2004 reiste ich zum ersten Mal nach Prag. Die “Goldene Stadt” an der Moldau, mit ihren hundert Türmen – im 16. und 17. Jahrhundert eine Hochburg der Alchemie, des Okkultismus und der Kabbala.
Zu dieser Zeit lebte in Prag auch ein Rabbi namens Judah Löw. Er kannte die magischen Wirkungen, die man den hebräischen Buchstaben nachsagt. Und so kam es, dass er damit durch Zauberei ein aus Lehm geformtes Wesen zum Leben erwecken wollte. Mit Hilfe seiner Schüler formte Rabbi Löw diese Kreatur in recht eifrigem Hochmut und legte dem so geformten “Golem”, wie er ihn nannte (auf Deutsch: “hilfloser Mensch”), einen Zettel unter seine klebrig-erdige Zunge. Es stand darauf der vierbuchstabige Name Haschems:
Nun begannen der Rabbi und seine Gehilfen ein besonderes Ritual zu vollziehen, dass sie laut einer Legende aus dem Buch Sefer Yetzirah entwickelt hatten: Hierzu lief des Rabbi Schwiegersohn siebenmal um den Golem und rief die heilige Formel der 12 Tzirufim aus (einer Kombination der vier Buchstaben des “Unaussprechlichen Namens”).
Auf einmal öffnete der Golem seine Augen, während sich sein erdiger Leib erwärmte. Schnell begann sich ledrige Haut über seine Glieder wie ein Mantel zu ziehen, aus der borstige Haare wuchsen und lange Nägel an Füßen und Händen. Man hörte dies Monster bald schnaufen und schon richtete es sich auf. Halb ehrfürchtig, halb erschrocken, starrten der Rabbi und seine Schüler den willenlosen Golem an, der da nun vor ihnen schwankte.
Ein Golem als Diener
Löw hatte seinen “Groben Adam” als Sklaven erschaffen. Er sollte für ihn ganz alltägliche Arbeiten erledigen. Doch nur er allein wusste, wie er dazu mit dem magisch erschaffenen Wesen umzugehen hatte.
Als nun eines Tages die Frau des Rabbi – entgegen dem ausdrücklichen Geheiß ihres Gatten – den Golem damit beauftragte Wasser ins Haus zu bringen, geschah leider ein Unglück. Sie dachte, sie könne den Golem einfach mal so tun lassen, verließ ihr Haus und ging auf den Markt. Doch wusste sie leider nicht, dass sie ihm hätte einen Spruch zuflüstern müssen, dass er diese Aufgabe auch wieder beende. So geschah ein Unglück: Einen Eimer Wasser nach dem anderen trug der Golem ins Haus, womit sich die Räume darin allmählich in tiefe Wasserbecken verwandelten, worin viele Bücher des Gelehrten Rabbi Löw wohl nur noch zu wässrigen Batzen verquollen.
Die ich rief, die Geister
Es erinnert diese Geschichte an Goethes Gedicht vom Zauberlehrling, das wahrscheinlich auch inspiriert war von der Legende des Golem.
Man liest darin vom Schüler eines Zauberers, der einmal heimlich nach den Sprüchen seines Meisters lauschte, einen davon aufschnappte und dachte nun ebenso befähigt zu sein wie sein Lehrer.
Von Machtrausch ergriffen, verwandelte er mit diesem Zauberspruch einen alten Besen in ein solch golemähnliches Wesen, dass für ihn Wasser tragen sollte. Doch da merkte er, dass das Zauberwesen nicht mehr aufzuhalten war und das ganze Haus seines Meisters vor lauter Wasser aus allen Spalten und Ritzen zu triefen begann. Aus Angst und Verzweiflung schrie er nur noch, doch konnte im letzten Moment der böse Fluch durch die Rückkehr des Meisters gebrochen werden.
Worauf bereits Goethes Dichterfreund Schiller in seinem “Lied von der Glocke”, vielleicht als Warnung hinwies, dem dürfte auch Goethes Motivation geähnelt haben, eben seinen “Zauberlehrling” zu verfassen. Denn damals begann sich im Kreise der Vertrreter der Weimarer Klassik, eine finstere Vorahnung breit zu machen, als man große Umwälzungen der gesellschaftlichen Strukturen befürchtete.
Aufklärung im Dunkel
Als man gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Planeten Uranus entdeckt hatte, zerbrach damit eine Jahrtausende alte kosmische Siebenheit, die für verschiedene Weisheits-Traditionen eine wichtige Grundlage bildet.
Nun ist interessant, das fast zeitgleich damit, es zur Amerikanischen Unabhängigkeit von der Britischen Krone kam, zur Terrorherrschaft der Französischen Revolution und auch zur Industriellen Revolution. Die Nachwirkungen dieser grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen, sollten zu einer tiefgreifenden und dauerhaften Umgestaltung der Lebensumstände aller Menschen führen.
Aus weltgeschichtlicher Perspektive betrachtet, wird den genannten Revolutionen heute eine ebenso großer Tragweite zugemessen, wie dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit, vor etwa 14.000 Jahren.
Im Übergang ins 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, glaubte man, dass die Entwicklungen aus der modernen Industrie und die Nutzung verbesserter Waffen, den Gesellschaften des Westens Chancen gaben, die irgendwann allen zu Gute kommen sollten – in Form von besseren Produktionsverhältnissen und erhöhter Sicherheit.
Irgendwann.
Sieht es aber nicht eher danach aus, als ginge es heute darum, den Menschen weiter zu optimieren, damit er sich noch besser dem Gefüge immer neuer Automatismen und Technologien anpasst?
Wenn Künstliche Intelligenz uns nun auch noch das Denken abnehmen will, wanken viele von uns schon bald in eine unerträgliche Oberflächlichkeit, die jeden Tiefgründigseins entbehrt.
Aufstieg in ein neues Bewusstsein
Ganz sicher leben wir in einer Übergangszeit, in der sich vor uns Tore in eine neue Welt öffnen. Viele davon führen noch tiefer in die digital-technologische Vernetzung.
Doch es gibt auch Portale, über die manche Menschen in eine Welt erleuchtender Hoffnung aufsteigen werden. Durch sie zu schreiten bedarf zwar einer echten inneren, spirituellen Arbeit. Doch damit lässt sich ein Weg finden, der – jenseits aller Gefühle von Überlegenheit, Unterlegensein oder Konkurrenz – eine neue Gemeinschaft der Wahrheit ermöglicht, in der jeder in sich spürt, was seine Rolle im Leben ist und was er damit seinen Mitmenschen geben kann.
Darauf freue ich mich.