Aus dem Diagramm der heiligen 72 Namen im "Oedipus Aegyptiacus" des Athanasius Kircher (17. Jahhrhundert) - ewigeweisheit.de
Aus dem Diagramm der heiligen 72 Namen im „Oedipus Aegyptiacus“ des Athanasius Kircher (17. Jahhrhundert).

Gottesmaß und Heilkunst in der Kabbala

In den Lehren der Alten Chaldäer entstand die Lehre vom Dualismus des Guten und des Bösen, etwas, das der iranische Prophet Zarathustra in seine Weisheitslehren übernehmen sollte. Es hat dies aber auch das alte Wissen der Kabbala beeinflusst.

Der sogenannte »Kabbalistische Lebensbaum«, bildet diesen Dualismus ab, wo dessen rechte Seite die Quelle allen Lichts bedeutet, die linke Seite die Quelle alles Dunklen, aller Finsternis. Darüber hinaus geben diese beiden Seiten des Lebensbaumes auch die Prinzipien wieder, auf denen alles Reine (rechte Seite) und Unreine (linke Seite) basiert. Naheliegend darum, dass die alten Kabbalisten sehr vorsichtig mit der Macht dieser archaischen Grundsätze umgingen. Entsprechend hütete man alles Wissen vor den Augen Uneingeweihter, da man wusste, dass die darin wirkenden Energien zauberkräftige Wirkmächte darstellen.

Der salomonische Siegelring

Im 4. Jahrhundert n. Chr. entstand die christlich-gnostische Schrift mit dem Titel »Das Testament Salomos«.

Das Testament Salomos, des Sohnes Davids, der in Jerusalem König war und Herr aller Geister in der Luft, auf der Erde und unter der Erde durch welche er auch alle ausgezeichneten Werke des Tempels vollendet hat, ferner, welches die Macht ist , die sie auf die Menschen ausüben, und von welchen Engeln diese Dämonen gebändigt werden.

– Aus dem Testament Salomos

Der Text beginnt damit, dass Gott dem König Salomon einen magischen Ring überreicht, der ihn bemächtigt alle Engel und Dämonen zu kontrollieren und in seinem Sinne zu handeln.

Da geschah es, dass, während ich betete, mir vom Herrn Zabaoth (ein Name Gottes, »Herr der Heerscharen«) durch seinen Erzengel Michael zum Geschenke ein Ring übergeben ward, der ein graviertes Siegel von kostbarem Gestein enthielt. Er sprach zu mir: Nimm, König Salomo, Sohn Davids, das Geschenk, welches dir zusendet Gott der Herr, der allerhöchste Zabaoth. Und du wirst bändigen alle Dämonen der Erde, männliche und weibliche; du sollst mit ihrer Hilfe Jerusalem wieder aufbauen und diesen Siegelring Gottes tragen. Auf dem Steine des Ringes hier ist ein Wort von fünf Buchstaben eingegraben (der Name »Elohim«). Darüber ward ich Salomo erfreut und lobte und pries den Gott des Himmels und der Erde.

– Aus dem Testament Salomos

Salomon versammelte die Engel und Dämonen um sich und bestimmte sie als Helfer beim Bau des Ersten Tempels zu Jerusalem – jenem Bauwerk in dem die Heilige Bundeslade aufbewahrt werden sollte. Alles was Salomo dazu bedurfte waren die Symbole und ihre Wirkkräfte auf dem besagten Siegelring.

Alles was es damit auf sich hat, lässt sich nachlesen im besagten Testament. Die beiden wichtigsten Symbole sind das Pentagramm und das Hexagramm, dass die Juden im Mittelalter »Magen David« nannten: Beides Symbole mittels derer böse Geister gebannt werden konnten.

Symbole des Ordens des Siegels Salomon - ewigeweisheit.de
Symbol des Ordens des Siegels Salomon (1896).

Dämon und Krankheit

Neben diesen eher magischen Werkzeugen des Salomonischen Testaments gibt es auch das Sefer Refuot (hebr. ספר רפואות), das »Buch der Heilung«. Dieses Werk, entstanden zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert n. Chr., enthält einen Verhaltenskodex für jüdische Ärzte, der stark an den hippokratischen Eid erinnert: der »Eid des Asaph«.

Darin, so heißt es, finden sich Rezepte gegen alle von Dämonen verursachten Krankheiten. Der Erzengel Raphael hatte sie den Propheten Noah niederschreiben lassen, damit er sie seinem Sohn Sem (Urvater der Semiten) übergeben konnte. Auch dieses Buch soll sich dann im Besitz Salomos befunden haben und später dann von dem judäischen König Hiskia (750-696 v. Chr.) versteckt worden sein, was wahrscheinlich triftige Gründe hatte. Denn wie sich aus dem eben Beschriebenen ahnen lässt, sind Heilkunst und die sogenannte »Schwarze Kunst« nicht ganz voneinander zu trennen. Im Eid des Asaph lesen wir dazu:

Du sollst keine tödliche Droge für einen Mann oder eine Frau mischen, damit sie ihren Mitmenschen töten. Du sollst nicht von den Kräutern sprechen (aus denen solche Drogen gemacht werden). Du sollst sie nicht an jemanden weitergeben, und du sollst nicht über irgendetwas reden, was damit zu tun hat. Du sollst kein Blut in irgendeinem Werk der Medizin verwenden. Du sollst nicht versuchen, ein Leiden in einer menschlichen Seele durch eiserne Instrumente oder durch Versengen mit Feuer hervorzurufen, bevor du sie zwei- oder dreimal untersucht hast; erst dann sollst du deinen Rat geben. Du sollst dich nicht von einem hochmütigen Geist beherrschen lassen, der deine Augen und dein Herz erhebt. Du sollst nicht die Rachsucht des Hasses gegen einen Kranken in deinem Herzen behalten. Du sollst deine Worte in nichts ändern […]

– Sefer Refuot, Eid des Asaph, Sprüche 47-54

Das besagte hat seine Gründe. Denn für einen Uneingeweihten, bergen die darin beschriebenen Heilanweisungen Gefahren. Zumal einer, der noch nicht über die dazu benötigte Reife verfügt, mit solchem Wissen entsprechend umzugehen, echten Schaden anrichten kann (was etwa auch gilt für die innere Bedeutung der 72 Heiligen Namen).

Die Gliedmaße Gottes

Wenden wir unseren Blick aber noch einmal auf das, was wir zuvor über den Bau des Tempels und die spirituell-geistigen Werkzeuge sagten, derer sich der König Salomon bediente. Denn wir wollen uns in diesem Zusammenhang etwas Interessantes ansehen: Das Buch »Schiur Komah« (hebr. שיעור קומה), auf deutsch: »Die Maße des göttlichen Körpers«.

Dieser alte Text (vermutlich aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.) ist ein Teil der sogenannten Heichalot-Literatur, den Textsammlungen die sich mit der »Merkaba«, dem Göttlichen Thronwagen befassen (und in dieser Schrift anscheinend zwei wichtige Texte aus dieser Sammlung im Schiur Komah zu verschmelzen scheinen, nämlich das Heichalot Zutarti, die »Kleinen Paläste« und das Heichalot Rabbati, die »Großen Paläste«).

Es geht im Schiur Komah um die geheimen Namen und die genauen Maße der Gliedmaßen und Teile des Körpers Gottes. Der höchste Erzengel Metathron offenbarte diesen Text dem Rabbi Jischmael ben Elischa (70-135 n. Chr.), der ihn an seinen wichtigsten Schüler und seinen Zeitgenossen Rabbi Akiba ben Josef (50-135 n. Chr.) weitergab (der seinerseits Lehrer des Rabbi Schimon ben Jochai war, dem Verfasser des wohl bedeutendsten Schriftwerkes der Kabbala, dem Buch Sohar).

Es handelt sich beim Schiur Komah auch um eine exegetische Analyse der Verse des Hohelied Salomos 5:11-16. Jedem, der es liest, so die Überlieferung, dem sei ein Anteil in der kommenden Welt garantiert. Dazu heißt es in dem besagten Buch:

Jeder, der das Maß des Schöpfers kennt, wird sicher ein Sohn der kommenden Welt sein, und wird vor der Strafe von Gehinnom (Hölle) und vor allen Arten von Strafen und bösen Verordnungen, die über die Welt hereinbrechen werden, gerettet werden, und wird vor jeder Art von Hexerei gerettet werden, denn er (Gott) rettet uns, beschützt uns, erlöst uns und rettet uns vor allen bösen Dingen, vor allen harten Verordnungen und vor allen Arten von Strafen um seines großen Namens willen.

– Schiur Komah 1:2

Gott zum Ebenbild erschaffen

Dem jüdischen Religionshistoriker und Kabbalisten Gershom Scholem (1897-1982) galt das Buch Schiur Komah als eine metaphorische Zusammenstellung bestimmter Verse des Salomonischen Hohelieds, worin man verschiedene menschliche Eigenschaften beschrieben findet, als Allegorien auf die Natur (siehe 5. Kapitel des Hoheliedes).

Die im Schiur Komah vorkommenden Namen Gottes, sind ganz und gar esoterisch, ja eigentlich unentzifferbar und sollten darum auf keinen Fall ausgesprochen werden, wie der Judaist Joseph Dan (1935-2022) in seiner Studie über dieses Buch meinte. Wahrscheinlich dienen diese Namen zur Verschleierung mystischer Bedeutungen des im Hohelied gegebenen Gottesbildes.

Ebenso verwirrend erscheinen einem die darin angegebenen Maßangaben des »Göttlichen Körpers«. Als Grundeinheit etwa, finden wir darin 10 Millionen Parasang, was etwa 50 Millionen Kilometern entspricht, einem Maß, wie es darin heißt, mit dem »der Himmel erbaut wurde, und dessen Länge von einem Ende der Welt bis zum anderen reicht«.

Rabbi Jischmael sprach: Metathron, der große Herr, sagte zu mir: Ich gebe dieses Zeugnis im Namen des Herrn JHVH, dem Gott Israels, des Lebendigen und Beständigen Gottes, unseres Herrn und Meisters:

Dass seine Höhe, von seinem Sitz der Herrlichkeit und aufwärts, 118 mal Zehntausend Parasangs (1,18 Mio. Parasangs), von Seinem Sitz der Herrlichkeit abwärts 118 mal Zehntausend Parasangs, seine Gesamthöhe 236 mal Zehntausend Tausend Parasangs (2,36 Mrd. Parasangs). Von seinem rechten Arm bis zu seinem linken Arm 77 mal Zehntausend Parasangs ist (770.000 Parasangs). Von Seinem rechten Auge zu Seinem linken Auge sind es 30 mal Zehntausend Parasangs (300.000 Parasangs). Der Schädel auf seinem Kopf ist drei und ein Drittel mal Zehntausend Parasangs (33.000 Parasangs). Die Kronen auf seinem Haupt betragen 60 mal Zehntausend (Parasangs), was den 60 mal Zehntausend der Stämme Israels entspricht.

Deshalb wird er der Große, der Mächtige und der erfurchtgebietende Gott genannt: Gesegnet sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches in Ewigkeit.

Es scheint, als wolle Rabbi Jischmael seinen Leser verblüffen beziehungsweise mit den ungeheuren Ausmaßen eine Ehrfurcht suggerieren, da diese Maße weit jenseits der menschlichen Vorstellungskraft liegen. Diesen Text zu studieren heißt, so Rabbi Jischmael, in dieser Welt zu wahrem Glück und einem langen Leben zu finden.

Vor diesem Hintergrund aber ließe sich auch hervorheben, dass wenn der Mensch im Judentum als Abbild Gottes geschaffen wurde und er darum oft als ein von Gottes Geist bewohnter »Tempel« beschrieben wird, wie der ersten mosaischen Schrift zu entnehmen ist,

[…] Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn […]

– Genesis 1:27

man die im Schiur Komah genannten heiligen Maßverhältnisse wohl auch, als auf den menschlichen Körper anwendbar betrachten könnte. Besonders dann, wenn es um die Heilkunst geht. So vermag etwa ein Mensch, der in das Buch Schiur Komah eingeweiht wurde, durch Auflegen der heiligen Symbole der hebräischen Buchstaben (»Glieder Gottes«), darüber ein in ihnen wirksames Licht der Heilung auf einen Kranken zu übertragen. Denn krank kann nur sein, wo etwas »aus dem Maß geraten« ist.

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