Des Alchemisten Gebet - ewigeweisheit.de

Die Alchemie des Gebets

Wenn in der Esoterik die Rede ist von der »Natur«, meint das die Wirklichkeit alles Körperlich-Grobstofflichen wie auch die Natur des Seelischen, Feinstofflichen und Spirituellen. Auf all diesen Ebenen weiß der Eingeweihte seine Kenntnisse der »Hohen Kunst der Alchemie« anzuwenden, um damit Unedles in Edles zu verwandeln.

Es ist die Alchemie darum eine Lehre, die ihrem grundsätzlichen Wesen nach das Wissen der Heilkunst mit einschließt. Als solch ganzheitliche Kunde der Verwandlung, dient sie entsprechend dem Menschen auch dabei, seine Geistigkeit auf eine edlere Stufe zu erheben, um sich darauf dem Göttlichen zu nähern.

Alchemie als eine Kunst der Weisen ist universal anwendbar. Diese Tatsache machten sich seit alter Zeit die Mystiker in West und Ost zu nutze, als eine heilige Methode sich in ihren Gebeten an Gott zu wenden. Nun meint »Gebet« hier weniger ein ausführliches Bitten um irgendetwas, als vielmehr ein an Gott gerichtetes Aussprechen von besonderen heiligen Worten.

Repetition und Meditation

Wenn wir von einer praktischen Alchemie der Mystiker sprechen, kommt da zur Anwendung das sogenannte »Stoßgebet«, eine Art sakrale Anrufung, wie sie uns im Christentum begegnet im repetitiven Jesusgebet:

Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.
Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.
Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, hab Erbarmen mit mir.

oder im Ave Maria (wie im orthodoxen Christentum gebetet):

Gottesgebärerin und Jungfrau, gegrüßet seist du,
hochbegnadete Maria, der Herr ist mit dir.
Gesegnet bist du unter den Frauen,
und gesegnet ist die Frucht deines Leibes,
weil du den Retter unserer Seelen geboren hast.

Im Sufismus ist damit das Dhikr gemeint, in dem ebenso kurze prägnante Gebetsverse oder manche der 99 Namen Allahs wiederholt werden.

Der oben angeführten Erbarmensbitte des Jesusgebets, ähnelt das islamische Vergebungsersuchen:

Wahrlich, ich bitte Allah um Vergebung, der mein Herr und Erhalter ist, und ich wende mich in Reue an ihn.

Das Wunderbare dieser Gebetsform liegt nun darin begründet, dass sich die dabei wiederholt gesprochenen Worte (mit der Zunge oder auch nur in Gedanken) durch innere Sammlung verdichten. Durch die göttliche Herkunft dieser Gebetsworte, erschafft der Betende dabei das, was man im Christentum das »Ewige Wort« nennt, von dem eine segnende Kraft ausgeht.

Von dem indischen Mystiker Ramakrishna Paramahamsa (1836-1886) ist nun die Aussage überliefert, dass »Gott und sein Name eins sind«. Spricht man also den Namen Gottes aus (ganz gleich in welcher religiösen Tradition), entsteht dabei die Form eines Urbildes, worin die Ewige Kraft und Weisheit seiner göttlichen Bedeutung anklingt, so als ertönte zur gleichen Zeit die Stimme Gottes, der seinen eigenen Namen ausspricht.

Welche Rolle spielt hier die Alchemie?

Hierzu müssen wir zunächst einmal die Bedeutung zweier wichtiger Prinzipien in der Alchemie vorstellen:

  • Sulphur – des »Alchemisten Feuerluft«, und
  • Mercurius – des »Alchemisten Wasser«.

Diese beiden Prinzipien haben ihre Entsprechung in Form der chemischen Elemente Schwefel (Sulphur) und Quecksilber (Mercurius). In der Alchemie aber stellen sie Sinnbilder zweier zeugender Urkräfte dar, die auf Metalle wirken. Für den Alchemisten bilden die Metalle mikrokosmische Entsprechungen der astralen Kräfte bestimmter Himmelskörper unseres Sonnensystems. Sie sind für die Arbeit des Alchemisten von ganz wesentlicher Bedeutung. Er nämlich versucht durch einen sakralen Verwandlungsvorgang (Transmutation) unedles Blei in edles Gold zu verwandeln – ein Prozess der sowohl als Metapher doch ebenso als greifbares Ereignis verstanden werden kann.

Wenn nun allen Metallen als mikrokosmischen Formen, ein astrologischer »Planet« entspricht, findet sich damit natürlich auch eine Entsprechung zu menschlichen Eigenschaften, da diese ja von den Stellungen der Planeten im Horoskop repräsentiert werden. Hieraus ergibt sich folgende Zuordnung:

Planet Metall Attribut
Saturn Blei Grenzen, Widerstände
Jupiter Zinn Lebenssinn
Mars Eisen Mut, Tatkraft
Venus Kupfer Harmonie, Schönheit
Merkur Quecksilber Vermittlung, Verstand
Mond Silber Emotionen
Sonne Gold Inneres Selbst

Da Sulphur und Mercurius nun bei dem dargestellten Umwandlungsprozess von Bedeutung sind, so wirken sich ihre Einflüsse eben so aus auf die eben genannten Eigenschaften – und damit auch auf den Vorgang eines Gebets.

Mercurius, in seiner mikrokosmischen Form als Quecksilber, das ja sowohl fest, flüssig und gasförmig sein kann, gehört nicht nur zu den »Körpern«, den Metallen, sondern auch zu den »Geistern« (den Kräften der Astralgottheiten).

Sulphur, das heißt also Schwefel, ist »männlichen Charakters«, was sich in seiner Feurigkeit zeigt. Doch er besitzt auch die Eigenschaft das flüchtige Quecksilber quasi »festzuhalten« und es dabei zu »färben«, wodurch das rote Zinnober entsteht (das die Alchemisten »Drachenblut« nennen). Somit bindet der Schwefel das Quecksilber, »schwängert« es quasi durch diese Färbung, wobei es in ihm eine feste Gestalt imprägniert.

Es dürfte klar sein, worauf diese Metapher anspielt: Auch die Formen der Buchstaben der heiligen Namen eines Gebets, zeichnen sich durch eine sulphurische Wirkung ein, in das flüssige Medium des Mercurius, über das ja der Götterbote Hermes (lateinisch »Merkur«) herrscht, durch den das Gebet quasi dem »Höchsten Gott« vorgetragen wird. Doch dies eben nur so lange, wie der Sulphur dauerhaft dem Mercurius seine Spuren einprägt.

Lösen und Binden

Das Quecksilber hat eine wichtige Eigenschaft, die sich Goldschmiede traditionell zu Nutze machen: Es löst, »amalgamiert«, Edelmetalle wie Gold oder Silber und nimmt sie in sich auf. Danach trägt der Handwerker dies Amalgam auf eine metallische Oberfläche auf, erhitzt sie, bis sich das Quecksilber verflüchtigt hat, so dass das Edelmetall darauf zurückbleibt und er damit entsprechend eine Vergoldung oder Versilberung erreicht.

Es sind damit durch Sulphur (Schwefel) und Mercurius (Quecksilber) also zwei Vorgänge möglich: Ein Lösen und ein Binden. Sie bilden den zentralen Grundsatz der Alchemie: »Solve et Coagula«. Das Edle wird durch das Quecksilber (Mercurius) gelöst (Solve) und durch die Wirkung des Feuers (Sulphur) in eine neue Form gebracht (Coagula). Dies alchemistische Gesetzt lässt sich aber auch auf spirituelle Prozesse übertragen, wenn es eben durch die Wirkung des Sulphur zu einem Bindevorgang kommt, so dass, wie wir oben gezeigt haben, sich im Flüchtigen (der Welt des Geistes) eine Form imprägnieren lässt.

Leuchtendes Juwel der Seele

Grundsätzlich wirken sich die heiligen Wortlaute eines Stoßgebets (siehe Beispiele oben) auf die duldsame Seele in einer Weise aus, wie sich im göttlichen Schöpfungsvorgang der Welt, auch das »Fiat Lux«, »Es werde Licht« (Genesis 1:3) auf die duldsame Urmaterie (die die Alchemisten »Materia Prima« nennen) auswirkte.

Sulphur nun, steht hierbei für den Willen, der sich mit dem Inhalt des betend gesprochenen Wortes vereint hat. Mit dem Aussprechen des Stoßgebets wirkt er gestaltend auf den Mercurius der empfänglichen Seele ein. Er ist letztendlich aber ein brennendes, geistiges Licht, das im heiligen Gebetswort enthalten ist, eben so wie das Feuer im Feuerstein. Wird es durch die Zunge im Mund »angeschlagen«, kommt es durch den dabei hervortretenden und vernommenen Klang zur eigentlichen Verwandlung der Seele (doch auch durch das Aussprechen der ersten Silbe im Geiste, im stillen Gebet). Es werden dabei die selben Phasen der Verwandlung durchlaufen, die auch das alchemistische Werk eines »Löse und Binde« bestimmen.

Anscheinend erstarrt die Seele zuerst, während sie sich von der äußeren Welt abwendet, löst sich dann aber wieder durch eine »innere Wärme«, die vom vervollkommneten Herzen des Adepten ausgeht. Und aus einem wechselnden, flüchtigen Strom heiliger Bilder (aus den Worten des Gebets entstanden), verfestigt sich in der Seele dann Stufe um Stufe ein geistiges Juwel, das das Licht Gottes zu erfüllen vermag (an dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass eben genau von solch Juwel ja auch die Rede ist in dem buddhistischen Mantra »Om Mani Padme Hum«).

Besonders im christlichen Ave Maria wird das Grundgesetz dieser Art von innerer Alchemie deutlich. Wieso? Nun, in der Formel des Ave-Maria-Gebets (siehe oben) spiegelt sich das, was wir oben über den im Gebet auf die Seele (Mercurius) wirkenden, gestaltenden Willen (Sulphur) sagten. Die heilige Jungfrau Maria nämlich, entspricht sowohl der Seele als auch der Urmaterie (»Materia Prima«) in ihrem rein empfangenden Zustand.

Das Ave Maria nennen manche auch den »Englischen Gruß«, den ja der Erzengel Gabriel äußerte, als er der Jungfrau erschienen war, um ihr die Geburt ihres göttlichen Sohns zu verkünden. Denn dieses Wort Gabriels erfolgte wiederum als eine Art göttliches »Fiat Lux« (vergleiche oben), um ihre Rolle als werdende Mutter von der aller gewöhnlichen Frauen abzugrenzen.

Was mit diesem Ereignis aber als Leibesfrucht in der Jungfrau entstand und geboren wurde, das sollte dereinst nach dem Wirken Jesu Christi, im letzten Abendmahl verkörpern zu dem, was die Alchemisten nennen den Stein der Weisen – »das ist mein Leib« (Matthäus 26:26) – und das Elixier – »das ist mein Blut« (Matthäus 26:28). Es ist das eine Allegorie auf das Ziel des inneren Werks eines Menschen, der sein Gebet auf die beschriebene Weise an Gott richtet.

 

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