriften des andalusischen Mystikers Ibn Arabi (1145-1240). Nur in seinem Herzen kann der Sufi die Wahrheit Allahs erkennen, da es eben Allahs Besitz ist. Alles was jemanden davon trennt, ist Unwissenheit. Wer Allah nicht (er)kennt, dessen spirituelles Herz schläft tief und ist beinahe tot.

Diese Unwissenheit ließe sich auch als eine Art Unreinheit beschreiben, die den göttlichen Zugang zu unserem Herzen überlagert, so wie sich eine Schicht von Staub und Schmutz über sehr lange Zeit auf einem Spiegel abgelagert und diesen damit hindert Licht zu reflektieren.

Vollzog das Herz des Mystikers aber einen Läuterungsprozess und wurde es gereinigt vom »Schmutz der Unwissenheit«, wird darin das Licht Allahs zum Licht des Herzens und endlich zum Licht der Augen, die es sichtbar in die Welt bringen.

Im Licht des Herzens reflektiert sich ein Auge, über das wir in uns blicken können und je klarer wir damit zu sehen lernen, desto deutlicher erscheint uns auch die Wahrheit Allahs. Laut Ibn Arabi ist dafür eine »Politur des Herzens« notwendig, die aber nur jenen unter uns gelingt, die in vollkommener Gegenwärtigkeit (arab. Hudur), Wachsamkeit (arab. Muraqaba) und Ehrfurcht vor Gott (arab. Khaschya) ihr Leben führen.

Doch es geht dabei auch um eine Reise zum wahrhaftigen Wissen Gottes, in Form eines Er-Innerns an die heilige, reine Substanz dieser Wirklichkeit.

Aus den Mekkanischen Offenbarungen

Als Gott deinen Körper erschuf, setzte er in ihn eine Kaaba. Das ist dein Herz. Er machte diesen Tempel des Herzens zum edelsten aller Gebäude im Gläubigen (arab. Mumin). Er teilte uns mit, dass die Himmel, in denen sich dies Wohnhaus (arab. Al-Bayt Al-Mamur) befindet, und die irdische Welt, in der sich die Kaaba befindet, ihn (Gott) nicht umschließen und zu eng für ihn sind, aber er wird von diesem Herzen in der Gestalt des Gläubigen umschlossen. Was hier mit »umfassen« gemeint ist, das ist das Wissen um Gott.

– Aus den Mekkanischen Offenbarungen (arab. Al-Futuhat al-Makkiyya) von Ibn Arabi

In dieser Aussage Ibn Arabis geht es um die besondere Beschaffenheit des spirituellen Herzens. Es ist kein Organ das durch des Menschen Sinne erfahren werden kann und ebensowenig etwas, von dem man sich im Geiste ein Bild machen kann. Da es aber ein Teil Gottes ist, können wir dieses innere Herz nur »erfahren«, ein Erkenntnisvorgang der nur ein von Liebe erfüllter Gläubiger vernimmt, in Form eines, vielleicht in der physischen Herzgegend aufwallenden Gefühls einer Verliebtheit. Und wenn hier die Rede von einem Gläubigen ist, so meint dieser Glaube (arab. Iman) die Wertschätzung des so erfahrenen Effekts der Enthüllung dessen, was von Gott im spirituellen Herzen eines Menschen wohnt.

Das mystische Herz, mit seiner göttlichen Einwohnung, ist weit wichtiger als jedes äußere Gebäude, worin Menschen dem Göttlichen huldigen. Wer sein Gebet darum ganz und gar auf Gott ausrichtet, gänzlich losgelöst von aller eigennütziger Ehrbegierde, auf den senkt sich der himmlische Tempel, von dem wir oben sprachen. Er gleicht einer spirituellen Kaaba, so wie das spirituelle Herz eine Kaaba im Menschen bildet und mit der physischen Kaaba in Mekka verbunden ist.

 

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